Samstag, endlich Samstag und nicht nur auf dem dünnen Papier meiner Zeitung.
Den Freitag hatte ich am Ende nicht nur überlebt, sondern am Ende auch einigermaßen produktiv zu Ende gebracht. Ich blieb mit Redermann im Dialog. Die Gangster an meinem alten Kiosk würden wieder zuschlagen. Redermann, der wieder in meiner alten Erdgeschosswohnung lebte, wollte sich auf die Lauer legen. „Irgendwann“, schrieb er mir „irgendwann lassen wir diese Saubande hochgehen. Erst der Affenmaskenmann und dann die ewigen Einbrüche, da bekommste echt ne Klatsche. Wo soll ich mir mein Stifts holen?“
Dass Redermann Stifts trank, musste niemand verstehen. Nicht einmal Redermann konnte es einigermaßen solide begründen. Er sprach von Tradition, die aber in den Wirrungen der Dortmunder Bierkrise längst abhanden gekommen waren. Am Geschmack konnte es ebenfalls nicht liegen, aber so war Redermann. „Das Stiftchen kommt vom Clarenberg“, pflegte er ohne Sinn vor sich her zu singen. Ohnehin vertrugen sich der Sinn und Redermann in letzter Zeit nicht so gut. So zumindest hatte es Amok angedeutet, auf dessen Wort ich immer noch vertraute.
Immerhin aber hatte mich Redermann durch den Freitag gebracht, es war an der Zeit ihn anzuzapfen. In unserem letzten Telefonat sprach ich ihn direkt an. „Und morgen wieder mit dem Black Ticket? Wann geht es los? Wer fährt noch? Pyro dabei? Wollt ihr euch irgendwo schlagen. Sach doch ma!“ „Dembo, was ist mit Dir los? So besoffen kannste gar nicht sein, so einen Quatsch zu fragen. Wir fahren los, nehmen den ersten Zug auseinander, in Minden steigen wir um, führen Schaffner in die Irre und später schießen wir ein paar Raketen in den Himmel. Standard! Hab jetzt nen Smartphone, schick ich Dir alles rüber.“
Wie einfach man Redermann aufs Glatteis führen konnte, dachte ich und ging mit einem zufriedenen Lachen ins Bett.
Samstag, endlich Samstag und nicht nur auf dem dünnen Papier meiner Zeitung.
Aufstehen, immer noch schwach fühlen. Umdrehen, Kippen anzünden, hoffen, dass das Bett nicht in Flammen aufgeht, Kaffee kochen, Fenster öffnen, eine The New Testament Of Funk 10“ auflegen und langsam in den Tag gleiten. Klappte nicht häufig. Aber an diesem Samstag passte es. Zugegeben, ich war emotional noch ein wenig mitgenommen. Aber konnte ich mir das nach diesem Freitag verdenken? Nein. Auf den ersten Kaffee folgte das erste Bier. Und die große Aufregung.
Ich fuhr den Computer hoch, trackte Redermanns Bewegungen. Während er immer näher an Bremen herankam, zog ich meinen Dortmund Sweater an, ging die paar Meter zur S-Bahn und verschwand am Gesundbrunnen im Moloch der U8. Die letzten Betrunkenen der Fashion Week quälten sich an der Weinmeisterstraße in die Bahn, um in ihrem Szenebezirk Kreuzkölln die Woche bei einer Prise Koks Revue passieren zu lassen. Sie schoben die Bettler beiseite und erhielten sich lautstark über die irrwitzigsten Geschichten der vergangenen Nacht, sie hatten nicht geschlafen und brauchten Nachschub. Einer bestellte seinen Dealer direkt in die Bahn. „Moritzplatz! Alta! Ersta Wagen!“ Sie kauften sich ihr Pulver, ich stieg am Kottbusser Tor für eine Station in die U1, nur um die U8 zu vergessen. Als ich die Treppen runterging, stürmten andere die Treppen hoch. So war es immer und wenig später war ich in der Kneipe.
Any Given Weekend war schon da und schüchterte mich wieder ein. „Meine Spielberichte,“ sagte er mir „sind immer fundierter, sind immer näher dran. Du kennst nicht einmal die Regeln des Spiels.“ „Jedem seine Meinung, sogar Dir!“, sagte ich, zog mich dann mit einem Kronen zurück. Hin und wieder warf ich, ohne gefragt worden zu sein, ein paar Namen in die Runde. „Die Panketal Paniker sind zurück! Die Konstrukteure! Die Ballspielbanausen!“ Ich erntete Mitleid. Und Unverständnis.
Samstag, endlich Samstag und nicht nur auf dem dünnen Papier meiner Zeitung.
Dann standen die Mannschaft auf dem Platz. In der 09. Minute, in der 19.Minute entschied sich das Spiel .Dortmund 2 Bremen 0. Was Götze aber nicht davon abhielt, sich kurz vor der Pause zu überhöhen und den Ball mit der Hand über den bemitleidenswerten Keeper Mielitz zu heben. Mir ging das fürchterlich auf den Sack. Das konnte man vielleicht im Champions League Finale machen und aber auch dort sollte man sich nicht erwischen lassen. „Rote Karte!“, schrie ich. Mein Ruf musste bis nach Bremen gehallt sein. Denn als ich viel später den Spielbericht der eigentlich okayen Fanseite schwatzgelb.de las, war ich über den gepflegten Diss doch sehr erstaunt. Der Schmierfink Web schimpfte mich dort einen Suffkopp und natürlich werde ich mir das nicht bieten lassen und zumindest eine Klage in Erwägung ziehen, dachte ich beim Lesen der Zeilen. Von allen schmierigen Schmierfinken war dieser Web der widerlichste. Er hatte keinen Anstand und keine Moral. Die sogenannte intellektuelle Fanelite der Dortmunder hatte wieder einmal ihre häßliche Fratze gezeigt und ich war Opfer ihrer Angriffe geworden.
In der zweiten Halbzeit spielten wir unseren Stiefel ohne größere Begeisterung runter. Die Bremer Taktik war einfach fehlgeschlagen, am Ende des Spiels war vielleicht eine Torchance rausgesprungen. Ohne Stürmer zu spielen, ergibt vielleicht sogar Sinn, aber ohne Stürmer zu spielen, ergibt ja nur Sinn, wenn die Mittefeldspieler zumindest annähernd torgefährlich werden. Das war bei Bremen nicht der Fall und so konnte Ilkay dirigieren, Hummels immer wieder nach vorne stoßen, Santana mit dem Hinterkopf treffen und gegen Ende des Spiels gab es nicht nur das vielumjubelte Comeback des Nuri Sahin, sondern das nach der Einwechslung Kubas endlich vollständige Polen-Trio zeichnete noch für zwei blitzsaubere Tore verantwortlich. Bremen 0 Dortmund 5, besser als Hamburg 2012. Das Projekt 81 lebte, aber sowas von!
Samstag, endlich Samstag und nicht nur auf dem dünnen Papier meiner Zeitung.
Mein Kopf drehte sich, in der 8 wurde mir schwindelig, ich lag auf dem Bahnboden, niemand scherte sich um mich. Alltag! Ich musste wieder an Dörte denken und ob es richtig war, sie einfach allein im Oderbruch zu lassen. Vor allen Dingen, ob es die richtige Entscheidung für meine Zukunft war. Fußball, Ermittlungen, Alkohol. Da blieb wenig Zeit für Liebe.
Oben an der Haltestelle kamen mir die Tränen. In meiner Abwesenheit musste Dörte in der Stadt gewesen sein. Auf einer Litfaßsäule hatte sie eine Botschaft für mich hinterlassen. Bremen 0 Dortmund 5. Und ich liebte sie so, sie hatte meinen Schmerz gespürt, gesehen, dass der Nebel sich in den letzten Tagen um mein Herz geschlungen hatte. Ich war mir nicht sicher, was mich glücklicher machte. Wahrscheinlich Dörte, dachte ich. Ging in Richtung Wohnung, ging in Richtung Schlaf.
Samstag, endlich Samstag und nicht nur auf dem dünnen Papier meiner Zeitung.