Kurz bevor mich die Rothaarige erreichen konnte, kurz bevor ich sie wirklich wahrnehmen konnte, klingelte das Telefon. Redermann. Er rief nie an und dann in den ungünstigsten Momenten des Lebens. Der Anblick der Rothaarigen hatte mich erstarren lassen. War sie es wirklich? Und was machte der Hund an ihrer Seite und wieso klingelte das verdammte Telefon? Und wieso war es Redermann? Ich musste dran, die Rothaarige war jetzt noch gut 50 Meter von mir entfernt.

„Was rufst Du an?“ „Dembowski, ich habe das gelesen. Wie bist Du da raus?“ „Ist doch egal, Du hast mich….“ „Stop! Habe ich nicht. Davon wusste ich nichts. Noch ist überhaupt nichts bewiesen, by the way!“ Jetzt stand sie vor mir. Ich konnte es nicht fassen. Nach all den Jahren. Sie hatte sich die Haare wachsen lassen, ihr Hund sprang mich an, sabberte an meiner Hand, legte sich zu meinen Füßen, sie drückte mir einen Kuss auf meine Stirn und setzte sich zu mir an den Tisch. Ich war nervös. Redermann an der Leitung, Dörte neben mir. Dörte! Neben mir! Am Oberuckersee. „Redermann, es ist gerade ganz schlecht. Ich muss jetzt….“

„Du musst gar nichts, hör mir jetzt zu. Es ist wichtig. Zwei Sachen. 1) Ich bin bei Dir. Ich war immer bei Dir. Du musst jetzt untertauchen, Dietfried. Es bringt nichts. Sie werden Dich suchen. Es ist nicht nur Piotr. Hast Du mal an Nobby „Nobster“ G gedacht? Erinnerst Du Dich an die Hubschrauberaktion vor Dover? Der hält die Fäden in der Hand. Pass auf Dich auf. Wir sehen uns in einer Woche. Westhafen, Berlin. Vorher…“ „Redermann, fass Dich kurz. Sie ist hier. Dörte!“ „Klar. Sie hat Dich gesucht. Ich kenn Dich. Ich wußte, wo man Dich finden wird. Du warst noch nie sonderlich einfallsreich, mein Lieber. Zwischen Berlin und dem Meer gibt es für Dich nur Warnitz und den Oberuckersee. Dörte war hier. Sie hat Dich gesucht. Nicht Du sie. Seit Jahren. Du bist immer weggerannt!“ „Was….“ „Dembowski, es ist egal. Wir haben noch einen Kommentar. Wir haben noch einen Druck. Reiser. Und die Griechen! Brauch ich schnell. Danach kannst Du Dich um Dörte kümmern. Pass auf Dich auf.“ Das Gespräch war beendet. Die Nacht über den Oberuckersee gebrochen.

Dörte schwieg, der Hund lag zu meinen Füßen. Ich starrte beide an. Blickte auf den Hund, blickte auf Dörte, blickte auf mich. War Meter von mir entfernt. Stand jetzt am See. Beobachtete die Fremden an dem Tisch. Er trug Badelatschen, sie eine Bulldoge auf ihrem Pullover. Die Fackeln flackerten. Kitschig. Ich saß jetzt wieder. Schwieg. Sie hatte sich verändert. Sie lächelte. Sie war hier, um zu bleiben. Das spürte ich. „Dörte…“ „Sei still“ „…was ist am See passiert? Du bist ins Wasser…“ „…gesprungen und geschwommen. Du warst weg. Ich habe Dich gesucht. Dir ging es nicht gut. Ich habe mir Sorgen gemacht!“ „Aber ich war doch…“ „Du warst verschwunden. Irgendwann fand ich DerSamstag! Vorher hatte ich die Suche aufgegeben. Im Dschungel. Eine Situation hatte ich. Und Du? Eine Zeitung. Aber Du musst Dir jetzt Zeit nehmen. Redermann will diesen letzten Kommentar. Du sollst ihn schreiben. Für immer glücklich!“ Sie lächelte mich an. Die Jahre der Trennung waren keine Sekunden mehr. Wir saßen wieder auf dem Balkon. Er war grün. Aus der Wohnung klangen alte Phil-Spector-Aufnahmen. Wir tranken Wein. Hin und wieder standen wir auf, blickten auf die Straße, die in ihrer Hamburger Art auf den Fernsehturm zuführte.

„Wach auf. Der Kommentar. Träumer!“, stupste sie mich an. Es war früher Morgen. Über dem See lag der Frühnebel. Ein paar Fischer schipperten übers Wasser, ein Graureiher stand im Schilf, in der Luft kreiste ein Roter Milan. Der Tisch auf dem Balkon war gedeckt. Kaffee und Pfannkuchen. Ich stürtze mich drauf, und setzte mich dann an den Laptop.

Der Griechenland-Idiot
(warnitz / 21.06.2012) Weißes Hemd, weiße Hose, weiße Turnschuhe! Er sieht aus wie ein Zahnarzt. Doch er ist europaweit bekannt als der Griechenland-Idiot. Er will ein Spion sein, doch enttarnt sich selber. In einem Hotel in der Danziger Peripherie will er große Enthüllung liefern, doch er präsentiert nur tumben Rassismus. Der Boulevard eilt von Skandal zu Skandal. Und berichtet wie eine Schülerzeitung. Sie spielen Menschen gegeneinander aus, schüren Hass zwischen Nationen, bedienen Alltagsklischees. Und opfern ihren Starreporter. Wir kennen ihn noch von Fällen wie „Die Sache mit der Meisterschalmafia“ und sehen ihn jetzt als Zahnarzt verkleidet auf einem Hotelbalkon stehen. Die faulen Griechen, schreibt der Griechenland-Idiot, lassen ihre Kaffeemaschine für sich arbeiten. Sparsamkeit. Aber zwei Kaffeemaschinen. So viel standen nicht einmal in der Meisterredaktion. Nix kappitschi? Auf der feinen Linie zwischen Enthüllung und Rassismus gibt es nichts zu verstehen. Malaka! Mag man schreien. Wenn man das Wort nur verstehen würde. Deutschland, einig Vaterland. Heute geht es gegen die faulen Griechen! Die auch nur mit Kaffee kochen. Die Volksseele tobt! Zahnarzt, denk an Deine Haare. Wir wissen, wer Du bist.
Es gibt kein nächstes Mal! Nicht für den Griechenland-Idiot! Und nicht für DerSamstag! Dies war der letzte Kommentar zur Lage der Nation. Aus finanziellen Gründen halten Sie heute die letzte DerSamstag!-Ausgabe in der Hand. Ernst Redermann und Dietfried Dembowski danken für Ihr Vertrauen! (dembowski / DerSamstag!)