Was bisher geschah:
Nach einer Auszeit in Frankfurt/Oder kehrt Dembowski zurück in den Kiez. Noch einmal denkt er an seine Worte zu Saisonbeginn. Nichts würde gut werden, hatte er gesagt. Alles war so eingetroffen. Hagenberg-Scholz hat in der Zwischenzeit seine Datenerhebung verfeinert, er vermisst nun den Fußball. Auch hat er Craft Beer für sich entdeckt. Auf dem Platz rauscht Dortmund in die nächste Krise, Schill besorgt sich einen neuen Bademantel. Nachdem die beiden Freunde nach einem der seltenen Dortmunder Erfolge in der Goldenen 16 abgewiesen werden, taucht im Soldiner Eck ein mysteriöser Spielerberater auf. Er überzeugt den Ermittler, der sich mitten in einem Krieg wähnt. Klopp muss Borussia Dortmund verlassen. So ist die Beschlussfassung. Dembowski ruft bei einer Dortmunder Zeitung an. Versetzt dem langjährigen Übungsleiter dadurch den Todesstoß.
Nach Dembowskis Anruf bei der Dortmunder Lokalzeitung, konnte auch der BVB das Ende nicht länger hinausschieben. Es dauerte noch einen Tag, dann griffen die üblichen Mechanismen des Geschäfts.
Die Wanderwelle wurde, sehr zur Freude Schills, in Hamburg ausgelöst. Für Peter Knäbel war das Experiment Bundesliga nach bereits zwei Spielen beendet, aber, obwohl der Vertrag nach Ansicht einiger dem Verein nahestehender Personen und ihren Sprachrohren bereits wasserfest war, weigerte sich Tuchel die Unterschrift unter den Vertrag zu setzen. Er hatte sich längst dem BVB versprochen, wartete nur auf das Zeichen.
Während der BVB auf der hastig einberufenen Pressekonferenz das Ende der Klopp-Jahre bekanntgab, Watzke heulte, aus einem Rücktritt eine nationale Tragödie und ein internationaler Transfer-Thriller wurde, saß Dembowski am Ufer des kleinen Teichs auf seiner Lamafarm im Oderbruch.
Dembowski beobachte Koi, und Koi beobachtete Dembowski.
Ein Winter war vergangen. Ein Winter ohne Dembowski.
Koi hatte sich zurückgezogen. Da es gerade nicht Sommer war, vergründelte er seine Zeit an den tiefsten Stellen des Teichs, der nach einer Erweiterung durch Dörte nun bereits zu einem veritablen Badesee angewachsen war. An einigen Stellen betrug die Wassertiefe nun 4.32m. Koi war geschützt, aber auch genervt von den Barschen, der neuen Kolonie dreistachliger Stichlinge und den Grasfröschen, denen die Baumaßnahmen einen neuen Überwinterungsplatz geschaffen hatten.
Dörte nervte ihn. Manchmal, wenn er morgens kurz auftauchte, sah er sie mit einem Lama über das Gelände der Farm spazieren. Doch ihr Interesse für Koi hielt sich in Grenzen, und Kois Interesse für Dörte schlug in Verachtung um. Für sie, dachte Koi, begannen die Lebensformen dieser Erde erst mit der Ordnung Paarhufern.
Weil sich allerdings Koi trotz der neuen Gesellschaft im See ohne die Besuche Dembowskis sehr einsam fühlte, trieb er am Abend des 14.04. auf dem Rücken liegend an der Wasseroberfläche. Es war ein stummer, besorgniserregender Schrei nach Aufmerksamkeit. Dörte hatte den Ermittler sofort informiert. „Ich mache mir Sorgen um Koi“, hatte sie am Telefon gesagt und Dembowski war direkt am Morgen aus dem Haus gestürmt.
Jetzt saß er am Ufer und Koi beobachtete ihn.
„Diese Einsamkeit“, schien er zu sagen. „Ich halte sie nicht mehr aus.“
Mit einer seiner Flossen zeigte er in Richtung Seeufer. Ein paar Grasfrösche sonnten sich.
„Was machen die denn hier? Das ist dein verdammter See. Und nicht der von dahergelaufenen Grasfröschen, und auch nicht der von Molchen, Stichlingen, Barschen. Möge Sie der Reiher holen!“
Dembowski war außer sich. Kois Augen strahlten. Er hatte den Choleriker vermisst.
„Möge Sie der Reiher holen“, wiederholte er.
Irgendwann gesellte sich Dörte zu Fisch und Freund.
„Du musst Dich mehr um ihn kümmern. Er ist auch nur ein Karpfen.“
„Dietfried. Ich habe hier eine Farm. Eine ganze Farm. Und Du willst, dass ich mich um diesen Karpfen kümmer. Er ist auch nur ein Fisch. Das ist der Punkt. Ich habe hier Lamas. Paarhufer. Welch wunderbare Geschöpfe.“
„Ach, Dörte!“
„Ach, Dietfried!“
Sie umarmten sich. Auf ihrem kleinen Stück Land im Oderbruch war ein kleines Paradies entstanden. Midnight Oil beschallten diesen Nachmittag.
„Out where the river broke. The bloodwood and the desert oak.“
Am Abend war Dembowski zurück im Soldiner Kiez. Er las alles über den Rücktritt und Ferundulas Nachricht.
„Deal done! This summer!“
So war es.
Im Mittelmeer sanken Schiffe, vereinzelt brannten Flüchtlingsheime, die Vorratsdatenspeicherung machte das Land jeden Tag ein wenig sicherer.
In München hatte jemand den Panik-Button gefunden, der Traum von der ewigen Jugend zerbrach an einer Niederlage. Der Verein handelt nach Klub-TV-Maßstäben, sorgte damit für eine kurze Erregungsblase bei den üblichen Verdächtigen. „Nicht mit uns“, schrien sie und hatten doch keine Wahl.
Dembowski nahm das alles nur am Rande wahr. Immer passierte etwas, immer war Krieg. Ohne Aufregung kein Geschäft. Alle spielten ihre Rolle perfekt.
Ridley Ferundula saß auf seinem Hausboot. Klopp war weg. Der erste Schritt. Nun musste er ihm ein Verein besorgen. Schneller sein. Er handelte auf eigene Rechnung. Er musste seine Karten ausspielen. In England auf die besten Verbindungen nach Deutschland pochen. Dembowski würde ihm schon helfen. Er hatte ihn mit einer kurzen Nachricht gelockt. Sie versprach großes Geld, ein Stück Freiheit. Diese zu erlangen, das wusste Ferundula, war Dembowskis Antrieb.
Hauke Schill ersetzte seinen Peter Knäbel-Bademantel durch einen Labbadia-Mantel.
Justin Hagenberg-Scholz schrieb einen Klopp-Nachruf. Er wollte ihn richtig würdigen. Dembowski würde stolz sein. Der stand auf Emotionen.
Am Samstag trafen sie sich bei Schill.
Der BVB gegen Paderborn. Das erste Spiel vom Ende.
Klopp trug einen Schutzpanzer. Das Westfalenstadion blieb ebenfalls unauffällig.
Dembowski spazierte erst mit dem Anpfiff ins Soldiner Eck.
„Justin hat schon auf Dich gewartet. Wirklich ein tolles Stück!“
Schill deutete auf Hagenberg-Scholz.
Dembowski sah ihn über einem Stück Papier gebeugt. Er betete.
„Schieb ma ne Bier rüber! Wo ist dieser Agent?“
„Keine Ahnung. Diese Hamburg-Geschichte werde ich ihm nie verzeihen. Musste mir schon wieder einen neuen Bademantel machen.“
„Gnihihi. Ja. Da war doch was. Zufrieden mit Bruno? Ich fürchte, Justin hat das was vorbereitet. Das Papier macht mich noch ganz nervös. Wo ist sein Tablet?“
Es lag auf einem anderen Tisch im Nebenraum. Daneben stand ein kleiner Beamer.
„Er nennt es Echtzeitprognosen.“
Schill drehte sich um. Dembowski sah einen riesengroßen „Bruno will save us all!“-Schriftzug. Darunter Bruno mit Schnurrbart und Raute. „Nur der HSV!“ schrie Schill. Gerade da spazierte Ferundula in die Kneipe.
„Kehlt macht es!“
Seine Worte verhallten in der Tristesse des Samstagnachmittags.
Der Ermittler schlich ein paar Meter weiter zu Hagenberg-Scholz.
„Dembowski, ich wollte Dir da mal was zeigen. Hier…“
„Wasn das?“
„Einfach mal lesen. Hab das schon hochgeladen. 4.000 Zugriffe.“
Hagenberg-Scholz reichte Dembowski einen Papierberg. Es war ein Text über die Klopp-Jahre. Er war hochemotional.
„Nie mehr“, schrieb Justin, „werde ich einen Trainer so lieben wie Dich, mein Jürgen! Du hast uns aus der Dunkelheit ins Licht geführt. Ohne Dich ist alles grau. Du hast uns mit Deinen Worten gefangen, Du hast uns von unseren Lähmungen geheilt. Wir sind durch die Liga gerockt, wir waren die leidenschaftlichsten Vollgasveranstalter der Neuzeit. Du hast uns den Glauben an die Romantik zurückgegeben. Lieber Jürgen“, schrieb Justin, „ich möchte das genauer ausführen.“
Es folgte der übliche Bullshit. Am Ende lief alles immer nur auf die Erfolge hinaus. Und das war doch das Problem mit Klopp. Die Zeit der Erfolge war vorbei. Klopp hatte es eingesehen. Hagenberg-Scholz lebte in der Vergangenheit. Dembowski zerriss das Papier.
„Beschäftige Dich besser weiter mit der Vermessung der Borussia. Das ist unerträglich! Alter! Hast Du kein eigenes Leben?“
„Aber…Bill Shankley….“
„Wasn mit dem?“
„Some people believe football is a matter of life and death, I am very disappointed with that attitude. I can assure you it is much, much more important than that.”
“If you are first you are first. If you are second you are nothing. Wir sind 10. Und schau Dir den Scheiß da mal an!“
Dortmund wehrte sich mit Händen und Füßen gegen eine Niederlage im Heimspiel gegen den SC Paderborn 07. Man konnte es eigentlich keinem erzählen. Zum Glück honorierte Schiedsrichter Dr. Felix Brych aus München den verzweifelten Kampf der Borussen, versagte Paderborn einen Elfmeter.
Hagenberg-Scholz ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken. Er saß nun vor seinem Tablet. Auf einer Leinwand veränderten sich die Prognosen. Dortmund schielte wieder in Richtung Tabellenkeller.
„Die laufen auf 13 ein. Das dürfen die nicht. Auf geht’s Dortmunder Jungs, schießt ein Tor für Klopp!“
Mkhitaryan, Aubameyang und sogar Kagawa trafen. Die Projektion zeigte nun den fünften Platz der Dortmunder an. Als Absteiger wurden Freiburg, Stuttgart und Paderborn genannt, wobei die Breisgauer sich in die Relegation retten würden.
„Wie soll das gehen?“
„Paderborn war die größte Hürde. Der Klopp-Faktor. Die Wende. Dazu fließen natürlich noch Werte wie Passgenauigkeit und Kombinationssicherheit, sowie die aktuellen Verletzungen und die Rückkehrprognosen mit.“
„Und was ist mit dem Dino?“
Hagenberg-Scholz nickte in Richtung Schill.
Ferundula drückte Lage rein.
„Doch pass auf! Auch Panzerwagen haben eine weiche Stelle! Faust auf Faust! Hart ganz hart!“ sangen sie im Kneipenchor. Klopps Faust schlug auf seinen Panzer. Auf das BVB-Logo auf seiner Brust.
„Das müssen die spielen! Das ist Klopps Song! Ich ruf da an.“
Hagenberg-Scholz weinte.
Ferundula sprang zum nächsten Lied.
„Und wenn ich geh, geht nur ein Teil von mir und gehst Du, bleibt Deine Wärme hier.“
Hagenberg-Scholz hielt es nicht mehr aus.
„Ich muss raus. Wie soll ich das gegen Bremen nur ertragen?“
„Schill, mach ma nen Bier. Endlich ist das Weichei weg. Morgen Frühlingsparty im Campo. Und Ridley, was ist denn jetzt mit Kehl?“
„Der wird Co-Trainer. Tuchel macht es.“
„Und mit Klopp?“
„Wenn ich das nur wüsste. England. Bin da mit einigen sehr vielversprechenden Vereinen im Gespräch. Newcastle sucht einen neuen Trainer. Hab diesen Mike Ashley neulich an der Strippe gehabt. Interessanter Mann mit großen Visionen. Der will aus den Magpies ein zweites Dortmund machen.“
„Aber ist nicht Gelsenkirchen die Partnerstadt?“
„Das ist Ashley egal. Der muss liefern. Er steht unter Druck. Der Verein arbeitet mit Profit, ist sein Pardew ruderlos. Wie der aus dem Deal gekommen ist, bleibt mir, das muss ich sagen, ohnehin ein Rätsel. Die Geordies erzählen viel, und immer geht es um Geld. Um Knebelverträge!“
„Knäbel? Zu Newcastle! Immer gerne. Ich leg mein Bademantel…“
„Schill. Komm ma runter. Es geht um Klopp. Du hast hier gar nichts zu melden. Mach Ferundual mal nen Bier klar.“
„Also. Ashley wollte den Verein abstoßen. Klappt nicht. Jetzt muss er die Fans beschwichtigen. Da kommt Klopp gerade recht. Ein Arbeiterverein mit großer Tradition. Die wollen ihn.“
„Ich kann Dir wirklich nichts versprechen. Auch wegen Gelsenkirchen.“
„Willst Du hier raus? Dann kümmer Dich.“
Dembowski kümmerte sich, aber erst einmal um die Frühlingsparty im Campo.
Bis auf Hagenberg-Scholz kam niemand.
Der BVB verkündete die Tuchel-Verpflichtung. Ein Strahlen huschte über Justins Gesicht.
„Er ist der Rule-Breaker! Er erfindet Fußball jeden Tag ein wenig neu. Er kann Ballbesitz und er setzt die Trends. Die perfekte Wahl für den BVB! Wirklich. Ein außerordentlicher Trainer mit außerordentlichen Fähigkeiten. Hast Du gestern Mkhitaryan gesehen? Der wird unter Tuchel aufblühen. Es gibt nur einen logischen Trainer für ihn. Der ist jetzt da! Bald.“
„Der Pilot? Aus dem wird nichts mehr.“
„Deine Art ist unerträglich. Wie Du über Menschen urteilst.“
„Das sind keine Menschen. Das sind Avatare.“
Hamburg verlor in Bremen. Später am Abend stieß Schill hinzu. Er wusste nicht mehr weiter. Und schwieg. Hagenberg-Scholz und Dembowski respektierten seine Trauer.
Einer träumte vom Klassenerhalt, und einer von Tuchel und Dembowski dachte an Koi. Er würde ihn bald wieder besuchen. Ein Rabe beobachtete sie. Ohne Träume sind wir nichts, dachte Dembowski. Klopp sagte West Ham United ab. Der erste Schachzug Ferundulas war geschickt.