Hätte ich bloß nicht angefangen! Ich wollte es so. Und jetzt passiert es. Ich bin ihnen in die Falle gegangen und ich habe verdammt schlechte Laune. Ich benötigte da noch ein paar Sachen für das Hinterzimmer der Samenhandlung. Nur ein Regalbrett, nur eine Lampe für den alten Schreibtisch. In dieser großen Stadt. Was tun? Auf zu Ikea.
Und es beginnt eigentlich alles gut. Vom Gesundbrunnen erwische ich einen Zug quer durch die Stadt. Schon ein paar Minuten später werde ich im Süden der Stadt rausgespuckt. Südkreuz eben. Warum es hier ein West-, ein Ost- und ein Südkreuz jedoch kein Nordkreuz, aber einen Nordbahnhof und auch einen Ostbahnhof, aber keinen West- oder Südbahnhof gibt, erschließt sich mir nicht. Auf den paar Metern entlang der Schnellstraße denke ich drüber nach, doch ich bin hier fremd, ich muss mich auf die Ampeln konzentrieren, meine Gedanken springen hin und her, die Menschen stürzen an mir vorbei, während ich langsamen Schrittes in Richtung des Neubaus gehe. Tür auf. Willkommen im Paradies. Zumindest für die unsäglichen Kinder der Einkaufenden, die links einfach in das Bällemeer geworfen werden. Für mich geht es die Treppe hoch. Heile Welt. Das Leben ist schön. Praktisch. Schwangere umgarnen ihre Männer, Männer werfen ihre Frauen auf die bereitgestellten Betten, vermessen die Schränke, kombinieren hier und kombinieren da. Genormt. Das Zollband in der Hand, den stumpfen Bleistift gezückt, Schlange stehend bei den Fachberatern. “Nur ein Regalbrett, nur eine Lampe!” wiederhole ich immer wieder. “Nur ein Regalbrett, nur eine Lampe! Und dann raus hier.”
Da habe ich mich längst bei den Schränken verlaufen. Was man damit alles machen kann und schauen Sie, wie wenig Platz wir für unser Lebensglück brauchen. Auf 12m² eine Existenz aufbauen. Aus dem Schreibtisch wird ein Bett, Platzwunder. Die Leute hier sind jetzt schon genervter. Von den Three Cool Cats ist wenig geblieben. Zerstrittene Kleinfamilien, die über Detailfragen zerbrechen. Fürsorgliche Mütter, die ihre in die weite Welt geschickten Töchter entnerven. Der Mietwagen muss gefüllt werden. Koste es was es wolle, und wenn es eben der Frieden ist. Hinter der nächsten Ecke schlägt ein offenbar stark traumatisierte Mitdreißiger vor den Augen seiner entsetzten Freudin auf eine der ausgestellten Küche. “Wie stellst Du Dir das vor? Wie soll das jemals jemand aufbauen, wie soll das jemals jemand zurechtschneiden?” Ich stelle mir das besser überhaupt nicht vor und renne an Pfannen, Schreibtischen, der Kleinkindabteilung und dem Family-Shop vorbei.
“Einmal Köttbulla. Die große Portion!” höre ich mich sagen, stehe da schon an der Kasse und habe den Freerefillbecher längst in der Hand. Zwischen Ausflugsrentnern, zerstörten Familien, schreienden Paaren suche ich mir ein Platz, stopfe die lauwarmen Fleischballen mit der schleimenden Soße in mich hinein, mixe mir an den Automaten die grausamsten Getränke und hasse mich immer mehr. “Nur ein Regalboden, nur eine Lampe! Mehr wolltest Du nicht, Dembo!” Und jetzt das, denke ich. Wir wollen Regalböden und bekommen eine große Portion lauwarme Fleischballen serviert, wir wollen eine Lampe und vergiften uns mit Freerefillbechern, denke ich. Im Ladenfunk läuft der moderne Scheiß von 2009. La Roux ist in for the kill, Dembowski ist tilt. Angewidert von mir, angwidert von der Pampe an meinen Händen schiebe ich das Tablett in die unterste Regalschiene. Nur raus. Ganz schnell raus. In meinen Ohren hallen die Worte der Pallaske nach: Kommunizieren, jeder Mensch. Für sich. Jeder Mensch. Ist anders. Diskurs. Auf die Straße tragen. Hier stehen sie und tragen ihr Geld erst einmal in Einrichtungshauskantinen. Jeder Mensch ist 99%. Jeder Mensch will die 100%. Deswegen kaufen wir heute hier. Deswegen essen wir heute hier.
“Nur ein Regalboden, nur eine Lampe!” In was für eine Situation bin ich hier reingeraten? Der Selbsthass zerfrisst mich, die 99%, die so gerne 100% wären. Der Protest gegen das System, ausgetragen in Einrichtungshauskantinen und auf den Treppen zu den gelben Tüten. Wo bin ich hier nur reingeraten? Genormtes Wohnen. Genormter Protest. Diskurs, Du Arsch! Du wirst nichts ändern. Und ich mittendrin. “Nur ein Regalboden, nur eine Lampe!” Ich schmeisse willkürlich Teelichter, Kerzenständer, Gläsersets, Bestecke, Blumentöpfe und Bettwäsche in die gelbe Tüte. Nur raus hier. Nur kein Regalboden, nur keine Lampe. Hinter den Ausstellungsstücken beginnt die Schlange. Ich reihe mich ein. Auschecken über den Counter, dann “dürfen wir einmal Ihren Einkauf kontrollieren?” “Nur ein Regalboden, nur eine Lampe!” In den kleinen Supermarkt. Köttbullapakete in Massen. Schnell einen Hotdog und einen Freerefillbecher. Nur raus. Nur ein Regalboden, nur eine Lampe. Wir sind die 99%.