Dortmund. Hauptbahnhof raus. Dienstag. Borussia gegen Arsenal. Endlich wieder Champions League. Die Hymne. Maßgeschneidert für mich. Ich bin der Champion, ich bin der Beste. Die Treppen runterstürzen.
„Mach ma Platz da, ich bin der Ermittler! Lassen Sie mich durch! Sie bleiben jetzt besser stehen.“ Dortmund, dachte ich mir, ist meine Stadt geblieben. Sie hörten auf mich. Sie sprangen die Treppen runter, flüchteten zurück, drückten sich an die Mauern. Ganz unten rammte ich eine alte Oma weg. Sie fiel. „Kannste nicht aufpassen?“. Sie fluchte. Unter einem Ärmel ihres braunen Pullovers zeichnete sich eine Maschette ab. „Siehste. Nich zum ersten Mal passiert.“ Ich war nachgerade euphorisiert. Back in Dortmund, mit all den Champions. Und Kevin, über Kevin Großkreutz.
Als ich das dachte, stand ich schon am Fischstand.
„Zwei Kronen, getz aber ma ganz fix!“
Was sollte sie schon machen? Ich legte einen Fünfer auf die Theke.
„Stimmt so.“
Wenn in Dortmund, dann mal auf dicke Hose machen. Auch wenn da nix mehr war. Wer konnte das schon wissen, ich war der Ermittler. Da gab es immer was zu trinken, das gab es immer Geschichten, da gab es immer ne Runde aufs Haus.
 “Dembowski, was machst Du hier?”
Die Stimme kam mir seltsam bekannt vor. Aber ich hatte so viele Stimmen gehört, und nicht alle waren aus fremden Mündern gekommen, ich konnte sie nicht zuordnen. Was blieb mir übrig, umdrehen, denn natürlich, immer wenn Leute  mich ansprachen, sprachen sie mich von hinten an.
Immer. Und antworten. Langsam und sicher.
„Fußball. Champions League. Nie ohne mich!“  
„Sieh zu, dass Du Land gewinnst, Seuchenvogel! Wir wollen Dich hier nicht haben.“
Ich hatte ihn schon einmal gesehen. Es war. Verdammt, wer war es. Erstmal auf ein Bier einladen. Und schauen. Ich drückte ihm mein Kronen in die Hand.
 „Ja, ja. Sagen sie alle. Letzte Mal, gegen Madrid! Lockerer Sieg. Reus, Doppelpack. Und geschmeidig ausgeschieden. Beste Stimmung. Im Halbfinale wären wir untergangen. Mit der Truppe. Mit dem Polen. Zum Glück, dass der wech ist.“
„Dembo. Nix von Deinem Humor verloren. Hattest nie welchen. Redermann kommt gleich auch rum.“
Ach, Dortmund. Ach, Amok! Er war es. Mein alter Kumpel Amok, der Mann fürs Grobe. Der legendäre Typ, der irgendwann mal eine Milchpackung in einem Kühlhaus zum Platzen gebracht hat. Was ein großartiger Kerl. Wie hatte ich ihn nicht erkennen können?
„Wir hauen die weg. Arsenal. Heiße Luft. Kein Mittelfeld. Keine Abwehr. Der fußkranke Özil. Und Andy Carroll im Sturm. Was soll da schief…“
„Welbeck ist das. Ne Granate.“
„Mein ich doch. Der trifft nix.“
Und so weiter. Ich redete mich in Rage. Alles nur, weil ich wusste, was und wie es kommen würde. Solange Kevin spielte würde alles ok sein, wusste ich. Über Kevin Großkreutz.
„Haste gehört? Kevin will den Prinz tunneln? Die haben doch beide nix im Kopp. Nur Flauseln, nur Spökskes.“
Amok hatte es nicht verstanden. Kevin wusste doch, wie der Poldi läuft. An der Seitenlinie.
„Aber die machen jetzt ne Dönerwette.“
„Na, Dönerwetter!“
Ich schmiss ne Runde. Wenn in Dortmund dann auf dicke Hose machen. Das Bier floss in Strömen. Schnell hatte sich meine Rückkehr herumgesprochen.  „Da, da, da ist der Seuchenvogel. Aber er bringt uns Bier.“ Wie die Menschen so waren. Man brachte ihnen Unglück und Bier, und sie waren glücklich. Man brachte ihnen Glück und Wasser, und sie wendeten sich von einem ab.
„Bis der letzte Komiker stirbt!“, rief ich begeistert durch die Kneipe. Wir waren im Bürgermeister angekommen. Ein wunderschöner Herbsttag. Die Sonne hing tief über der Lindemannstraße, und am Ende der langen Gasse konnte ich das Westfalenstadion riechen. Die Heimat. Eine Heimat. „Bis der letzte Komiker stirbt!“
Wahrscheinlich war er schon gestorben.
Sie ließen die Köpfe hängen.
„Jetzt hat es den kleinen Japaner auch noch erwischt.“
„Da kriechste doch die Pimpanellen.“
„Wir haben die Seuche am Hals. Und da ist der Seuchenvogel.“
Langsam kippte die Stimmung. Mein Bier nahmen sie, aber das mit dem Unglück. Vielleicht hatte ich die Verhältnisse etwas überschätzt. Ich nahm das Bier. Noch einmal: „Bis der letzte Komiker stirbt. Trinkt, solange es noch Brauereien gibt.“
Es half nichts. Und ich zweifelte ohnehin an meiner Rolle. Amok war längst verschwunden, Redermann nicht aufgetaucht, und überhaupt: ich war nicht hier, um mir diesen Mist noch länger vorhalten zu lassen. Borussia in der Champions League, und um mich herum nur Gebrechen, Untergang, Abstieg. Was sollte Schill sagen. Aber so durfte ich denen hier nicht kommen. Für sie gab es nie einen anderen Verein, sie würden immer Borussen sein.
Wie auch Trainer Klopp, der sich in den Katakomben des Westfalenstadions auf das Spiel freute. Endlich wieder Champions League. Die Besten. Natürlich nur echt mit kapitalmarkorientierten Trademark-Vollgasveranstaltungen. Klopp hatte Durm nach rechts geschoben, Schmelzer nach links, und im Mittelfeld Bender von der Leine gelassen. Vorne drin sollte Immobile ackern. Laufen. Draufgehen. Gemeinsam mit Aubameyang die Abwehr hetzen. Als Melancholiker bot Klopp Mkhitaryan auf. Er würde es schon richten. Mit klugem Auge das Spiel dirigieren, die Räume sehen, sie erlaufen, und dann im entscheidenden Moment: Raunen.
„Borussia, Borussia, Borussia!“ Das Peitschen im Stadion machte Arsenal Angst. Und ich beruhigte mich. Es gab Menschen, die aufgedrehter waren. Viel aufgedrehter. Und alle waren hier. Diese Nächte im Westfalenstadion, wenn alles perfekt ist. Wenn vom Stadion diese Welle auf den Platz überschwappt, und elf Borussen dem Gegner hinterherjagen. Bluthunde. Ballhunde. Mit einem verdammten Plan. „Borussia, Borussia, Borussia!“ Und vorneweg Über Kevin Großkreutz. Bender. Der Bekloppte hintendran. Wie erdacht. Wenger ohne Gegenwehr.
Kurz nach der Pause war das Ding durch, und ich hing mit Amok an der Westtribüne rum.  Von der Treppe beobachten wir die Süd. „Immer wieder geil. Immer wieder. Hör nie auf!“ Aber Amok hörte nicht zu: „Kündigung, scheißegal. Borussia Dortmund international. Europapokal. Europapokal.“
Und da war Redermann. Ordnerweste. Der Hund. Ganz in der Nähe von Podolski, der an der Seitenlinie mit allen abklatschte. Redermann sprang. Redete kurz mit Podolski, und Jannik Bandowski machte sich die Schuhe zu. Der Ball klatschte gegen die Bande. Bandowski drückte Redermann etwas in die Hand.
„Was war das, Redermann!“ Wir standen an der Bude. „Für Dich, Dembo.“ Er drückte mir einen Schienbeinschoner in die Hand. „Bandowski kenn ich vonne Amas. Und ganz ehrlich, ich hab kein Plan, was das soll. Hier.“
Am nächsten Morgen stieg ich in Wolfsburg aus dem Zug. Pause. Stadtführung. Das ganze Programm. Laufband hin, Laufband her. Und wieder weg.

Den Schienbeinschoner warf ich in den Mittellandkanal.