Lob! Ein Lob von Tomasz! Der sich auf einmal aufrichtet und flüstert: „Gut gemacht, Ermittler!“ Seine ersten Worte nach unserer Ankunft hier im Keller. Es muss sich um die Langerak-Sache handeln, die scheinbar auf einer Welle der Begeisterung bis in das Stadion von Melbourne Victory gesurft ist. Beim dortigen Länderspiel der Australier gegen Serbien, so erklärt mir Piotr, habe man den Gesang begeistert aufgenommen, auch angestimmt und mehrfach gesungen und ihm somit seiner endgültigen Bestimmung, der Aufnahme in das allgemeine Liedgut, zugeführt. Ich habe bewiesen, dass die Masuren-Schule so langsam auch ein Teil von mir werde.

Die Masuren-Schule? So hat Piotr dieses Unterwasseraquarium, oder den Schwan, wie er diese zwei Räume + Nasszelle nennt, noch nie genannt. Nur ganz wenige, und wirklich nur nach langer und reiflicher Überlegung und Abwägung der Vor- und Nachteile, Ermittler würden diese Räumlichkeiten jemals zu Gesicht bekommen. Im internen Konstrukteur-Ranking seien ihre Ausbildungsqualitäten anerkannt, weltweit gäbe es nur eine weitere Station, die es mit ihnen aufnehmen könne, doch der Schwan sei ganz langsam in der Überholspur und die Station auf der Insel bewahre sich ihren internen Status nur durch ihre, zugegeben, durchaus exzellenten Kontakte zu den Organisationsgründern, deren Interessen er mir aber auch nach meiner bislang erfolgreichsten Prüfung naturgemäß nicht verraten könne.

„Es würde Dich unnötigen Spannungen und Gefahren aussetzen, Dembowski. Das können wir zu diesem frühen Zeitpunkt Deiner Findung noch nicht verantwortern. Aber Du befindest Dich auf einem guten Weg“, sagt Piotr zu mir, um dann mit einem Schwenk wieder zurück zu den neuen Verantwortlichkeiten zu finden. „Du musst Dich von Deinen Fesseln befreien, Du musst in Deine normale Umgebung zurückkehren. Nach außen darfst Du Deine Veränderung, und Du wirst Dich hier am Jezioro Nidzkie zwangsläufig ändern, vielleicht hast Du es bereits bemerkt, nicht kundtun. Du musst Dein altes Leben leben, Du musst weiter im Kiosk einkaufen, übrigens sensationell wie Du die Affenmaskenmanngeschichte angegangen bist, Du wirst weiter in die Kneipe gehen, Dich dort mit Koslowski treffen, Du wirst aber zum Gegenspieler von Reiser. Wir haben für Dich den großen Boss aufgetan, unweit der Meisterredaktion. Von dort aus, wirst Du ein neues Blatt steuern. Wir werden ein Teil davon, von hier steuern und auch die englische Station hat uns, so wir sie denn benötigen, ihre Hilfe, und, wie ich bereits vorher erwähnte, die englische Station liegt im internen Konstrukteur-Ranking immer noch knapp vor uns, sie ist mit den führenden und kreativsten Köpfen der anglo-amerikanischen Welt besetzt, angeboten. Gerade in der kommenden Spielzeit und gerade durch das neue Blatt wirst Du Dich auch auf das internationale Geschehen konzentrieren müssen, um in Konkurrenz zu Reiser das bessere Blatt zu machen. Deine ursprünglichen Ermittler-Tätigkeiten wirst Du, zumindest zu einem größeren Teil, auf einen neuen Kopf übertragen müssen. Die erforderliche Konzentration auf die Besonderheiten der Konkurrenzsituation werden eine gewisse Reiserwerdung, wie ich das jetzt ganz unverblümt nenne, erfordern und Du wirst ein hartes Ausleseverfahren durchführen müssen, um eine Dir zu höchsten Untergebenheit verpflichtete Person auszuwählen. Es wird kein einfaches Unterfangen, Du kannst jedoch zu jeder Zeit auf unsere Hilfe zurückgreifen. Ich muss Dir gestehen, Dembowski, in all den Jahren hier unten hat Tomasz sich bislang nur 2x gegenüber einer ihm fremden Person, die Du trotz des Angelausflugs natürlich geblieben bist, geäußert. Respekt.“

Es sind diese, mittlerweile von mir gefürchteten Monologe, die mich teilweise an der Zurechnungsfähigkeit Piotrs zweifeln lassen. Wer sind diese Konstrukteure? Was genau ist ihre Aufgabe? Wieso bin ich überhaupt nach Sopot gereist? Wieso soll ich zu Reiser in Konkurrenz treten? Wieso, um Himmels willen, gibt es mehrere Stationen, scheinbar sogar weltweit? Wer sind die führenden und kreativsten Köpfe der anglo-amerikanischen Welt? In welcher Form werden sie mir helfen können? Was zum Teufel WILL Piotr von mir?

Anstatt Antworten zu finden, ergeben sich stündlich neue Rätsel. „4, 8, 15, 16, 23, 42“ – Ich schließe mich wieder im Badezimmer ein. Heute in Endlosschleife: „Es ist besser, vor dem Stumpfsinn zu kapitulieren, ich wünschte, ich würde mich für Tennis interessieren. Ahhhhh.“ Kapitulation, nicht mit mir, denke ich mir und halte meinen erschöpften Kopf unter die kalte Dusche. Ich werde mich immer für die Dinge interessieren, die hinter den Menschen stehen, ihre Geschichten, ihre Schicksale, ihre Lebenswege, genauso aber, schwöre ich mir, werde ich mir den schönsten Sport der Welt nicht vermiesen lassen, nicht von Piotrs Anwandlungen, nicht von Reiser und nicht von Martin. Ich werde weiter in meiner Erdgeschosswohnung residieren, die Rollos nicht hochziehen und wenn mir danach ist, mich tagelang mit City Of God zudröhnen. Daran wird sich nichts ändern, schwöre ich mir, während das kalte klare Wasser meine Gedanken neu strukturiert. Wieder sind da diese Bilder, diesmal von Dörte und mir am Kanal, wir laufen am Ruderverein entlang, nehmen die Stufen hoch zur Brücke. Sie trägt einen Bikini, ich trage eine Badehose, wir steigen auf die Brücke, klettern hoch und springen in den Kanal. Immer ist da Dörte, immer ist da Wasser, denke ich. So oft wie in dem letzten Monat, es fing ja auf der Meisterfeier an, habe ich schon lange nicht mehr an Dörte gedacht und selten waren es derart herzzereißende Erinnerungen, die mich jedoch von Mal zu Mal kälter lassen und die immer weiter in den Hintergrund meines tatsächlichen Seelenlebens wandern.

„Setz Dich. Gleich geht das Länderspiel los. Deutschland spielt heute in Aserbeidschan. Wir geben Dir heute ein paar neue Skills an die Hand. Beobachte die Laufwege und das Zweikampfverhalten von Podolski und von Nadryov. Wie gehabt: Mach Dir Notizen, wir werten Deine Notizen dann nach dem Spiel aus“, erklärt mir Piotr. Tomasz sitzt wieder schweigend vor drei Monitoren gleichzeitig, auf der Leinwand im Hintergrund laufen Videoaufzeichnungen aus Syrien, hinter der Panzerglasscheibe saugt ein Wels und ich widme mich dem Länderspiel, vor dem es mir jetzt bereits graut. Und die Tage ziehen ins Land.