Irgendwann war das Spiel einfach vorbei. Wahrscheinlich war die Borussia wieder angerannt, und wahrscheinlich war die Borussia wieder einmal ohne Glück. Wer konnte das schon sagen? Dembowski nicht. Er saß dort. Die Arme stützen den schweren Kopf. Schill umarmte ihn. Flüsterte aufmunternde Worte. Aber der Ermittler hörte nichts und sah nichts und er erinnert sich nicht.
Wieder einer dieser Tage.
Gerade noch war er in Brüssel auf dem Atomium. Die Arme ausgebreitet. War das die Wende? War er geheilt?
Vielleicht, hatte gedacht.
Eight miles high.
Gegen Anderlecht war es ok gelaufen.
Lange Bälle über die Abwehr, kurze Lupfer über die Abwehr. Die Abwehrfehler einmal nicht bestraft.
And when you touch down you’ll find that it’s stranger than known
6 Punkte, 2 Spiele. Ein paar Tore. Wichtiger: Keine Gegentore.
Das zählt alles nicht. Nicht für Dembowski. Das mit der Champions League hatte er nie angezweifelt.
Seit Saisonbeginn hatte er ein mieses Gefühl. Wohin er schaute: Leuchttürme.
Lief er an einem Samstag einmal durch Mitte, verschwamm der Fernsehturm am Alexanderplatz. Doch sein Licht warf Leitfeuer über die Stadt. Er war immer im grünen Bereich, und so sehr er auch nach links steuerte, so blieb er doch im grünen Bereich.
Und wenn er einmal (denn er hatte es nie ganz aufgegeben) aus dem Campo Dembowski heimkehrte und auf einer der Honecker-Alleen auf Berlin blickend stoppte, war er im Richtfeuer der Lichter zweier Türme, die sich über der Stadt erhoben, und die sich jeden Winkel der Hauptstadt holten. Ihn ausleuchteten. Ihn sezierten, ihn markierten, ihm einen Sinn zuwiesen und schwarz und weiß ausspuckten.
Hier die guten Teile und da die schlechten Teile. Doch nur das Licht überlebte.
Einmal, als Dembowski wartete, verschwamm das blaue U-Bahn-Zeichen an der Osloer Straße, formte sich neu und bewegte sich ruckartig, erst von ihm weg. Und der Ermittler war erleichtert, doch bald schon fiel das Licht in sich zusammen. Dunkelheit. Einige Menschen stürzten den U-Bahn-Schacht hinab, doch Dembowski stieg auf, und verharrte. Die Arme weit ausgebreitet. Und er sah die grauen Gesichter, er sah die Mühen der Menschen und wie sie gezeichnet waren. Und er sah einen Leuchtturm mit goldenem Leitfeuer. Dann fiel er. Und eine Menschenmenge hatte sich um ihn versammelt. Während er dort lag und alles dunkel war.
Signs in the street that say where you’re goin’. Are somewhere, just being their own.
Leuchttürme, so haben wir gesehen, dominierten Dembowskis Tage und Nächte. Sogar Schill hatte sich einen besorgt, und ihn mit einer Raute versehen. Darunter:
“Der HSV ist der einzige Club, der es vom Umfeld her schaffen könnte, langfristig dem FC Bayern ebenbürtig zu sein” (Uli Hoeneß, 2012)
Und dann diese Niederlage. Wieder fehlte die Konzentration, wieder fehlte es an Glück, fehlte es an Pässen, aber nicht, so lachte Schill Dembowski ins Gesicht, an Fehlpässen. Das Pressing fand nicht statt, und Hamburg, dreckig, Abstiegskampf eben, trat und kämpfte und rannte und trat und spielte auf Zeit.
Nowhere is there warmth to be found among those afraid of losing their ground
Waren es doch die verletzten Spieler? Auf dem Platz stand immer noch eine formidable Mannschaft, aber es klickte nicht. Es fehlte jemand. Es fehlte jemand mit Selbstvertrauen, und jemand, der das Team an die Hand nahm. Mit einem Moment, mit einer Aktion, mit seinem Glück. All das war der Borussia abhandengekommen, und das stimmte Dembowski traurig.
Schill hingegen freute sich still. Er wollte nicht nachtreten, und er wußte nur zu genau, wie Dembowski sich nun fühlte. Er saß dort und er trank nicht einmal mehr sein Bier. Er saß dort, und er wirkte so seltsam abwesend, als wäre etwas in ihm verschwunden, nicht mehr da. Weg. Stille. Und in diese Ruhe brach der Gesang der Südtribüne. Sie verabschiedete die Mannschaft.
„Mach das aus, Schill. Ich ertrage es nicht mehr. Ich ertrage es nicht mehr, nicht dort zu sein. Und ich ertrage es nicht mehr, die Mannschaft in diesem Zustand zu sehen. Sie reden über den großen Angriff auf Europa. Sie wollen dabei sein, wenn die Spirale sich immer schneller, und ganz am Ende zu schnell dreht, und immer mehr Vereine aus der Bahn wirft. Was sollen sie auch anders tun? Das sind die Zwänge. Und doch wirft es wieder den Blick auf die ewige Frage: Welchen Fußball wollen wir eigentlich? Wollen wir den Erfolg unserer Mannschaft? Zu welchem Preis?
Muss unser Verein moralischer, glaubwürdiger, ehrlicher sein als wir es jemals sein können, sein werden? Darf er sich verkaufen? Und wann verkauft er sich? Verkaufen wir uns? Und wieso sind unsere Ansprüche an den Verein immer die höchsten, an uns selbst aber immer nur die geringsten? Wieso reden wir von Vorbildfunktionen und zeigen mit den Fingern auf die Verfehlungen der anderen Vereine, ja, manchmal sogar unserer eigenen Vereine?
Wogegen wehren wir uns? Und wann kommt der Punkt, an dem wir uns nicht mehr wehren, uns angewidert abwenden und was kommt danach? Machen wir das am sportlichen Erfolg fest? Üben wir nur Kritik, weil wir in Sorge sind, und zugleich einfach so weit weg und dadurch zutiefst hilflos, ohne Chance, etwas zu verändern?“
Dembowski starrte auf den Leuchtturm, sein Blick wanderte durch die Kneipe in Richtung Fernseher. Dort standen die Spieler immer noch vor der Süd. Und Kevin zog sein Trikot aus.
„Ändert das wirklich etwas? So viel Liebe. So viel Feuer. Merken die Spieler das? Und ist es nicht überhaupt einfach furchtbar egal, weil es in diesem Moment nicht um die Spieler geht, sondern um den Verein, der so viel größer als die Summe der einzelne Spieler ist? Ist das nicht einfach eine Trotzreaktion? Oder ist es doch der Geist von Borussia Dortmund? Kann es etwas verändern?“
„Dembowski, da vorne ist die Tür. Hau endlich ab. Deinen weinerlichen Mist kann doch niemand mehr ertragen. Geh. Der HSV hat gewonnen. Lass mir wenigstens diesen Moment.“
Hau dem Chill mal einen rein, iss ja gruselig.
Ansonsten, alles eine Sache der Einstellung, you now?
Und der Fernsehturm hatte schon immer diese Macke, darf man keine persönlichen Rückschlüsse drauß ziehen.
So long und bis die Tage.