In meiner Abwesenheit hatte sich die Welt nicht verändert. Zumindest sagten das die Zeitungen. So viel Ruhe. Natürlich: Die üblichen Meldungen über Kriege, Aufstände, Rücktritte, Schuldenschnitte und den anderen weltlichen Kram hatten auch in den vergangenen drei Tage die Schlagzeilen dominiert. Doch der schleichenden Verfall der Menschheit nötigte mir nicht einmal ein Schulterzucken ab. Das war so, seitdem meine Vorfahren denken konnten.
In der neuen 11 Freunde-Spezial las ich vom Dicken aus Hamburg. Wie immer konnte er sich die Sprüche nicht verkneifen. „Regeln und Knochen werden gebrochen“, verkündete er zum Abschluß seiner Lebensgeschichte augenzwinkernd. Oder eben durch den Fleischwolf gejagt, dachte ich zum Plattenregal schlendernd. Baumwolllitze. Der glückliche Klang der Wut! Es gibt immer was zu tun! Drei Tage lang hatte ich bis auf die erstaunliche Meldung aus Barcelona den Ballsport komplett ignoriert. Jetzt, da ich wieder eintauchte, loderte es in mir. Der Spieltag konnte kommen.
Ein kurzer Blick auf die anstehende Spiele reichte mir jedoch. Da würde nichts passieren. Die Hässlichen Drei der Fantastischen Vier hatten in dieser Runde ein Freilos. Nicht die Blauen gegen Hamburg, nicht die Ponys gegen Freiburg und nicht einmal die Bayern gegen Hopp würden Punkte liegen lassen. Der Druck lag in dieser Woche auf uns. Jede Serie findet einmal ein Ende, denn mit jeder ausgebauten Serie steigt das Selbstvertrauen, bis es immer aus unverständlichen Gründen in Selbstzufriedenheit umkippt. Ein Blick in die Dortmunder Presse, ein Blick über die Foren.
Es wurde mir klar: Wenn es einen Spieltag des Scheiterns geben würde, dann stand er direkt bevor. Augsburg, von allen sogenannten Experten als schwächste Mannschaft der Liga ausgemacht, hatte sich in den letzten Wochen bekrabbelt. Nun war es nicht so, dass wir in der Rückrunde nur auf Fallobst getroffen wären. Hamburg trat mit einer Serie an, Mainz und Hannover spielten beeindruckend stark, Leverkusen kam, mit Ausnahme der Champions League, nach der Niederlage in Dortmund in Fahrt und sogar die Franken kassierten zwei ihrer nur vier Rückrundengegentore gegen uns. Über Hoppenheim und Berlin musste man nicht reden. Beide Mannschaften waren ohnehin erledigt. Beide Mannschaften hatten aus unterschiedlichen Gründen keine Zukunft.
Langsam beruhigte ich mich. Bruder Leichtfuß würde vielleicht in München einen Gastauftritt geben, dass er es danach aber die paar Kilometer bis nach Augsburg schaffen könnte, erschien mir auf einmal zweifelhaft. Noch einmal ging ich den Spieltag durch. Es gab diesmal viele Spiele, die bereits vorher entschieden waren. Die krisengeschüttelten Lauterer konnten sich ihre Reise nach Stuttgart sicher ersparen. Dort warteten nur Gegentore und Demütigungen auf den Abstiegskandidaten #1.
Der Tag klang schnell aus. Die unendlichen Stunden in der Kneipe hatten an meiner Kraft gezerrt. Früh fiel ich in den Schlaf. Als ich am Morgen das Ergebnis des Freitagsspiels sah, fragte ich mich, ob ich in der Kneipe vielleicht einen Kampf gegen Komaroff gewonnen, dafür aber meine Ermittlerfähigkeiten verloren hatte. Irgendwas würde passieren. Egal was. Es würde passieren. Ich zog mich an und machte mich auf den beschwerlichen Weg nach Kreuzberg. Es fühlte sich an wie der letzte Gang.