Sie holten mich vom Hof, hielten mir eine Ansprache und sperrten mich für den Rest des Tages weg. Mein Verhalten sei eine Schande, selbst für die sogenannten Geisteskranken um mich herum. Ob ich denn keine Rücksicht nehmen könne? Auf ihre Befindlichkeiten und die fragilsten Charaktere der Stadt. Ob ich nicht einmal das könne? Der Ermittler sei am Abgrund und müsse es endlich bemerken.

Halt’s Maul, Deutschland, dachte ich und wähnte mich gemeinsam mit Pascal Fuhlbrügge an der Theke. Doch von Fuhlbrügge war nichts zu sehen. Immerhin hatte ich mir noch vor Tagen ein T-Shirt bei Fidel Bastro bestellen wollen, daraus würde jetzt auch nichts. Ich war ernsthaft sauer, wußte aber immer noch nicht, wieso ich hier war und wer mich überhaupt in die Ranch eingeliefert hatte. Zum Verzweifeln. Oder zum Schlafen. Das tat ich. Es gab nichts mehr zu tun.

Außer am nächsten Morgen aufwachen. Ich musste meine Flucht planen. Doch erst einmal war das „Gute Morgen“ der Schwester und der übliche Plan. Heute eine Visite, dann Gesprächstherapie, von der man mich nach den Erfahrungen des Vortags aber erst einmal ausschloss. Bastian, Marianne, Sybille und der ganze Rest seine einfach zu sensible, der Spanier habe sich sogar krank gemeldet, hieß es. Dafür brummten sie mir am Nachmittag ein Schreibtherapie auf. 

Ich vertrieb mir den Tag mit möglichen Szenarien in der Liga. Hatten die Bayern in Nürnberg gewinnen können, war Otto noch Trainer? Hatte Borussia wirklich 4-0 gegen Stuttgart geführt oder war mein Zusammenbruch auf andere Dinge zurückzuführen. Damit ließen sie mich hier weiter im Dunkeln. Es gab keine Antwort auf meine Frage. Mein debiler Bettnachbar hatte zwar einen Bayern-Sieg erwähnt. Aber er war eben auch nur mein debiler Bettnachbar. 
Irgendwann wurde es Nachmittag. Mein Essen hatten sie mir aufs Zimmer geliefert, ich hatte wahnsinnigen Durst, wollte im Oldie-Eck abhängen, doch Alkohol war nicht und würde hier auch nie sein. Verdammt! Wieso nicht Helgoland, dachte ich, als sie mich holten. Schreibtherapie. Es hörte sich grauenhaft an. Wir gingen über den Hof hinüber zu einem Wirtschaftsgebäude. Dort setzten sie die kleine Gruppe hin. 
Sie gaben uns eine Aufgabe. Schreibe über Deine Ängste. Schreibe über Deine Furcht. Schreibe über dies! Schreib über das! Ich bezweifelte, dass überhaupt jemand hier in der Lage war, ein paar Worte zu verfassen. Sie schauten aus leeren Augen auf das Papier. Sie hielten einen Stift in der Hand, wahrscheinlich hatten sie bis auf eine Unterschrift in letzter Zeit wenig Stifte in der Hand gehalten. Später, erklärte uns die Therapeutin, würden wir uns die Texte gegenseitig vorlesen und dann drüber reden. Tolle Sache! Für mich immerhin eine Gelegenheit, den verpassten Kommentar auf Papier zu bringen. Für meine Unterlagen only. Aber immerhin.

Das Grauen
(berlin / 04.04.2012) Es war alles angerichtet! Der Sekt stand kalt. Manch einer bereits unter der Meisterdusche. Doch nach einer 4-4 Pleite gegen Labbadias Mannen siegt nur der Zweifel. So wird das nichts mit der Meisterschaft. Eine Pleitenabwehr! Ein Stadion, das nicht mehr hinter der Mannschaft steht. Was Borussia Dortmund sich in den letzten Monaten erarbeitet hat, reißen sie nun mit dem Arsch wieder ein. Die Pleite-Borussen müssen so auch um die Champions League-Teilnahme bangen. Jetzt heißt es nicht Rubbeldikatz am Borsigplatz, sondern Rubbeldikatz inne Premiere League! Diese Mannschaft hat ihre Zukunft hinter sich. Das ist die bittere Erkenntnis aus der Stuttgart-Pleite. Für das Bayern-Spiel besteht keine Hoffnung mehr. Schenkt ab! Bevor sie Euch einschenken! Rufe ich den jungen Borussen zu! (dembowski / DerSamstag!)

Es war nicht mehr als eine Schreibübung für einen imaginären Spielverlauf, aber so war es gelaufen, da war ich mir sicher. Sonst wäre ich nicht hier. Ich war weit vor den anderen Psychos fertig. Überlegte, ob ich jetzt auch ein Psycho war oder wie ich mich jetzt nennen wollte. Später würde ich sicher „Flüchtling“ heißen. Aber sie hatten mir gesagt, ich sei aus freien Stücken hier und könne jederzeit gehen. Das würde ich machen. 
Jetzt aber erst einmal die Therapeutin ertragen, die neben mir stand und interessiert auf mein Blatt schaute. „Das ist ihre größte Angst?“ „Na klar, wenn wir die Meisterschaft verspielen, dann drehe ich durch!“ „Aber aus dem Grund sind sie doch hier“ „Was? Wir haben die Meisterschaft verspielt?“ „Ich denke, Sie wissen schon ganz genau, was ich meine!“ Sie ließ sich nicht in die Karten schauen. Zog dann aber weiter. Vereinzelt hatten die Psychos jetzt ihre Stifte hingelegt. Die Therapeutin drückte mir wahllos einen Zettel in die Hand, die Stühle wurden zu einem Kreis zusammengerückt. „Dann wollen wir mal, Herr Dembowski! Lesen Sie ruhig vor!“

Da stand:

Meine größte Angst ist, dass ich anderen Leuten Angst mache, indem ich Angst habe. Es ist keine echte Angst. Die Angst fühlt sich nach Wut an. Aber sie ist doch eine Angst. Bin ich wütend und verängstigt, sagen sie zu mir: Du darfst nicht wütend und verängstigt sein. Das macht uns Angst, weil dann andere Leute Angst haben und die Angst überträgt sich dann auf alles um Dich herum. Sie sagen, ich überziehe die Welt mit der Angst und mache sie damit kaputt. Die Welt, sagen sie, sei bunt und vielfältig. Doch mit meiner Angst, sagen sie, reduziere ich die Welt auf die Farbe Grau. So schreibe ich mit letzter Tinte. Die Angst, die mir geblieben ist, steht vor der Tür. Dort wird sie bleiben. Die Welt soll vielfältig bleiben. Mein größte Angst ist, dass ich irgendwann keine Angst mehr habe.

Ich verstand kein Wort, schaute mich im Raum um, ein paar Münder waren offen, doch das waren sie bereits vorher, ein Mädchen schaute verstohlen zur Seite und die Therapeutin stand in der Mitte des Kreises und schrie laut „Bravo! Danke! Offene Worte! Du bist auf dem richtigen Weg, Laure!“ Es musste das verstohlen zur Seite blickende Mädchen sein. Sie also überzog die Welt mit ihrer Angst. 

Ich stellte mir die Angst vor. Sie war sicher der Zuckerguss auf ihrem Wutkuchen. Lecker! Überhaupt ein tolles Mädchen, diese Laure. Aber hatte sicher einen Hau. Sonst wäre sie nicht hier. Die waren ja alle nicht ohne Grund hier, im Gegensatz zu mir, der da nur reingeraten war. Laure, Bastian, Marianne, Sybille, Frank und Ronny. Alle waren sie hier. Alle hatten sie einen Grund! Ich beschloss in der Nacht zu flüchten. Jetzt lasen sie meinen Text vor, doch in Gedanken war ich bereits auf Helgoland!