Vielleicht habe ich ein Gewaltproblem? In den letzten Tagen endeten meine Abende immer mit gewalttätigen Auseinandersetzungen. Es war nie meine Schuld. Man hatte mich in allen Fällen provoziert. Ob Dynamo-Fans oder Cretu-Fanatiker. Irgendwo muss der normale Mensch Grenze ziehen und diese dann auch konsequent verteidigen. Und wenn notwendig eben auch mit letzter Konsequenz. Zum Glück beginnt die Liga wieder. Nur noch zwei Tage, denke ich, mache mir einen Kaffee und gehe meine Stecktabelle durch. In diesem Jahr konnte ich die Leimung an allen Stellen mit den Fingern öffnen. Zum ersten Mal. Jedes Jahr will ich die Leimung komplett mit dem Finger lösen und jedes Jahr scheiter ich irgendwo in der zweiten Liga. Immer in der zweiten Liga. In diesem Jahr scheiter ich nicht.

Voller Stolz blicke auf die Stecktabelle. Dich werde ich pflegen, Dich werde ich stecken. Jede Woche. Ich schaue mich in der Küche um, nehme die letztjährige Tabelle ab. Dort steht der BVB auf 1, die Blauen belegen einen Abstiegsrang. In diesem Jahr mache ich es besser, flüster ich der neuen Tabelle zu. Versprochen! Was aber wird sie mir bieten? Welche Vereine darf ich auf 1 setzen und welche Vereine darf ich den unteren Regionen zuordnen. Ich nenne mich nicht Experte, denn ich bin kein Experte. Ich nenn mich aber auch nicht Fan, denn ich bin kein Fan. Ich bin leidenschaftlicher Anhänger, das habe ich zu lange vergessen. Diese Ermittlungen habe mich fertig gemacht. Aber auch zufrieden. Wenn da nicht Reiser gewesen wäre, wenn da nicht Martin gewesen wäre, wenn da nicht meine schlechte Laune gewesen wäre, wenn da nicht wirklich nichts gepasst hätte, wenn die Konstellation nicht aussichtslos gewesen wäre, wenn all das also nicht gewesen wäre, hätte es eine schöne Zeit sein können. Vielleicht, schränke ich mich gleich wieder ein.

Und dann war da die “beste Saison des Lebens”, wie sie von so vielen Menschen in der Stadt pathosüberfrachtet oder nicht genannt wurde, und erst im Nachklang, in der Aufarbeitung dieser Saison konnte ich mich vom Fluch des Boulevards verabschieden. Konstrukteure sei Dank! Damals in Gladbach wußte ich noch nicht, dass der “Samstag!” mich auf Redermann treffen lassen wird, dass ich tatsächlich die Erinnerung an Dörte in positive Energie umwandeln kann und dass meine Ermittlertätigkeiten im Idealfall zu neuen Jugendwörtern führen können. Was sich nicht alles verändert hat. Zwei Monate, denke ich und schaue wieder auf die Stecktabelle und auf einmal ist die Stecktabelle ein weiteres Bild an meiner Wand. Ein, im Gegensatz zu den Vorjahren, positives Bild. Sogar die Leimung lässt sich lösen, denke ich. “Kehl oder Bender?” höre ich auf der Straße. Redermann ist im Anmarsch. Da haben wir uns für heute was vorgenommen. Kehl oder Bender?Wir werden es rausfinden und Bilder von neuen Trikots mitbringen.