Bei meiner Rückkehr nach Berlin hatte ich überhaupt nicht darüber nachgedacht, ob ich in den Wedding zurückgehe oder nicht doch in einen der momentan angesagten Stadteile ziehe. Alleine die Vorstellung vor der Tür auf Touristen zu treffen, war mir zuwider. Wenn ich vor die Tür trat, wollte ich das Leben der Stadt vor mir haben. Das Leben der Menschen in der Stadt. Davon ernährte ich mich, die Eckkneipe des Weddings speisten mich und wenn ich jetzt rückblickend an meine Rückkehr dachte, war es auch nie eine Frage gewesen, ob ich in den Soldiner Kiez zurückkehrte oder nicht. Der in den Polizeiberichten, und davon gab es eine Menge, als Gesundbrunnen ausgewiesene Bezirk war vielleicht der letzte ursprüngliche Ort in Berlin.

Nachdem ich Piotr in der Kaminhandlung getroffen hatte, wollte ich mehr über diesen seltsamen Ort in einem der wenigen Altbauten entlang der Prinzenallee erfahren. So verlegte ich meine schweren Gedanken für ein paar Stunden in das Schaufenster in der Prinzenallee. Sascha kam aus der Pfalz, betrieb den Laden schon seit längerer Zeit. „Ich wohne hier“, erklärte er mir und servierte den nächsten Wein. „Garantiert aus Ungarn, Bulgarien oder so“, lachte er mich an. Es war mir egal, woher der Wein stammte, solange er auf dem Tisch stand und ich mich an den Tischen inmitten dieser Kaminstallationen betrinken konnte. Ich fragte Sascha nicht weiter aus. Seine Ausführungen begannen mich schon nach wenigen Minuten zu langweilen. Oder vielmehr konnte ich seinen Ausführungen über Frau und Hund und die Möglichkeit einer unterirdischen Kanustrecke im Gesundbrunnen nicht mehr folgen. Ich war auf dem Sprung, immer auf dem Sprung.

Ein paar Fetzen vernahm ich noch. Wahnsee, Tilman Rossmy, die Konzerte Anfang der 00er, der Keller, im Exil. Sascha hatte sich seine Existenz im Wedding aufgebaut. Anders als das nur eine Ecke weiter liegende Oldie-Eck, setzte er auf Kultur, wollten den jungen Leuten eine Heimat geben. Das gab es hier also auch. Aber es war nicht mein Metier. Gesetzte junge Leute gab es auch im Prenzlauer Berg. Bei Sölden, wie ich in der Kaminhandlung sitzend dachte. Aber vielleicht konnte ich mit Sascha zusammenarbeiten. Ich musste mich vernetzen. Jetzt! Und nicht erst, wenn Sölden mich darum bat und er würde mich drum beten.

Am späten Nachmittag machte ich mich auf den Weg, an der Stockholmer ging ich über die Pankebrücke, ein paar Einkaufswagen trieben in der herbstlichen Panke, die Bäume trugen ihr goldenes Kleid, die Bauten der Kolonie ragten trist hinter den Bäumen hervor. Ich ging zwischen den Häusern entlang auf die Koloniestraße. Ein paar Kinder spielten auf der Straße, vor den Häusereingängen standen ein paar Menschen, rauchen, spuckten Sonnenblumenkerne auf die Erde, tranken Tee.

„Dembowski, Alta!“ Man erkannte mich hier. Immerhin hatte ich hier fast ein Jahr gelebt und hatte mich mit dem Schutz der Straße frei bewegen können. Den Legenden der No-Go-Kieze schenkte ich keinen glauben. Die Häuser blätterten, manch eines hatte aber auch in den letzten Jahren ein wenig Farbe bekommen. Auf der Straße gingen sie ihren Geschäften nach, und wenn ich auch manchmal nicht wissen wollte, was das für Geschäfte waren, so sahen die meisten Menschen hier einigermaßen zufrieden aus. Entweder hatten sie sich ihrem Schicksal gefügt, oder aber sie hatten überhaupt nichts anderes erwartet. „Dembowksi, Alta! Kollege sagt, ich seh scheiß aus! Stimmt das?“ Ich taxierte die Gruppen. Vielleicht vier Jugendliche auf der einen Seite, 10 auf der anderen Seite. „Was immer er sagt, Tarik“ „Alta, Dembowski! Empörung!“ Sie lachten und schoben mir ein paar Sonnenblumenkerne zu.

Ich stand noch eine Weile mit ihnen rum, blickte auf das Oldie-Eck mit seinen verlockenden Bierpreisen und dachte an die Geschichte mit Komaroff, bald an Borussia, bald daran, wie sehr ich dies e Gegend hier liebte und wie sehr ich Dortmund als Stadt mittlerweile verachtete. Sie war, ohne es zu merken, in den Jahren der SPD-Regierung weit nach rechts abgedriftet. Sie trug, ohne es zu merken, brutale Gedanken in sich. Sie schloss, ohne es zu bemerken, das Andere aus ihrer Existenz aus.

Die Stadt war durchzogen von homophoben, rassistischen, kleinbürgerlichen und erz-konservativen Ideen. Nicht einmal an konkreten Beispielen konnte ich das festmachen. Aber es war so, dessen war ich mir an der Ecke Soldiner/Kolonie stehend sicher. Das Nachtreten brachte mich nicht weiter, doch alles mit Dortmund zusammenhängende erzürnte mich, außer die Borussia, die begeisterte mich weiterhin. Wenn auch nur noch aus der Ferne, dachte ich an der Straßenecke stehend, ging rüber ins Oldie-Eck und verbrachte den Abend an der Theke. Doch ohne Komarroff war das Oldie-Eck nur eine weitere Kneipe.