Schon am Nachmittag schlawinerte ich im Kiez rum. In Anlehnung an den großen Reiser hatte ich mich als Polizist verkleidet. In der Liste mit den Vorteilen notierte ich: 1) Mal wieder rasieren, mal wieder die Haare schneiden 2) Unerkannt. Der Polizist. Dein Freund und Helfer, der sich 3) so selten, in diese Gegend der Stadt traut, dass ich derart exponiert, nie auffallen würde. Nach Jems Warnung war mir klar, dass ich Dörte einer derartigen Gefahr nicht aussetzen konnte. Sie blieb im gelobten Osten, noch eine Nacht in der Bornholmer.

„Wenn ich bis zum Morgengrauen nicht zurück bin, suche mich nicht, Dörte! Alles wird seine Ordnung haben. Aber bleib bitte in meiner Nähe. Es ist nur die Brücke, die uns trennt. Mehr darf nie wieder zwischen uns kommen. Eine Brücke, Dörte, über die sich Tramlinien winden, zusammenlaufen und wieder auseinanderlaufen, dort, wo aus der Bornholmer die Osloer wird. Die Insel zur Großstadt, bald zur See wird. Am See-Tank sollst Du im Morgengrauen auf mich warten. Ich bin Dein Ermittler! Für Dich. Für immer. Für alles!“ „Alles klar, Dembo. See-Tank. Check! Auf einer Skala von 1 bis Bier, was musst Du trinken?“ „So viel sein muss!“ „Dembo, ich liebe Dich!“ Diese Worte.

So schlich ich durch den Kiez. Ich wählte den oberen Zugang. Bog erst an der Steegerstraße auf die Wollank ein. Runter. Immer weiter runter. An Häuserfluchten vorbei. „Am Friedhof“ kehrte ich erstmals ein, stellte mich vor. „Branders, ihr neuer Kontaktbeamter. Gibt es hier irgendwelche Bierchen zu verhaften?“ „Herr Branders, eine Ehre! Eine große Ehre“ „Bier. Verhaften? Verstehste?“ „Aber klar“ Ich hörte mich ein wenig um, schrieb die Schraudershaus auf Bierdeckeln zur Fahndung aus, trank noch ein Bier, erkundigte mich nach Komaroff. Sobald aber die Sprache auf diesen unsäglichen Ermittler kam, lamentierte die Wirtin, die sich mir mit Angela vorgestellt hatte. „Dieser Ermittler. Er bringt unseren Kiez in Verruf. Haben sie schon einmal ein jutes Wort von dem jehört? Nüscht?“ „Sie haben Recht. Lassen sie uns noch ein Bier verhaften und den Ermittler vergessen. Dembowski!“ „Ick muss ihnen dit jetz ma stecken. Komaroff will den hier sehen. Begrabt ihn mitten auf dem Kiez, hat er gerufen“ Es war Zeit, diesen Ort zu verlassen. Am Friedhof, auf den Friedhof. Draußen wehten die Deutschland-Fahnen im grauen Abendlicht, durch die Wolkendecke stachen Flugzeuge in Richtung Tegel, an der Ecke Soldiner / Wollank. Homeward bound. Ich wünschte, ich wäre es. Müdigkeit. Und Komaroff vor der Brust.

Auf einem Hinterhofsofa zog mich um. Zeit für das Oldie-Eck. Zeit für Komaroff. Jem, Jem, Jem. Wer war dieser Jem? Rein da. Bier für 1,10€, das Gedeck für schlanke 1,50€. Bier, Gedeck, Kippe. Die Toten Hosen verschonten einen nicht einmal mehr hier. An Tagen wie diesen, bierseliges Grinsen. Wortfetzen: „DenSpaghetti-Fressern werden wir es zeigen!“ „Einmal Pasta Finito“ „Der Itahker ist ein fauler Mensch. Ein Gedeck!“ Ich platzierte mich an einen der Ecktische, die Tür im Blick. Unsichtbar. Wortfetzen. „Spanien und Portugal auf Ramschniveau runtergestuft!“ „Der Gegelte! Das CRy7-Baby“! Gedeck. Kein Komaroff. Auf einmal Stille. Der Lange betritt den Laden. Was macht der Lange hier? Der Punktelieferant. Ich hatte nichts bestellt. Ein Blick auf die Uhr bestätigte mir mein Gefühl. Es war bereits 23 Uhr, ich bei meiner 15 Ernte des Abends, bei meinen fünften Gedeck, davor die Verhaftungen am Friedhof.

Der Lange blickte sich um, nahm dann an der Theke Platz. Er hatte mich im Rücken, ich eine neue Frisur. Was zum Teufel? „Du bist nur ein Punktelieferant!“, entfuhr es mir. Das Bier, die Lösung aller Probleme, der Ursprung aller Probleme. In beliebiger Reihenfolge. „Ah, der Herr Ermittler. Sie habe ich gesucht.“ „Komm rüber“, grummelte ich, rückte ein Stück ein. Immerhin würde der Lange mich vor Blicken schützen können. „Sie sind auf dem Weg, Dembo! Piotr. Hat mich angerufen. Er will Dich. Sagt: Komischer Zufall, nicht?“ „Woher…“ „Piotr?“ „…genau den?“ „Die Punkte. Denkst Du, wir spielen die beste Saison aller Zeiten und alles geht mit rechten Dingen zu?“ „Aber!“ „Dembowski, Du bist wirklich so naiv. All Deine Bestellungen, all Deine Worte. Zu viele Worte! Wie immer zu viele Worte. Wer soll da noch folgen?“ „Was ist mit meinen…?“

Die Tür ging auf, der Rothaarige trat ein. Es war 23.30. „…Scheiße. Da ist er!“, flüsterte ich. „Aber Du bist doch wegen ihm hier, sagt Jem!“ „Jem? What the…“ „Sei still. Leg Deinen Kopf, was ist überhaupt mit den Haaren, auf den Tisch! Sei still, Dembowski. Einmal nur. Hör auf!“ Komaroff durchschritt den Raum, stimmte in die Italien-Witze ein und Griechischer Wein an. Natürlich sangen sie alle mit. „Hier kannste alles machen“, die ersten Worte, die je im Oldie-Eck gesprochen wurden, hallten nach. In meinem Kopf hämmerte es. Erinnern und loslassen. Was machte ich hier überhaupt. Was war meine Funktion in diesem Spiel, dessen Regeln ich längst nicht mehr befolgte. Dessen Regeln niemand mehr befolgte.

Komaroff saß an der Theke, dort, wo es den Langen schon hingezogen hatte. „Erinnerst Du Dich an Marzahn, mein Lieber?“, flüsterte Der Lange. „Marzahn. Erinnern. Das ist hier“, zischte ich zurück. „Der Typ, der Typ, Dembowski. Schwach!“ Es dämmerte. Damals. In Dortmund. Mein erster Fall. Die SMS. „Ja“ „Du hättest den Fall nie übernehmen sollen“ Komaroff saß weiter an der Theke rum, scherzte mit seinen Damenbekanntschaften. Die Jukebox klickte. Die Rolling Stones, zum ersten Mal im Oldie Eck. Play With Fire. Jetzt holt er sich seine Kicks in Berlin, nicht mehr in Dortmund. Spiel nicht mir, Du spielst mit Marzahn. „Der steckt…“ „Punktelieferant. Du bist so naiv!“ „Aber…“ „Deine Welt besteht nur aus „aber ich dachte!“ Du denkst zu viel.“ Jemand tippte mir auf den Kopf. „Hab ich Deine Stimme erkannt. Steckst in der Scheiße, Herr Kontaktbeamter Branders!“ Zu viel Bier. Ich steckte mir eine Ernte an. Jetzt cool bleiben, dachte ich. Jetzt. „Es ehrt Dich, dass Du gekommen bist!“, sagte Komaroff mit schneidender Stimme, schlug mit dem Langen ein. „Die Schraudershaus ist eine Niete. Warum haben sie die wohl abkommandiert?“ „Aber…“ „Erinnerst Du Dich an unser Treffen in Beverungen?“ „Da war ich nie!“ „In einem anderen Leben, Dembowski.“

Sie sprachen weiter, doch der schwarze Vorhang verhinderte, dass weitere Worte zu mir durchdrangen. Ich war jetzt wieder in der Nachbarstadt, die Jugendlichen mit ihren Goldketten. Bling Bling Bling. Moppel Moppel Moppel. „Was ist mit der Bratwurstigkeit?“, waren die Worte, die ich fand. „In einem anderen Leben, Dembowski. In einem anderen Leben, Ermittler. In einem anderen Leben, Branders. Wir haben einen Mann im Team-Hotel der Spaghetti-Fresser. Du bist der Sohn von Nick van Eede, died in his arms tonite!“. „Marzahn. Hätte ich nur…“ „…hast Du nicht?“ „Niemals!“ „Beginnen sollen!“. Der Lange blickte mich jetzt an. „Dembowski, hier ist der Deal. Wir brauchen Amok. Wir wissen, dass Du Dich mit ihm triffst. Mehr nicht. Du warst ein Spielball. Aber wir brauchen Amok! Du machst weiter, einfach weiter. Kein Wort. Zu niemanden. Und jetzt zum See-Tank. Montag, 10 Uhr am Westhafen. Ich treffe Dich vorher noch einmal.“ Der Lange stand auf, beglich meine Rechnung. Komaroff blieb sitzen, bestellte noch ein Gedeck. „Da waren alle erst so nett zu Dir. Und wollten nur Deine Personalien. In einem anderen Leben, Dembowski ,wärst Du nicht so davongekommen!“

Dörte saß vor dem See-Tank. Ich fiel in die Tram. Dörte saß vor dem See-Tank. Der Kaffee dampfte, die Sonne stand im Osten. „Wie war es? Du bist ja ganz blau!“ „So viel es braucht, Dörte.“ Ich ergriff ihre Hand. Sie würden mich finden. Sie würden uns finden. Amok.