Als das Manchester-Spiel anstand, ersparte ich mir den Weg zu Brankhorst. Irgendwas an seiner Gesellschaft störte mich. Wahrscheinlich einfach war es nur die Art, wie er meine Schwachstelle ausgenutzt und mich wieder dem Alkoholismus zugeführt hatte. Ich schaute mir das Spiel gemeinsam mit Dörte an, wir waren sogar in die Stadt gefahren, tranken Tee, hörten den Liedern der Dortmund Fans zu und mit stolzgeschwellter Brust wiederholte ich „das sind meine Jungs“ und traf doch nur auf Missverständnis. Warum ich mich dann davon losgesagt habe, wollte Dörte wissen und warum ich doch immer wieder für den Oderbruch und gegen den Fußball aussprechen würde. Ich konnte ihr meine Wahrheit nicht erklären, ich konnte ihr mein gebrochenes Herz nicht ausschütten, denn für sie war es immer noch ganz. Und wenn ich an sie dachte, war es immer noch ganz. Aber wenn ich an den Ballspielverein dachte, war es gebrochen. „Borussia, Du bist so groß!“, schrie ich nach dem 1-0 von Reus und nachdem Balotelli seinen Job gemacht hatte, legte ich mit „größer als alle Schiedsrichterentscheidungen dieser Welt“ nach. Ich erntete Unverständnis, Kopfschütteln, Drohgebärden und einen Kuss.
In den nächsten Tagen kümmerte ich mich um Johnny und Mary, der Herbst war jetzt endgültig da, über die Alleen des Oderbruchs zogen die ersten Stürme, der Regen peitschte durch den Kürbisgarten. Abends saßen wir bei Tee mit Rum im Wohnzimmer, immerhin war es nur Rum, immerhin kein Bier. „Warst schon lange nicht mehr bei Brankhorst drüben“, erklärte Dörte. Ich wimmelte sie ab, erzählte was von „jetzt aber mal die Stallung herrichten“, „den Laub beiseiteschaffen“ ,“die Tiere versorgen“. Das genügte. Aber in meinem Kopf drehte sich alles um den kommenden Spieltag, der so wichtig war. Wir würden Hannover schlagen müssen, um in der Liga nicht zu sehr ins Hintertreffen zu geraten. Wir würden Hannover schlagen müssen, um meiner Theorie ein wenig Luft zu geben. Nach dieser Theorie brauchte es ein wenig Zeit, die dann für den BVB arbeiten würde. „Irgendwann zerfleischen sich die Bayern schon“, dachte ich, „irgendwann, wenn sie einfach mal ein paar Spiele verlieren. Natürlich in Folge und natürlich einfach so.“ Dass ich mich dabei gefährlich in die Nähe von Thomas Strunz begab, bekam ich in meinem Rausch nicht mit. Der Rausch, der niemals enden würde. Der Rausch der ewigen Meisterschaft.
Als es nach dem Hoffenheim-Spiel keine Hoffnung mehr gab, und sich zumindest national mal wieder die Bayern die Schale krallen würden, überlegte ich lange, welche der neuen Theorien ich jetzt verfolgen sollte. Nach Doppelmeisterschaften in der Bundesliga hatte Borussia noch immer die Champions League gewonnen, das aber würde unweigerlich auch zu einem italienischen Trainer mit Riesenhänden und in letzter Konsequenz zu einem neuen Michael Skibbe und Zusammenbruch führen. Nach 7 Spieltagen 7 Siege? Das war auch klar, wir würden Meister. Zum dritten Mal in Folge. Und somit zumindest da Neuland betreten. Aber Statistiken waren jetzt alles, was ich hatte. Früher hätte ich in DerSamstag! einfach ein paar erklärende Zeilen geschrieben, und man hätte mir geglaubt, so blieben mir nur meine Statistiken und die Ahnung, dass diese am Ende der Saison nicht reichen würden und die Gewissheit, dass Borussia aber eben auch viel größer als sämtliche Statistiken war und die Sache mit dem Titel ohnehin unerheblich sein würde. Am Ende wollte ich nur ein Sieg gegen Hannover, um nach dem Derby 3 Punkte vor den Blauen zu stehen.