Wir treffen uns an der Bushaltestelle, hatte er zu mir gesagt. Ich war seinen Anweisungen gefolgt. Es war keine besonders schöne Bushaltestelle, aber sie war verlassen. Das zählte in diesem Moment. Okay, zuerst war sie nicht verlassen. Eine alte Frau tat das, was man für gewöhnlich an Bushaltestellen tut. Eine alte Frau also wartete auf den Bus. Und das war schon das eigentliche Problem. Denn solange die alte Frau, die sich immer mal wieder nach dem Bus umschaute, und mich sonst argwöhnisch beobachtet, nicht von dem Bus aufgegriffen und somit aus der Bushaltestelle verschwunden war, blieb diese letzte Bushaltestelle vor der Speckgürtelstadt belegt. Er wird mich an dieser Bushaltestelle nicht treffen, solange die Bushaltestelle, die keine besonders schöne Bushaltestelle, aber eben eigentlich verlassen war, durch die Präsenz der alten Frau ziemlich das Gegenteil von verlassen war. Immer scheitert es an diesen Kleinigkeiten, dachte ich, und sah wie ich die alte Frau weiter beobachtete. Ich saß in der ihr gegenüberliegenden Bushaltestelle und wartete nun auch auf den Bus, der offensichtlich verspätet war, anders konnte ich mir das Verhalten der alten Frau, die manchmal auf ihre Uhr, manchmal in Richtung Bus und meist aber in Richtung gegenüberliegende Bushaltestelle blickte. Dort saß ich, und wusste, dass er, solange die Bushaltestelle, die voller Graffitis und Hinweisen, aber eigentlich keine schöne, sondern nur eine für gewöhnlich verlassene Bushaltestelle war, nicht verlassen war, auch nicht hier aufkreuzen würde. Auch nach 10 Minuten saß ich und die alte Frau stand. Sie schaute mich an, und mit aufsteigender Verzweiflung sah ich sie nun auch an. Sie blickte mich an und ich blickte sie an. Beide Bushaltestellen waren belegt. Meine Bushaltestelle war die Bushaltestelle ohne Graffitis, aber er wollte sich an der Bushaltestelle mit dem „Ultras Köpenick!“-Schriftzug treffen, hatte er mir gesagt und ich war, wie gesagt, seinen Anweisungen gefolgt. Aber obwohl es keine besonders schöne Bushaltestelle war, und auch keine Häuser in der Nähe waren, es sogar einen Fahrplan gab, der, so sagte mir meine Aufzeichnungen, vom Busfahrer jedoch aus mir unbekannten Gründen nicht eingehalten wurde, blieb es vor allen Dingen eine nicht verlassene Bushaltestelle. Aber, das hatte er mir gesagt, solange die Bushaltestelle nicht verlassen war, würde er hier nicht aufkreuzen. So sah ich die Frau an, die mir auf einmal nicht mehr so alt erschien, und die Frau blickte erst mich und dann die Leere an. Hin und wieder durchbrach ein Lastwagen unser nunmehr liebgewonnenes Ritual. Sogleich blickte ich auf den Boden, und als der Blick wieder frei war, sah ich, dass auch sie auf den Boden geblickt hatte. Wir spiegelten uns. Aber sie wartete an der richtigen Bushaltestelle auf einen Bus, dessen Nichterscheinen mir arge Probleme bereitete. Ich komme erst, wenn die Bushaltestelle verlassen ist, hatte er mir am Telefon gesagt, und wenig später den roten Knopf gedrückt. Ich kannte den Ort, ich kannte die Zeit, aber die Bushaltestelle war nicht bereit. Das bereitete mir jetzt, vielmehr noch als die Blicke der alten Frau, an die ich mich längst gewöhnt hatte und die ich lässig mit eigenen Blicken konterte, große Sorgen. Seine Informationen waren, so viel war mir klar, fundamental für den Fortlauf der Dinge. Er hatte die Dokumente, die mein nunmehr zwei Wände meines Wohnzimmers überspannende Zeichnung einen entscheidenden Schritt voranbringen würden. Aber die Bushaltestelle, an der wir uns hatten treffen wollen, blieb auch nach 20 Minuten nicht verlassen und die alte Frau, die eigentlich nur älter als ich, aber keineswegs alt war, blickte jetzt auch nicht mehr in meine Richtung, sondern nur noch in die Richtung des nicht erscheinenden Busses. Manchmal auch auf die Uhr. Das Zeitfenster schloss, und ich fuhr zurück in die Stadt. Die alte Frau blieb zurück, und blickte mir ein letztes Mal hinterher. In ihrer linken Hand hielt sie einen Hefter.