Was macht man eigentlich, wenn man den ganzen Tag nichts machen will und kann? Ich machte das so: Stand auf, blätterte die Sonntagsblätter durch, legte sie gelangweilt zur Seite. Der Stillstand dauerte jetzt bereits zwei Jahre.
Zwei Jahre, in denen der Ballspielverein von Sieg zu Sieg eilte, Deutschland Gauck als Bundespräsidenten kürte, Griechenland pleite war und der alte Grieche die deutsche Hauptstadt eroberte. Nichts passierte. Ich riss die Seite mit der Bundesligatabelle raus und rechnete, was ich noch rechnen konnte. Mein Kopf hatte sich nicht wirklich erholt. Aber für 8+3=5 langte es noch. Das war der minimale Abstand und der maximale Abstand der Blauen. Die anderen Vereine waren bei 3 und 4. Ein Vierkampf sah vorerst anders aus.
Doch mir war auch klar: Eine Niederlage würde alles wieder umkehren. Dann wären es nach dem nächsten Spieltag 5,1,0. Und der ganze Vorsprung wieder dahin. 16 Spiele ohne Niederlage. Aber gewonnen war noch lange nichts. Die Saison stand auf der Kippe. Mit Kagawa und Götze hatte die Mannschaft Qualität verloren und mit Piszczek den gefährlichsten Außenverteidiger der Liga. Gegen Hertha ging es noch ohne das um Hummels ergänzte Quartett, doch bereits Hannover würde da eine andere, noch brutalere Qualität auf den Platz bringen. Vielleicht ohne die eingesprungene Gehirnerschütterung, doch mit einer Serie, die der der Borussia glich. Der Verein würde sich keine Ruhepause gönnen können. Ich hoffte inständig, dass es so kommen würde.
Die Sonntagsergebnisse trudelten ein und alles war so, wie ich es erwartet hatte. Die Blauen schossen die Großmauligkeit aus dem Stadion, Hannover spazierte souverän über die Schwaben hinweg. Von dieser Seite war keine Schützenhilfe zu erwarten. Während sich also alles auf den langen, aber so vorhersehbaren Abstieg der Bayern konzentrierte, und sich die Interessierteren noch mit Otto beschäftigten, galt es gerade an den Spieltagen 23 bis 25. Diese drei Spiele, das war mir beim Blick auf die Tabelle klar, könnten schon eine Vorentscheidung zu Ungunsten der Borussia bedeuten.
Alles außer 7+ Punkte würde gefährlich werden. Am Samstag hatte ich gesehen, was passiert, wenn man gegen angeschlagene Gegner eine große Fresse riskiert. Man wird mit angezählt. Und das erwartete uns gegen die Remiskönige aus Hannover, Mainz und Augsburg, die gemeinsam immerhin 28 Unentschieden auf sich vereinten. Die Erwartungen rund um die Titelverteidigung waren längst ins Unermessliche gestiegen. Es ging beinahe nur noch um das „Wann“ und nicht mehr um das „Ob“. Auch ich konnte mich davon nicht freisprechen. Bei meinem letzten Trip in die Kneipe hatte ich die Vorbereitungen zur Meisterfeier aufgenommen. Wenngleich ich nicht die Sperrung der B1 beantragen musste, so hatten dies bereits andere Behörden für mich übernommen.
In dieser so harmlos anmutenden Situation liefen wir tatsächlich Gefahr, uns mit einer neuen Form der Arroganz ins Abseits zu manövrieren. Wer konnte uns schon was. Denn auch wenn wir im direkten Vergleich mit der Hertha ausgeschieden waren, lag jetzt nur noch die Revanche gegen Hannover vor uns und dann war der schwache Saisonbeginn endgültig ausgelöscht. Aber ohne es zu merken, hatten wir in den letzten Wochen erhebliche Substanz eingebüßt. Fiel jetzt auch noch Hummels aus, hatten wir ein massives Problem in der Spieleröffnung. Hatten wir ein massives Problem in der Spieleröffnung, würden wir gegen Hannover stolpern. Wir würden Sonntag spät nachlegen müssen. Und bis dahin würde der Vorsprung geschmolzen sein. Im schlechtesten Fall würde nach 30 Minuten die Stimmung kippen. Schon in den letzten Wochen hatte es dafür Anzeichen gegeben.
Ich blickte auf meinen Schreibtisch, er war schwarz.