Die Verhandlungen mit der Brauerei waren verdammt kompliziert. Aber sie waren auf einem guten Weg. So langsam musste ich mir die Frage stellen, wie ich diese verrückte Wendung in meinem Leben den Kneipenbesitzern dieser Stadt verkaufen würde. Der Bierumsatz würde einbrechen und letztendlich würde der Deal mit der Brauerei natürlich auch die Existenz der Dortmunder Biermarken gefährden. Konnte ich meine Heimatstadt ein weiteres Mal im Stich lassen?
Es waren unruhige Stunden für mich. In einer derartigen Zwickmühle hatte ich mich lange nicht mehr befunden. Das Bier nehmen und trinken oder das Bier kaufen und trinken? Erst einmal den Kopf klarbekommen, war meine Antwort. Über die Kopfsteinpflasterstraßen des Soldiner Kiezes spazierte ich in Richtung Gesundbrunnen. In der Kugelbahn war bereits ordentlich Betrieb. Umso kälter es wurde, umso sibirischer sich dieser Winter gab, umso voller wurden die Kneipe, umso mehr Menschen suchten die wärmende Gemeinschaft der Trinkstätten. Das gefiel mir an Berlin. Ich erinnerte mich an lange Abende am Schönhauser Tor. Damals zur Mitte der 00er-Jahre, als ich schon einmal hier war und die Stadt noch ein wenig dreckiger war.
Heutzutage, dachte ich auf das Bahnhofsgebäude zulaufend, muss man in die Randbezirke gehen, um überhaupt noch etwas außer den weichgespülten Touristenmeilen der ehemals dreckigsten Hauptstadt der westlichen Welt zu sehen. Eine Amerikanerin hatte mir vor Jahren einmal gesagt: „This city feels like New York in the 70s“, ich fragte mich in Richtung Gesundbrunnen laufend in welchem New Yorker Jahrzehnt Berlin jetzt angekommen war.
Mit welchen absurden Gedanken man sich rumquält, nur um nicht über potentielle Werbeverträge nachzudenken, dachte ich, jetzt die Treppen zur S-Bahn hinuntersteigend. Ich schritt den Bahnsteig entlang. Vorbei an den verhüllten Menschen im nachmittäglichen Berufsverkehr. Die Ringbahn kämpfte wieder mit Weichen- und Signalstörungen, mit Zugausfällen und Polizeieinsätzen, die nächste Bahn in Richtung Norden fuhr in 37 Minuten. Ganz am Ende blieb ich stehen. Ungestört von den unentwegt aus der U8 nach oben gespuckten Pendlern, die ihren Unmut über einen weiteren Verspätungstag zumeist einfach runterschluckten und schwiegen. Stille. Hin und wieder die Verzögerungsdurchsagen, über mir ein paar Verkehrsgeräusche und alle 10 Minuten die einfahrende Ringbahn.
Glücklicherweise hatte ich mir die letzten Biervorräte mitgenommen. So stand ich da am Ende des Bahnsteigs 4 am Gesundbrunnen und blickte gedankenverloren, aber immerhin biertrinkend, auf die S-Bahnröhre, die die Bahn von der Friedrichstraße kommend in den Norden führte. Nach ungefähr zwei Bier tat sich etwas. Erst auf dem Bahnsteig, auf dem sich die Pendler mittlerweile bis zur Ringbahn drängten, sich schubsten, manchmal lachten und sich in der Allgemeinheit wohl ihrem Schicksal gefügten hatten. Die Durchsage war klar. Es sollte eine S-Bahn einfahren. Das bekam ich jedoch erst mit als die S-Bahn aus dem Tunnel heraus auf mich zielte. Ich stand mittlerweile auf dem Endstück, weit hinter dem Zutritt Verboten-Schild. Mit einem Sprung zur Seite konnte ich mich vor der auf mich zustürmenden S-Bahn retten, lag nun auf den Trittsteigen und fühlte die restlichen Bierflaschen in meinem Rücken. Es wurde nass. Zeit, nach Hause zu gehen.