Ich bin dann einfach gegangen. Ich konnte es nicht mehr ertragen. Wirklich nicht mehr. Aus der einen oder anderen Vollgasveranstaltung war längst die meiste Zeit eine Arroganzveranstaltung geworden. Wenn es nicht lief, war man nicht schuld. Ein blödes Gegentor, noch ein blödes Gegentor. Passiert. Hätte man vielleicht verteidigen können, wenn man mitgespielt hätte, hat man aber nicht.
So war das gegen Mainz, und ich hatte es nur registriert, und so war das gegen Stuttgart, und so hatten es alle wieder nur registriert. Der unselige Hagenberg-Scholz war mit im Soldiner Eck. „Unter der Woche“, hatte er gesagt, „kann ich doch kaum nach Dortmund fahren.“ Gegen Arsenal war er da, so wie ich. Aber im Gegensatz zu mir, gestand er sich nichts ein. Diese Spiele in der Liga, diese Spiele, die man im Vorbeigehen gewinnen würde, wieso sollte man sie besuchen? 1.000 Kilometer? Für genau was? Für eine nächtliche Rückfahrt, für ein paar Tore, für ein paar Sekunden des Glücks?
Immerhin. Das Glück, ja, das Glück, das wäre so ein Grund. Aber anstelle des Glücks war ohnehin Verärgerung über die unfassbare Arroganz der Dortmunder getreten. Nicht nur auf dem Platz, sondern auch unter den Fans herrschte die Gewissheit, dass mit einer kompletten Mannschaft ohnehin niemand, mit vielleicht der Ausnahme der Bayern, die Schwatzgelben stoppen würde. Dazu noch die perfekte Leistung gegen Arsenal.
Wenn etwas nicht lief, und es lief ja immer irgendwas nicht, waren die Verletzten Schuld. Der fehlende Rhythmus, die Sehnsucht nach dem Comeback der Superstars, die sobald sie auf dem Platz waren, aber natürlich sofort wieder wüsten Beschimpfungen ausgesetzt waren.
„Im nächsten Jahr ist Reus weg, der brauch auch gar nicht mehr wiederkommen. Und dass Gündogan nur für ein Jahr verlängert hat, zeigt doch auch in welche Richtung der denkt.“, Hagenberg-Scholz war einer dieser Leute.
Vor dem Derby stand der BVB nur einen kurzen Schritt vor der ersten echten Krise. In Gelsenkirchen würde man sich auch nicht mit irgendwelchen Verletzten rausreden können. Eine Niederlage, und nicht nur der Meistertraum wäre mit dann sieben Punkten Rückstand nach nur sechs Spielen ausgeträumt, sondern der Leuchtturm bekäme immer größere Schieflage.
Am Ende der Saison, das hatte man sich in Dortmund vorgenommen, sollte das Champions League-Finale stehen. Ein optimistischer, netter und unbedingt unterstützenwerter Größenwahn. Solange die Leistung in der Liga stimmte. Durch Europa rocken und die lästigen Spiele in der Liga abschenken, das konnte man vielleicht als auswärtiger Fan, aber nicht als Profi.
Die meisten Fans, und Hagenberg-Scholz war so einer, hatten es sich in ihrer Selbstmitleidsoase bequem gemacht, und übersahen die mangelnde Einstellung der Mannschaft. „Aber nach dem 2-0 da haben die so richtig losgelegt“, erzählt der windige Typ direkt nach dem Abpfiff. „Die sind super drauf. Da fehlt nur ein kleines Stück, wir brauchen einen Dosenöffner.“
Schill, der schon lange kein Humor mehr verstand, kramte in einer Schublade. „Justin, für Dich. Kannste haben“, sagte er niedergeschlagen. Hamburg war wieder einmal ohne Tor geblieben. Trotz HSV Joe. Die Idee  mit dem Ferrari auf dem Rücken seines Bademantels hatte Schill längst verworfen.
Ich hingegen hatte die Idee mit der Meisterschaft längst verworfen. Und bin dann einfach gegangen, während Hagenberg-Scholz den bemitleidenswerten Schill in ein Gespräch über den korrekten Gebrauch des Wortes Dosenöffner verwickelte.

Am nächsten Morgen verbreitete der Verein über seine Kanäle stimmungsaufhellende Fotos und Videos. Für mich war es Propaganda, für mich waren es Durchhalteparolen. Nicht die fehlenden Spieler waren das Problem, die an Arroganz grenzende Einstellung war das Problem. „Aber nach dem 2-0 da haben die so richtig losgelegt.“ Hagenberg-Scholz hatte nicht den Hauch einer Ahnung, dass er damit Borussias Probleme auf einen Nebensatz runtergebrochen hatte. “Und Stuttgart hat doch auch toll gekämpft”, hatte er noch hinzugefügt. “Und überhaupt die Verletzten!” Dann, während seiner Dosenöffner-Erklärungen, war ich einfach gegangen.