„Haben Sie jemals jemanden wie Dembowski gesehen?“, flüsterte Sybille, die mich auf ihrem Belastungstag besuchte, zu dem kauzigen Trinker am Tresen des Oldie-Ecks. Er schüttelte nur den Kopf. „Nein, nein, nein!“ Eigentlich war nichts passiert. Wir hatten das Champions League Halbfinale gesehen, dabei ein paar Gläser geleert. Natürlich war Sybille nüchtern geblieben. Sie hatte mir dabei zugesehen, wie ich hin und wieder aufsprang und ein paar Beschimpfungen in Richtung Fernseher schickte.

Es waren nicht einmal die wüstesten Beschimpfungen gewesen, die mir einfielen. Aber immerhin spielten dort zwei Mannschaften um den Einzug ins Finale und es passierte genau nichts. Niemand hatte sich erregt, niemand hatte wirklich mitgefiebert. Klar, ein paar Gästen waren manchmal aufgesprungen, doch dann war Robben meist schon ins Leere gelaufen oder Kroos hatte aus 20 Metern unmotiviert in die vogelwilden Abwehrreihen der Königlichen geschossen.

In den entscheidenden Momenten aber waren sie auf ihren Plätzen verharrt, hatten sie keine Salven auf den Schiedsrichter geschossen, der das Spiel bereits nach wenigen Sekunden maßgeblich beeinflussen wollten. Sie hatten sich ihrem Schicksal ergeben. Auch wenn dieses Schicksal Finaleinzug verkündet hatte, waren echte Emotionen erst nach dem Ramos-Schuss in den Abendhimmel zu erkennen gewesen. Mich hatte das aufgeregt und nachdem sich nach einer Minute die Euphorie gelegt hatte und man sich jetzt der Verballhornung Chelseas widmete, hatte ich losgelegt, Sybille und dem kauzigen, huttragenden Trinker von meinem Tag erzählt:

„Erst einmal. Respekt! Was für eine Leistung. Was für ein Drama! Toll. Und“, ich blickte zur Sybille, denn ich wußte von ihrer Ramos-Leidenschaft „Ramos hat man das angesehen. Der schießt drüber. Hab ich Dir gesagt. Glitschiger Typ, glitschiger Boden, da kommt man ins Rutschen. Gute Sache. Für uns im Pokal jetzt einfacher. Aber“, jetzt streckte ich die Hand in Richtung Hutträger „der eigentliche Skandal spielt doch ganz woanders. Diese Ruhr Nachrichten, Dortmunder Lokalblatt! Unglaublich! Wählen die also den Spieler der Saison. Also jetzt den Dortmunder Spieler der Saison, weil Fußballer des Jahres wird jetzt sicher Badstuber, weil der so traurig schaut, und die vergessen dabei Lukas Piszczek. Haben wir neulich, Redermann und ich also, zum Spieler des Jahres gewählt. Ist ja auch keine Raketentechnik. Die Ruhr Nachrichten aber stellen den nicht einmal zur Wahl! Scheiße. Das mir das immer passieren muss. Immer! Verfluchte Scheiße!“

Ich hatte nach dem Glas gegriffen, es in einem Zug geleert. Das Glas war mir entglitten und auf dem Boden zerschellt.

„Egal, macht bestimmt jemand weg!“ Die Bierflecken auf Sybilles Rock hatte ich nicht weiter beachtet. „Also. Wo war ich?“ „Raketentechnik. Wahl!“

„Klar! Also. Die stellen da Kagawa, Kehl, Weidenfeller, Lewandowski, Kuba und Hummels zur Wahl. Okay, kann man machen, denke ich mir im ersten Moment. Immerhin verlosen die Tickets für Finale. Aber dann fällt mir ein: Lukas Piszczek fehlt. Ich ruf also bei den Ruhr Nachrichten an. Kurzer Draht. Wir sind Kollegen. Ich kenn die ja. Sind Kollegen. Moment! Machste uns gerade noch einmal ein Gedeck? Danke, bist ein Schatz!“

Für einen kurze Moment hatte ich dann geschwiegen, den Korn im Bier versenkt und runter damit. So mehr ich wieder an die Ruhr Nachrichten gedacht hatte, so wütender war ich geworden.

„Was sagen die mir? Was sagen die mir? Dem Ermittler, dem Top-Redakteur von DerSamstag!? Ich sag es Euch. Die sagen ‘Dembowski, mach mal halblang. Das ist nur eine Wahl. Und ehrlich. Irgendwo müssen wir auch Grenzen ziehen!’ Stellt Euch das mal vor. Bei DIESER MANNSCHAFT Grenzen ziehen. Der Himmel ist das Limit! Nicht eine willkürliche Auswahl von sechs, zugegeben, das kann man nicht abstreiten, sechs wirklich tollen Spieler. Sach ich denen auf jeden Fall: ‘Werdet schon sehen, was ihr davon habt. Shitstorm! Hier kommt er!’. Die antworten natürlich ‘Du hast einen an der Klatsche!’, sagen die immer, wenn denen keine Lösung einfällt. Aber nicht mit Dietfried Dembowski, dem Ermittler, habe ich mir gedacht und meine Kontakte spielen lassen. Jetzt haben die in einer Stunde gut 700 Mails bekommen. Alle wollten Piszczek! Und das Beste, ja das ist wirklich gut: Bei mir kann man jetzt abstimmen! Piszczek zum Spieler der Saison wählen. Sybille, musste auch machen. Die Wahl läuft. Hab auch einen Gewinn. Ich führ die durch den Kiez, und dann hier…. Moment! Machste uns gerade noch einmal ein Gedeck? Danke, bist ein Schatz!“

Für einen kurzen Moment hatte ich dann geschwiegen, den Korn im Bier versenkt und runter damit. So mehr ich an das Pokalfinale und die große Verlosung gedachte hatte, so euphorischer war ich geworden.

„Also. Und dann hier im Oldie-Eck ein Gedeck. Ein Schuß, ein Tor, die Bayern! Geiles Spiel heute. Muss man sagen. Fußball, ich liebe Dich. (Und Dörte!). Is nich schlimm, Sybille, Dich auch. Aber Du hast ja einen an der Klatsche. Sei mir nicht böse. Du bist trotzdem groß! Die müssen also einfach ne email-Adresse hinterlassen. Wenn die wählen. Und dann lose ich. Der Gewinner zieht mit mir durch den Kiez! Wird groß! Ein Schuß, ein Tor, die Bayern! Ruhr Nachrichten rufen also an, sagen: ‘Können wir jetzt nichts mehr machen. Aber unser Fehler. Piszczek gehört da rein. Werden wir würdigen. Aber bei Dir kann man ja wählen. Guter Mann. Dembowski, Sie sind ein guter Mann!’ War ich natürlich unendlich stolz! So ein Lob. Verflixt! Borussia ist die beste Mannschaft der Welt. Hat der Abend heute doch wieder gezeigt!“

Ich hatte in die Runde geblickt, Sybille dann ihre Worte gesprochen. Noch ein Gedeck und wir waren raus in die Nacht. Wählen Sie jetzt, solange es noch geht! Und besuchen Sie Dortmund, solange es noch steht!