Nicht einmal der 6-1 Erfolg gegen Stuttgart konnte mich sonderlich mitreißen. Nicht einmal die Niederlagen gegen Arsenal und Wolfsburg mich verstören. Ich war satt. Ich war müde. Träumte von der Lamafarm am Rande der Welt, lebte in die kurzer werdenden Tage hinein, saß in den Straßencafés rum, jetzt hinter den Scheiben, konnte nur noch auf die Straßen blicken, die immer grauer, immer trister wurden.

Der November hat sich das Jahr geholt, dachte ich und nahm dann meist noch einen tiefen Schluck, um meinen Gefühlslosigkeit zu besiegen.  Es gelang mir nicht. Ich spürte immer weniger. Ich spürte eine Schwere in mir. Es war kein Nebel, es war endgültiger als der Nebel, der sich, das hatte ich gelernt, legen würde. Irgendwann. Meist.

Ich war jetzt häufiger in einem kleinen Café direkt am Ufer der Panke, auf der falschen Seite. Dort, wo sich die Kinderwagen, die Hundebesitzer, die Jogger für einen kurzen Moment weit entfernt der Stadt sahen, bevor der Sound der landenden Maschinen die Illusion zerstörte. Sobald das Café schloss, zog ich weiter. Entlang der alten Mauerreste. Bis zur Ecke Wollank. In Richung Norden ging es in den Osten, in Richtung Süden in den Westen und im Osten hatten sie die letzte Flucht der Straße geschlossen.

Ich war im Süden zuhause. Ich sehnte mich weiter in den Norden, in den Osten. Aber die Lichter der Wollank schienen im Süden heller, die Kneipen waren dunkler, die Menschen grauer, die Autos älter. Ich war erkrankt. An der Kälte. Die ich mit dem Neonlicht, mit der Dunkelheit und mit den durch die Dunkelheit strömenden Menschen besiegen wollte. Ich war erkrankt. Keine Heilung drin. 

Auf alten Aufnahmen sah ich die Umrisse meiner alten Identität. Auf alten Platten hörte ich die Schattierungen des Nebels nach. Alles blieb passiv. Es war eine Dunkelheit, die ich nicht kannte. Es war eine Dunkelheit, von dessen Existenz ich mich beeindrucken ließ. Die mich zerstörte, die mir lebensbedrohlich erschien. Die mir derart zusetzte, dass ich für einige Tage nicht an Dörte, nicht an die Farm, nicht an Koi gedacht hatte.

Eine Entfremdung. Eine Distanzierung. Von mir. Von dem, der ich war. Ein Licht, dass jeden Tag dunkler wurde. Ich konnte es verkaufen. Ich konnte meine Rolle spielen. Es war keine schwere Rolle. Der harte, hart-trinkende, nörgelnde Ermittler, der ich nicht mehr sein konnte, der aber weiter da war. Der in Kneipen saß, den Sound des tristen Alltags zu seinem Motor gemacht hatte.

So sehr ich gegen die Dunkelheit ankämpfte, desto mehr hüllte sie mich ein. Manchmal reflektieren neonlichternde Blitze einen Gedanken, der im nächsten Moment vom schwarzen Nichts umhüllt war.

Genau in diese Zeit der vollkommenen Dunkelheit fiel es, dass die Lage in Dortmund immer explosiver wurde. Die Nachricht der Subotic-Verletzung löste einen bedrohlichen Wirbel aus, der die Krise noch verstärkte.

Jerder schrieb Artikel, die ihm gerade passten. Jeder hatte eine Meinung, die ihm gerade passte. Und jeder kämpfte für die Wahrheit.

Jeder nahm sich die Artikel, die ihm gerade passten, und rieb sie seinem Gegenüber unter die Nase. Mal war es die mangelnde Qualität, mal waren es verfälschte Zitate, mal waren es genaueste Beobachtungen über die Probleme auf der rechten Seite. 

Ein paar Jahre nach Magaths Schach-Aussagen war Fußball für den einen Teil längst durchschaubar, planbar und auf der anderen Seite durchkalkuliert, wegmanipuliert und effizient organisiert. Der Zuschauer blieb auf der Strecke, aber der Zuschauer, der andere Zuschauer, war ohnehin zu blöd.

Die neue Elite, die den Fußball und somit auch die Borussia – und gerade jetzt natürlich vor allen Dingen die Borussia, es war Krise und jeder hatte eine Meinung, einen Lösungsansatz oder eine Rechnung offen – auseinandernahm, blickten, so schien es mir, mit Verachtung auf die, die den Fußball nur als Unterhaltung begriffen.

Diese neuen Eliten verstand ich nicht. Und vielleicht war es das, was mich so verstörte. Ihre Verachtung langweilte mich. Fußball war für die Menschen da. Für die Arbeiter und Arbeitsloser, für die Sozialisten und für die Konservativen. Für Trinker und Tagelöhner. Keine Ahnung. Für alle eben. Und Fußball lebte davon, dass es Menschen als Unterhaltung, als Weltenflucht diente.

Die neue Elite aber sah ihre eigene Weltenflucht als die alleingültige Wahrheit an. Alle anderen Wahrheiten störten. Die neue Elite war eine allwissende Verbotselite. Sie langweilte mich. Aber wahrscheinlich wussten sie auch das besser.

Immerhin, wenn ich an sie dachte, spürte ich endlich was. Bevor sich die Dunkelheit wieder über mich legte. Es gab so viele Gründe, all diese Orte zu verlassen.