Die Welt um mich herum gierte nach Aufmerksamkeit, nach Anerkennung. Sie verlor sich in Streitigkeiten, in Egokämpfen, in Sensationsnachrichten und hatte lange schon den Anschluß an die letzen Überbleibsel der Realität verloren.

Wir saßen am Tisch, blätterten durch die Zeitungen und erfreuten uns an den Meldungen aus den Städten. „Hier passiert wirklich nichts, Dembo“, sagte Dörte zu mir und ich nickte nur stumm mit dem Kopf. Immer wieder zweifelte ich an meinem Entschluß, in den Oderbruch zu ziehen. Natürlich hatte mir der Sommer keine Wahl gelassen, und letztendlich war mein Entschluß also nicht viel mehr also die logische Folge der Summe meiner verpassten Lebenschancen.

„Findest Du, dass uns nicht vielleicht ein wenig einschränkt? Sehnst Du Dich nicht manchmal danach, eine Meinung zu haben und die den Menschen unter die Nase zu reiben?“
„Aber was hast Du davon? Du hast Deine Meinung, die anderen Menschen haben eine andere Meinung und wenn Du sie fragst, antworten sie Dir, Du hast Deine Meinung und ich habe eine andere, der Massen entgegengesetzte Meinung“
„Und was bedeutet das jetzt?“
„Dass es egal ist. Der Mensch strebt dazu, sich im Wettkampf mit anderen Menschen zu überhöhen, seiner Meinung, die eben nur aus einer Vielzahl anderer Beobachtungen, Erfahrungen und Unglücke gebildet wurde, eine viel höhere Bedeutung zukommen zu lassen. Alle, von denen Du mir berichtet hast, haben sich, so sagten sie Dir, gegen das System, gegen den Schweinestaat, gegen das Unrecht und gegen überhaupt alles gestellt. Hat es was geändert?“
„Nein!“

Ich verstummte. Natürlich hatte mein Handeln nichts verändert, natürlich hatte das Handeln der Anderen zu keinen Veränderungen geführt. Und immer, wenn es kritisch geworden war, hatten sie sich, hatte ich mich zurückgezogen. Auf die Inseln, die wir uns geschaffen hatten, die Inseln, die uns geblieben waren, die von der Welthysterie noch nicht weggeschwemmt worden waren.

„Und jetzt schau Dich an, Dembo. Du bist hier. Du hast Dein Angeln, das Lama, Deinen Kürbisgarten, Brankhorst, mit dem Du, wenn es zu schlimm wirst, eben auch mal saufen kannst ,und Du hast mich und ich habe Dich. Danach haben wir so lange gesucht.“

Dörte verstand nicht, woran es mir fehlte. Es mangelte mir nicht an Stille, an Kontemplation, an Gelassenheit. Ich wollte wieder raus, ich wollte mitmischen. Meine Verachtung loswerden. Meinen Hass artikulieren. Den Menschen meine Sicht der Dinge aufzwingen. Und sie, wenn nicht anders möglich, auch mit Gewalt auf ihr Fehlverhalten hinweisen. Etwas in mir zerrte mich aus dem Oderbruch weg, und etwas hielt mich hier. Das, was mich hier hielt, hatte noch mehr Kraft.

Aber ich erwischte mich immer häufiger, wie ich mich zu Brankhorst rüberschlicht, unter dem Vorwand einen Heben zu wollen und mich doch einfach nur vor seinen Computer setzte, im Netz stöberte und im Kopf Hassreden formulierte. Noch aber konnte ich mich zurückhalten. Im meinem Postfach stauten sich die Anfragen. Zwei Fälle nahm ich an. Ich machte mich an die Arbeit. Im Kopf. Und für den Oktober nahm ich mir eine große Reise vor.