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Ein Sonnenstudio in Schaan. Hier entschied sich das Schicksal von Marco Reus. |
Ende 2014 blieb die Lage der Borussia prekär. Der Absturz in der Liga, der zunehmend amtsmüde Trainer, dessen Gedanken, bevor sie vom Stadion eingefangen wurden, hin und wieder die Insel streiften, und die absolute Hilflosigkeit auf allen Ebenen.
„Allerdings glaube ich, dass das Leben gerecht ist. Und wenn man sich im Erfolg schlecht verhält, glaube ich, dass das irgendwann zurückkommt“, hatte Klopp irgendwann einmal gesagt, und dabei eigentlich die Bayern gemeint. Was also hatte die Borussia getan, um den vollen Zorn zu ernten?
Das blieb in diesen letzten Tagen des Jahres ein ungelöstes Problem, und es war nicht einmal das dringlichste Problem. Aus der Krise würde man sich vielleicht nicht maximal befreien können, aber die Geschichte mit dem Klassenerhalt die würde schon laufen. Dazu hatte die Borussia in beiden Wettbewerben noch berechtigte Titelhoffnungen. Und war nicht, intern zumindest, Anfang der Saison die Woche des Fußballs in Berlin als das große Ziel ausgegeben worden?
Dazu bot die aktuelle sportliche Lage auch neue Möglichkeiten. Es waren überhaupt keine schlechten. Die Geschichte vom Aufstieg nach dem Fall, das Märchen war in Wembley 2013 auserzählt, und es brauchte eine neue Geschichte, um den Mythos Borussia weiter zu verkaufen, zu vermarkten.
Seit der Niederlage in Wembley schwächelten sowohl der Verein als auch die Fans, die sich zudem immer mehr vom Tagesgeschäft abwendeten. Nicht weil sie es wollten, sondern weil sie müde waren. Sie stürzten sich mit Feuereifer an die Infrastrukturprojekte. Diese waren dringend, und duldeten auch keinen Aufschub.
Was vor einigen Jahren in Dortmund noch undenkbar war, passierte jetzt. Die Fans lehnten sich gegen die seltsamen Elemente unter ihnen auf. Sie hatten keine Lust mehr, und auch die Zeichen der Zeit gedeutet. Jeder für sich, aber fast alle richtig. Sie bekämpften die Nazis unter ihnen, indem sie nervten und nicht locker ließen. Sie überzeugten mit Argumenten und mit Taten. Die Borussia war auch längst aus ihrer Schockstarre aufgewacht, und klärte auf, bewegte sich, positionierte sich. War lange genug nicht passierte. Dazu dokumentierten andere die Gründungsphase des BVB. Crowdfunded, und mit Leidenschaft. Es war bemerkenswert.
Doch natürlich bemerkte dies kaum jemand, denn die sportliche Situation der Borussia, und auch die immer unklarere politische Lage des Landes überlagerte fast alles. Was nur verständlich war.
Und so sah man von außen nur, was all die Maßnahmen und all die Klopp-Jahre bewirkt hatten. Ein paar Mittelfinger in Frankfurt, hängende Köpfe, ein erschöpfter Trainer: mehr hatten die Fernsehkameras von der Krise nicht einfangen können. In Berlin gab es ein wenig Geisterstimmung, ein in die Kabine verschwindenden Kapitän. Und in den Heimspielen Anspannung und in guten Momenten das brutal laute Westfalenstadion. Dieses Endprodukt, und letztendlich der Schulterschluss zwischen den Dortmunder Hauptakteuren – der Tribüne und dem Verein – war das bemerkenswerte Alleinstellungsmerkmal dieses Absturzes.
Und die Märkte kauften es. Vor allen Dingen die Nischenmärkte, in die Borussia vordringen wollte. In den Zeiten der Bayern-Dominanz war der ungewöhnliche, der branchenferne Umgang mit der Krise ein weiteres Zeichen für den großen, den echten Verein. Der Dortmunder Weg wurde weltweit bewundert, und – manchmal zwar verwundert – als ein großes Glück für den immer weniger greifbaren Fußball bezeichnet. In Singapur, in Auckland, in Sydney und in Liverpool interessierte man sich für das Schicksal der Borussia, für den Kampf. (Den mit der Identität sahen sie nicht).
Doch der große Kampf des Jahres 2014 und das größte Problem der Borussia war weiter der Fall Marco Reus. Das hatte sich durch das ganze Jahr gezogen. Und mit der Beantwortung der Frage Bayern und Borussia würde sich auch die Zukunft der Bundesliga entscheiden. Schottische Verhältnisse oder gar keine Verhältnisse mehr. Das war hier die Frage.
Dortmund hatte alles probiert. Sie hatten Puma an Bord geholt, Reus ins Gebet genommen, ihm unendliche Reichtümer und Legendstatus versprochen. Doch bislang hatte er sich nicht entschieden.
Vor einigen Monaten, noch weit bevor wir uns über den Kagawa-Transfer zerstritten hatten, war ich an Bord gegangen. Der Auftrag war klar. „Halten Sie Marco Reus! Mit allen Mitteln! Oder finden Sie eine andere Lösung!“
Gemeinsam hatten wir dann den großen USA-Plan entwickelt. Dort würde er nicht nur nicht stören, sondern vielmehr würde er dort die Borussia präsentieren, und somit innerhalb kürzester Zeit den US-Plänen der Bayern empfindlichsten Schaden zufügen. Reus verkauften wir die Geschichte natürlich anders.
Das Land der unendlichen Möglichkeiten, vom Titellosen zum Titelträger, von einem weiteren guten Fußballer zu einem Pionier, der die Landschaft des Fußballsports für immer veränderte. Das Geld, die Triumphe, die Zukunft. Er hatte es geschluckt. Und sogar Spanisch gelernt.
Aber, und das hatte ich nach meinen Ermittlungen Anfang des Jahres eben in der Hand, was Reus nie gelernt hatte: Autofahren. Das störte ihn nicht weiter. Und es war nicht an mir, darüber zu urteilen. Mir oblag es, denn den Verein hatte ich darüber – Hinterhand! – nie informiert, diese Information vernünftig und im richtigen Moment einzusetzen.
Als die Berater sich weiterhin sträubten, sich auf den USA-Vorschlag einzulassen, blieb mir nichts anderes übrig: Ich gab erst meinen Kontakten in der Stadt das Startsignal, und setzte mich mit Reiser in Verbindung. Piotr hatte mich vor langer Zeit an einem unheilvollen Tag auf der Lamafarm informiert. Er war nie gestorben, und was mir wie ein billiger Taschenspielertrick vorkam, entsprach nach einigen Recherchen der Wahrheit. Reiser lebte! In einem Sonnenstudio in Liechtenstein. In Sichtweite der Lewandowski-Berater, die, zu meinem eigenen Erstaunen, immer noch ein BVB-Trikot in ihren Geschäftsräumen ausstellten. (Aber dazu, denn die Ermittlungen laufen noch! an einem anderen Tag mehr).
Reiser lebte, und er war bereit, das hatten mir meine Informanten gesteckt. So sehr wir uns auch hassten, so sehr verband uns die Liebe zur Borussia.
„Reiser!“
Seine Stimme stockte.
„Wie hast Du mich gefunden? Alter…“
„Hör auf. Es ist so. Und manchmal denke ich an uns in der Kneipe. Du an der Jukebox. Das hatte was.“
„Ja….“
„Hör zu. Die Geschichte mit Reus. Es geht um alles. Vertragsverlängerung, USA oder Bayern. Die Berater…“
„Aber ist nicht Krise?“
Ich erzählte ihm die Geschichte von der Geschichtsschreibung, und er verstand. Dann erzählte ich ihm von meinem Plan. Er war hellauf begeistert.
„Es ist ein dreckiger Job. Und ich muss ihn tun.“
Der Plan war recht einfach. Wir wussten wie Aki funktionierte, wir wussten wie Klopp tickt, und wir wussten, dass es für Reus ohnehin einmal ein Ende finden musste.
Watzke würde sich uneingeschränkt solidarisieren, Klopp in väterlich beschützen und der Rest der Nation reflexartig draufhauen. „Fool for a day, king for lifetime“ war unser Motto. Am Ende der Geschichte würde ein neuer Vertrag stehen, und Reus hätte sogar noch ein wenig Kohle gespart.
„Die Tagessätze. Er wird es lieben. Nur, ich habe das mal überschlagen, 600.000€. Da ist ein Werbespot. Das ist ein Tor im Finale in Berlin. Haha. Genial!“
Und so kam es dann auch. Reus war mal wieder verletzt, die Borussia kriselte vor sich hin, erzählte ihre Geschichte von den unglaublichen Fans und für ein paar Tage war Reus das Gespött des Landes. Aber, und das war auschlaggebend, die Borussia stützte ihn, und niemand sonst. Bald schon würde er einen neuen Vertrag unterschreiben. Und die sportliche Krise? Über die würde man am 6. Juni im Berliner Olympiastadion ohnehin nur noch müde lächeln, wenn man sich überhaupt erinnerte.
„Nicht einmal Top-Thema!“ sagte ich zu Schill, während wir die Nachrichten schauten. Ich war gut unterwegs, und hatte mir zur Feier des Tages direkt neun Kronen reingeschraubt. Ich war ohnehin zu lange nüchtern geblieben.
Schill schaute wie immer traurig. Er trug seinen HSV Joe-Bademantel. Doch der hatte seine besten Zeiten hinter sich.
„Der HSV bräuchte einen Dembowski. Jetzt ist auch noch der Kühne weggerannt“, sagte er mir und ich zeigte ihm nicht ohne Stolz meine Urkunde: „Ermittler des Jahres 2014“. Zu dem hatte man mich ernannt, und ja, ich hatte in der Tat einen verdammt guten Job gemacht.
„Das war mein letzter großer Auftritt in Berlin!“ sagte ich zu Schill und flüsterte „in diesem Jahr“.
Als ich begleitet von Velvet Underground-Klängen aus dem Soldiner Eck trat, sang ich.
“Despite all the computations. You know, you could just dance to the rock’n’roll station. All right. All right, all right, and it was all right. Oh, listen to me now, it was all right”