Dort wo die Isländische Straße auf die Norwegerstraße trifft, weit im Norden des Prenzlauer Bergs hatte Sölden sein Büro. Vorderhaus. 3.Etage. Wie in den 90ern, hatte Sölden am Telefon gesagt und so war es auch. Die Räume waren karg. An den Wänden hingen ein paar Goldene Schallplatten. Sölden musste irgendwann mal eine dicke Nummer gewesen sein. Captain Jack, Scooter, Snap. Tief in den 90ern, wie in den 90ern.
In ein paar Regalen standen CDs, eine kleine Reihe war auch mit Vinyl gefüllt. „Willkommen bei Teenage Kicks“, sagte Sölden und deutete auf ein paar Kinositze. „Wir machen Bands bekannter, wir kümmern uns um Musiker. Wir erzählen hier Geschichten. Das sollte Dir klar sein.“ Ich setzte mich, blickte mich um. Definitiv zu alt für diesen Ton, dachte ich im Kinositz sitzend. Zu alt für diesen Typen, der sich jugendlich gab und dessen Zynismus aus jeder Pore seines Körpers herausströmte.
„Und worum kümmer ich mich? Um die Geschichten?“ Ich hatte mir meine Geschichte zurechtgelegt, nur nichts erzählen, dass ich das schon einmal mitgemacht hatte. Für ein paar Wochen. Die erbärmlichsten Wochen meines Lebens. „Um mit nem Vorurteil aufzuräumen. Musik ist kein Glamour. Du wirst auf Konzerten rumhängen und gute Laune verbreiten, wo keine gute Laune ist. Du wirst Dich beschimpfen lassen, wenn es nicht läuft. Und Du wirst Dich nicht wehren!“, brüllte er mich an. „Verdammt, Du wirst Dich nicht wehren! Das ist meine Aufgabe. Geht das in Deinen Kopf rein?“ Ich verstand nicht, wogegen ich mich wehren sollte und warum er mich anbrüllte.
So ging das einige Zeit hin und her. Er schrie, ich stutze. Er zeigte mir meinen Arbeitsplatz. „Kümmer Dich um die Facebook-Seite, das interessiert zwar keine Sau. Sieht aber gut aus! Den Rest machen wir die Tage. Ich habe keine Zeit für sowas wie Dich.“ Ich blickte aus dem Fenster. Vom Gesundbrunnen rollten die Züge Richtung Bornholmer. Mehr konnte ich durch den Novembernebel nicht sehen. Noch war er grau, bald, und wenn ich hier bleiben würde, ganz bald, würde er sich rot färben. Dessen war mich mir sicher.
Die Facebook-Seite von Teennage Kicks war erbärmlich. 35 Freunde, 3 Posts und ein paar Veranstaltungshinweise für Bands, von deren Existenz ich bislang noch nichts gehört hatte. Jimmy & The Railroads, Martin Sheens, Brunswick Beef Experience, Walt Jesperson. Das fing gut an. Ich klickte mich durch ein paar youtube-Videos, die meisten waren in Deutschland nicht freigegeben. Ich wusste nicht, was zu tun war. Das Telefon klingelte. „Bergs, Freier Kurier Odenwald. Ich hätte gerne die neue Sheens. Schickste mir die rüber. Mach ich nen Feature. Macht ja heute sonst niemand mehr.“ „Sheens? Was …“ „Hö. Dich kenn ich gar nicht. Hat Sölden wieder ein paar Schergen angeheuert? Viel Spaß und denk an die Platte!“
Meine Gedanken schweiften ab. Borussia in Amsterdam. Ich rechnete hin und her. Ein Sieg könnte uns den Gruppensieg bringen. Das war verdammt wichtig. Wir mussten als Sieger aus dieser Gruppe raus und ich aus diesem Büro. Aber Piotr hatte einen Plan. Hatte er gesagt. Und irgendwas sollte hier laufen. Sölden saß drüben in seinem Büro und hörte frühe Metallica-Platten. Als ich die Tür öffnete, hatte er gerade eine Line Koks auf seinem Tisch zerhackt. „Du auch?“ „Was?“ „Willst Du auch?“ „Hör auf damit!“ „Musikindustrie, alta!“ Klischee as Klischee can be. Ich setzte mich trotzdem hin, holte meine CDs raus, und fragte nach, ob ich mal was vorspielen könne. Solle ich, sagte er. „Is bestimmt super!“
“Und dann und dann und dann kommt Ajax Amsterdam.” Ich trommelte auf den Schreibtisch ein, holte tief Luft und gröllte: “Ajax ist zum Putzen da, Ajax ist zum Putzen da, Ajax ist zum Putzen da!” „Alter, geht’s noch? Da macht niemand ein Feature, nicht mal ne Rezi ist da drin. Oder willste das ersma viral breaken? Dembowski, ich sach Dir, dat is nix. Da brauchste nen fettes Video, nen dickes Budget und musst ein paar Pre-Rolls buchen. Anders sehe ich das nicht. Und dann haste wirklich gut…Moment.“ Er zog noch eine Line. „ahhh. Dann haste wirklich gut Kohle gelassen. Aber kann der auf Tour gehen? Haste die Rechte an dem Song? Alter. Du hast sowas von keinen Plan.“ „3 Punkte. Bis morgen.“ Das konnte was geben.