Als ich wieder im Soldiner Kiez eintraf, war die Kälte noch lange nicht verschwunden. Einen ganzen Winter wartet man auf die Kälte und kommt sie dann in ihrer kristallenen Schönheit, stört es den Großteil doch. Ich war bei bester Laune. Was immer irgendwas zu bedeuten hatte, an diesem Morgen konnte es mir nichts anhaben. Aus meinem Regal zog ich das 67er-Solodebüt von Derroll Adams. Der Mann, sein Banjo, seine Lieder. “Sent my children off to war, yes i did, yes i did. Murdered my children one two three, yes i did, yes did.”
Nobsters Worte hallten noch nach, als ich mich gegen Mittag wieder fertig machte. Ich war vorher die Post der vergangenen Tage durchgegangen, doch bis auf ein paar Rechnungen, Mahnungen und ein paar Flyer von Pizzadiensten war nichts dabei. Hatte ich in den letzten Jahren eigentlich andere Post erhalten. Ich öffnete den Briefkasten und mir flatterten Rechnungen, Mahnungen und Flyern entgegen. Immerhin eine Konstante. Konstanten waren mir wichtig. Viele waren mir nicht geblieben. Und wenn das hier sicher nicht die unterhaltsamste, nicht die erfreulichste Konstante war, ich konnte mich dran festklammern. Die Rechnungen, die Mahnungen, die Flyer waren der Beweis für meine Existenz.
Doch als ich wieder auf die Straße trat, dachte ich an Nobster. Was hatte er mir mit dem Finger sagen wollen und was genau wollte Komaroff organisieren? Ich war mir nicht mehr sicher, meine Erinnerung war brüchig, meine Gedanken waren nicht wirklich klar. Raus auf die Straße, raus aus der Stadt. Ich brauchte Klarheit. Ich brauchte Struktur. Wieder einmal stand ich oben auf dem Hügel. Dort, wo das alte Bahnwärterhäuschen die Grenzlinie markiert und an klaren Tagen, sich ein leichter Smognebel über den Berliner Kessel legt. Dort stand ich und überlegte. Wo sollte ich anfangen. Und wie viel Zeit würde das beanspruchen? Sollte ich die Zeitung drangeben? War sie wirklich nur Quatsch? Hatte ich mich in dem Kessel da unten schon nach ein paar Monaten verfranst?
Ich machte kehrt, überschritt die Straße und lief durch die Obstplantagen in Richtung Köppchensee. Ich ließ mich an der Hütte nieder, breitete eine Karte von Berlin aus. Ich markierte die Orte, an denen sich in den letzten Monaten seltsame Zufälle gehäuft hatten und versuchte ein Muster zu finden. Und auch wenn es auf den ersten Blick nicht klar war, ein paar Stunden später hatte ich ein Muster gefunden. Ob es Sinn machte, war mir noch nicht klar. Die Karte wanderte in den Rucksack. Der Weg den Hügel hinab hatte es in sich. Der Wind blies mir direkt ins Gesicht, doch als ich den kleinen Wald bei Rosenthal erreicht hatte, war die Kälte längst meiner bester Freund.
In ein paar Tagen würde ich wieder bei der Borussia sein. In ein paar Tagen war der Spuk vielleicht schon vorbei. Ich war guter Dinge und in Nürnberg hatten wir in der letzten Zeit immer gut ausgehen. Deutlich positiver gestimmt, mit dem neu gewonnenen Wissen um das Muster und dem Wissen der Wachablösung, öffnete ich die Tür, legte die neue Cohen auf und betrachtete mein kleines Reich. Auf der Straße spielten sie Fußball. Sie wollten der Prince sein. Ich mochte sie. Es war kalt, ich war müde und doch voller Zuversicht.