Vielleicht hätte Dembowski sich weiter auf den Fußball konzentrieren sollen. Sein Verhalten in den letzten Tagen war zweifelhaft. Sagte zumindest Redermann.
“Das ist alles blitzsauber recherchiert”, Redermann und ich hatten uns nach dem gerade so erfolgreichen Scheibenschießen gegen die Bremer zur dringenden Lagebesprechung in der Kneipe getroffen.
Nicht nur, dass Piotr sich mal wieder gemeldet und mit seiner Polizeimeldung ordentlich danebengelegen hatte, nein, auch Redermann machte mir Sorgen. Ich hatte also kurzfristig nach Dortmund reisen müssen, alles unter dem Vorwand mal wieder ein Spiel im Stadion zu sehen. Doch das eigentliche Ziel meiner Reise war: Redermann wieder auf Kurs bringen. Und ihm, wenn nötig, auch die Konsequenzen seines Handelns aufzuzeigen.
Jetzt saßen wir Stunden nach dem 1-0 Sieg gegen die Bremer bei ein paar Bier zusammen und gingen gemeinsam meine Unterlagen durch. Von Redermann erntete ich nur ein Kopfschütteln. Immer wieder sprach er vom „Reiser-Niveau“ und allein die Erwähnung des Namens ließ mich eine neue Runde bestellen. „Auf Rio, auf Jens!“, schrie ich dann durch die Kneipe und kippte mir den Schnaps hinter die Binde.
„Das ist alles blitzsauber recherchiert“, versuchte ich es erneut. „1-a Journalismus. Nicht Deine üblichen Nachrichten aus der Zukunft.“ Redermann verstand nicht. Ich zeigte mit dem Finger auf das Bild. „Aber Du erkennst den Spieler schon?“ „Ja. Und was soll mir das jetzt sagen?“ „Der ist gesehen worden.“ „Das sehe ich auch.“
„Und wir haben mit der Person gesprochen. Also, ich habe mit der Person gesprochen. Ihr nahegelegt, die Geschichte in gute Hände zu legen. Wir machen dann noch ein Fotoshooting und berichten. Denk nur an die Auflage.“
„Aber wen interessiert das?“
„Es ist blitzsauber recherchiert. Es ist unsere Pflicht, darüber zu berichten. Hehe.“
„Und die Person?“
„Wenn man so blöd ist, was soll ich sagen, ihr zum Beispiel: Wir wollen Dir helfen. Was sollte die da groß sagen? Blöder Junkie! Setzt sich jetzt bestimmt einen Schuss. Vielleicht ist es besser so. Für alle. Denk nur an die Kosten für das Gesundheitssystem.“
Redermann schaute mich entgeistert an. Ich verstand es nicht. War er so in seiner Moral gefangen, dass er die großen Geschichten, die dazu noch blitzsauber recherchiert waren, nicht mehr erkannte. Hatte er sie überhaupt jemals erkannt. Mir ging es schon lange nicht mehr um Fußball, um Leidenschaft: Ich wollte für Dörte, für Koi, für die Lamas und mich ein wenig Kohle ranholen und benutzte den Fußball als Mittel zum Zwecke. Hier war ein Skandal noch ein Skandal.
Das funktionierte immer nach den guten alten Verhaltensmustern: Alkohol, Sex, Drogen, Verrat. Diese Geschichte hatte alles.
„Dembowski. Ich will Dich nicht mehr verstehen“, sagte Redermann. Er nahm einen großen Schluck, setzte an und redete wieder über Polizeigewalt, die verschiedenen Fanfreundschaften in Europa, für deren Komplexität ich jedoch keine Zeit hatte, und wie diese Fanfreundschaften unterschiedliche Auswirkungen auf unterschiedliche Fanuntergruppierungen irgendwelcher Fanobergruppierungen hätten und somit natürlich auch maßgeblich für die Stimmung auf der Tribüne, die sich in guten Momenten manchmal dann sogar vereinen und von sämtlichen Fanobergruppierungen, von denen es mindestens derer 5 gab, mitgetragen wurde. Dann wenn aus Fußballfans nach türkischem Vorbild sogar mehr wurde, und sie sich gemeinsam eine Stimme gaben, dann.
Ich hatte längst abgeschaltet. Ich war dieser Diskussionen überdrüssig, Redermann hatte sich zudem von Piotr ein Eigentor ins Netz legen lassen. Es ging mir nicht mehr um Gut oder Böse. Es ging mir ausschließlich darum, mit reißerischen Themen Auflage zu machen. Dieses ganze Fankleinklein gehörte nicht dazu. Es war das Gegenteil. Es war komplex. Es war unverständlich. An der breiten Masse vorbei. Die Fans gingen mir am Arsch vorbei, solange auf den Tribünen kein Blut spritzte und das war nicht einmal in Gelsenkirchen der Fall gewesen.
„Überhaupt“, blaffte ich Redermann an „woher kommt Deine plötzliche Vorliebe für die Blauen?“
„In den Farben getrennt…“
„Hör bitte auf. Oder rede weiter und hör Dir mal zu. Unerträglich. Kommen wir zurück zu den Fakten.“
Ich legte sie noch einmal auf den Tisch. Der Spieler der Zweitligamannschaft, der mit runtergezogener Mütze, aber eindeutig an seinem Knutschfleck am Hals erkennbar, am U-Bahnhof Osloer Straße Hand in Hand mit einem anderen Kerl in die U-Bahn Richtung Wittenau stieg. Ich war ihnen gefolgt, Tag ein, Tag aus. Am Schäfersee hatte ich sie turteln, hinter den Hochhaussiedlungen des MV spazieren und in Lübars küssen sehen.
„Das ist unsere Chance. Der Kerl ist sogar bereit, für ein paar Euro ein paar Bilder zu machen. In Lederkluft mit Schnurrbart.“
„Angenommen ich würde mitmachen“, sagte Redermann und wie ich das hasste. Immer noch musste ich alle Texte mit dem vollkommen weltfremden, in Fanthemen versunkenen Möchtegern abstimmen. „Angenommen, wir würden das wirklich bringen. Was wird dann mit dem Spieler?“
„Der Schwuchtel? Zweitligaspieler. Karriere vorbei. Kommt ein neuer Spieler. Was mit ihm passiert ist doch egal. Wir haben hier den größten Fußballverband der Welt. Und wenn nicht sollen die sich einfach nen Zigeuner aus Hellersdorf holen.“
„Aha!“
„Und? Was soll daran schlimm sein? Ist halt so. Der hat es gemacht. Der ist für seinen eigenen Scheiß doch selbst verantwortlich. Dann noch in einer fremden Stadt und in meinem Revier. Ich habe eindeutige Bilder gesehen. Gut bestückt sieht anders aus, sag ich nur.“
Ich legte ihm noch einmal die Bilder vor. Redermann zögerte, blickte mich an, nahm noch einen Schluck und spuckte mir ins Gesicht. „Mach Deinen Scheiß alleine.“
„Blitzsaubere Recherche“. Man musste Redermann so nehmen. Er verstand davon nichts. Er verstand was von Fanober- und Fanuntergruppierungen. „Redermann. Du bist ein verdammter Idiot. Das ist unsere Chance.“
Er stand auf. Ich saß noch ein wenig in der Kneipe und verstand die Welt nicht mehr. Der erste Zug trug mich zurück in die Hauptstadt. Dort ging es noch um die wirklich wichtigen Themen. Ich fragte mich, ob ich die Wahrheit nicht einfach bringen sollte. Ich brauchte die Kohle.
Ich fragte mich auch, ob Shinji irgendwann zurückkommen würde. Mir dämmerte, irgendwann hatte DerSamstag! mal davon berichtet. Vielleicht sollten wir erst einmal wieder dieses Thema aufgreifen. Auch da konnte ich blitzsauber recherchieren. Am frühen Mittwoch erhielt ich einen Anruf aus Göttingen. Ich war wieder guter Dinge.