In Grzechotki, am Rande Europas, stehen zwei alte Bauernhäuser in Sichtweite der Grenze zur russischen Enklave. Acht Stunden vom Robert-Koch-Institut am Berliner Nordufer entfernt hat es sich der Ermittler des Jahres 2020, hat es sich Justin Hagenberg-Scholz in den vergangenen Wochen behaglich eingerichtet. In den ersten Januartagen hatte es ihn nicht mehr hinter seinem Schreibtisch gehalten.

Während Donald Trumps Sturm aufs Kapitol die Welt in Atem hielt, hatte sich der Datenforscher in seinen Nissan Patrol GR 2.8 gesetzt und war via Stettin und Gdansk zum Ende der Welt aufgebrochen. Dort, und nicht rund um das Kapitol, lag die Lösung für das dringlichste Problem dieser Zeit. Das zeigten alle Modelle. Hier oben im Norden Polens war das Licht rar, der Schnee viel und der Stacheldraht real.

Einmal, Hagenberg-Scholz schleppte gerade neue Holzscheite in seine Bleibe, vernahm er aus weiter Ferne die alte Melodie Alpo Myllers. Lange schon war sie ihm nicht mehr untergekommen. Manchmal, wenn es im Soldiner Eck spät wurde, hatte Dembowski sie aufgelegt und von ihm erzählt. JHS hatte nie an diese DID-Legende geglaubt.

Und so hatten sie immer wieder im Soldiner Eck gesessen, Hauke und Wu waren längst auf den Bänken eingeschlafen. Der Geruch von Zigaretten, Schulle und dem Erbrochenen des Ermittlers mischte sich unter seinen KiBaKaf, den er trank, um wach zu bleiben. Immer wieder hatte Dembowski den Myller aufgelegt und von Iquitos erzählt. Bis JHS aufgestanden war und den Stecker gezogen hatte. Über die Jahre hatte JHS diese Episoden vergessen. Auch der Ermittler erwähnte ihn nicht mehr. Iquitos war nur noch eine Stadt im Dschungel von Peru und nicht mehr der Ursprungsort der Bewegung.

Die alte Zeit eben. Ob sie gut war? Hagenberg-Scholz wusste es nicht. Er erinnerte sich hier oben im Norden Europas nur daran, und natürlich auch daran, wie Dembowski ihn danach aus dem Laden geprügelt und Berenice ihn auf ihrer Spazierrunde mit RaRa, mein Gott, RaRa! auch sie war gestorben, aufgesammelt hatte. Naja. Es folgten die langen, beschwerlichen Jahre des Aufstiegs. Nun war Ermittler des Jahres und Dembo eine traurige Gestalt ohne Zukunft. Niemand hörte mehr auf Dembowskis Worte, dachte er dort oben an der Außengrenze Europas.

Dann sah er Piotr. Und er verstand Dembowski. Piotr würde ihn über die Grenze bringen. Er kannte die Lücken im System und er wusste, mit wem er reden musste. „Sputnik“, sagte Piotr, „ist unsere Zukunft und unsere Vergangenheit. Du musst den Stoff ranschaffen. Ich habe dich gesehen, wie du ihn zu Berenice bringst und sie den am Tegeler Flughafen verimpft. Also an eben jenem Flughafen, dem mit der erloschenen Betriebserlaubnis die größte Bedeutung überhaupt zugekommen ist.“

JHS hörte Piotr genau zu. Viel verstand er nicht. Tegel, sagte Piotr also, werde Anfang Februar das System Fußball demaskieren. Da war es Ende Januar und JHS gerade über die Grenze gelangt. Er verschwand im dichten Schneetreiben, auf der Suche nach Sputnik, auf der Suche nach Hoffnung. Dann verloren sich seine Spuren inmitten der Proteste. Aber JHS würde sich durchschlagen. Das war klar.

Hoffnung? Die gab es für den Profifußball schon längst nicht mehr. Er lag in den letzten Zügen. Das Wintertransfer war gefloppt, die Vereine schrieben allesamt rote Zahlen, die französische Liga wurde kurz vor dem Kollaps stehend. Höchste Zeit für ein Gespräch mit Dietfried Dembowski. Wir treffen ihn vor dem Soldiner Eck. Dort erklingen die Pet Shop Boys. Umgeht hier jemand die Coronabestimmungen? Wir fragen besser nicht nach. Wir haben andere Fragen.

 

Hallo Herr Dembowski!

Ich freue mich so. Endlich wieder DID-Gespräch!

Wie geht es Ihnen denn?

Beschissen. Haben Sie was anderes erwartet? Die Pandemie nervt mich hart. Ich möchte endlich wieder in die Kneipe, Schulle vernichten. Da muss es doch einen Ausweg geben!

Sie haben doch Justin Hagenberg-Scholz nach Russland geschickt!

Ach, hören Sie doch auf. Der hat sich nach Russland geschickt. Der ist komplett durch, weil er jetzt Ermittler des Jahres ist.

Eine verdiente Auszeichnung. Legen wir los. Bayern München ist schlecht in die Klub-WM gestartet.

Das stimmt doch nicht. Sie haben Al-Ahly mit 2:0 Toren besiegt. Das schrieb Christian Katar zwischen ein paar Erregungen auf Twitter.

Es geht um Berlin, es geht um Brandenburg. Es geht um die große Verschwörung.

Diese Lächerlichkeit am Flughafen, die von den Verantwortlichen zum Skandal hochgejazzt wurde? Nachtflugverbot ist Nachtflugverbot. Müssen wir nicht weiter diskutieren. Was danach kam, stand doch nur für die absolute Arroganz des Fußballs. Wissen Sie, was mich da wirklich dran stört?

Nein. Aber wir wollen es in Erfahrung bringen.

Dazu blicken wir kurz auf die Pressemitteilung vom 03.02.2021 zurück. Dort hieß es: „Um das Hygienekonzept der FIFA für den Wettbewerb inklusive erforderlicher PCR-Testungen bestmöglich umsetzen zu können, wird der FC Bayern bereits am Freitagabend nach dem Bundesliga-Spiel in Berlin nach Doha reisen. Die Vorverlegung der Begegnung dient insofern dazu, den entsprechenden Abflug am Abend des Spiels aus organisatorischer Sicht zu ermöglichen.“  Wenn ich das schon höre: Bestmöglich! Das ist doch komplette irre. Entweder ich muss, um das Hygienekonzept umzusetzen, zu einem bestimmten Zeitpunkt vor Ort sein oder nicht. Es war ja nun kein Problem für den weiteren Verlauf des Turniers. Bayern ist trotz der verspäteten Anreise angetreten. Dazu hätte es die vierte Spielverlegung der Bayern in der laufenden Spielzeit nun wirklich nicht gebraucht.

Bayern reist nach Doha, in den europäischen Wettbewerben weichen zahlreiche Klubs auf andere Länder aus, um den Wettbewerb noch fortzuführen. Noch ist nicht alles bestätigt. Vielleicht gibt es Ausnahmen für den Elitesport.

Beides macht mich verrückt. Mit Ausnahmen kann ich mich kaum abfinden, muss es aber. Und sonst? Schauen Sie doch mal: Aus Deutschland darf man nicht Norwegen reisen, aus Portugal nicht nach England und von dort nicht nach Spanien oder Deutschland. So weichen die Norweger nach Spanien aus, die Spanier nach Polen und Italien, wo auch die Portugiesen auf die Engländer treffen werden, während die Deutschen sich in Budapest mit den Engländern duellieren werden. In manchen Ländern gibt es neue Mutationen, in anderen Ländern auch. Aber da soll der Eintrag geringgehalten werden, deswegen gibt es Reiserestriktionen und man trifft sich dann in anderen Ländern. In Spanien selbst vermeldet Atletico Madrid, die Chelsea wohl in Warschau empfangen werden, vermehrt Covid-19-Infektionen im Spielerkader. Insgesamt 6 Spieler sind aktuell betroffen. Es gibt Vermutungen, dass es sich dabei um die sogenannte britische Variante handelt.


Klingt kompliziert.

Inmitten der Pandemie fliegen die Vereine kreuz und quer durch Europa, um den Spielbetrieb aufrecht zu erhalten, um die TV-Gelder fließen zu lassen und natürlich auch, um die Austragung der Europameisterschaft nicht zu gefährden! Eben jene EM, die in 12 Ländern ausgetragen werden soll. Obwohl niemand etwas davon hat. Es werden nicht urplötzlich wieder Zuschauer zugelassen werden. Die UEFA ist der Schwarze Ritter: „An mir kommt niemand vorbei! Ich trete vor niemandem zur Seite!“

Ist das im Frauenfußball auch so, Herr Dembowski?

Natürlich nicht. Im Kader für das Showcase-Turnier für die gemeinsame Bewerbung Deutschlands, Belgiens und der Niederlande für die WM 2027 wird man keine Spielerin aus England finden. Der DFB schreibt dazu: „Aufgrund der Verordnung der Bundesregierung für Länder mit mutierten Coronavirus-Varianten stehen dagegen mit Melanie Leupolz, Ann-Katrin Berger (beide FC Chelsea) und Leonie Maier (FC Arsenal) drei Spielerinnen aus der englischen Premier League nicht im Aufgebot. Martina Voss-Tecklenburg verzichtet darüber hinaus auf Turid Knaak (Atlético Madrid) und Lena Petermann (HSC Montpellier), da die individuelle Anreise des Duos aufgrund der großen Distanz nicht gewährleistet werden konnte.“ Und dann drückt er sein Bedauern aus und spricht von den Privilegien des Fußballs. Man sei sich derer sehr bewusst.

Dann werden die kommenden DFB-Spiele der Herren also ohne England-Profis und ohne Toni Kroos stattfinden?

Natürlich nicht. Da geht es doch um viel mehr, da geht es mal wieder um alles. An eine Nationalmannschaft ohne internationales Flair ist da nicht zu denken. Außerdem sind die alle in einer Bubble, werden immer getestet und niemand hat sie je infiziert. Immerhin muss die Premier League keine Spieler nach Südamerika, einem Risikokontinent für die U.K., abstellen. Das hat die FIFA ermöglicht. Aber wer steigt da überhaupt noch durch? Man sollte die internationalen Spiele komplett absagen. Der Fußball hat sich schon genug beschädigt!

Die Spieler als Super-Spreader? Herr Dembowski!

Mir fehlt dafür mittlerweile jedes Verständnis. Der Fußball will Vorbild sein, will demütig sein und sendet ohne Pause die falschen Signale! Sie können sich sicher sein: Der Fan wird das in den kommenden Jahren honorieren. Er wird nicht mehr zurückkehren. Dafür hat das Spiel in letzter Zeit zu viele Menschen verprellt.

Eigentlich sind sie doch nur sauer, weil ihr BVB verliert und ihre Affäre Hertha BSC versagt.

Ich möchte heute nicht über sportliche Dinge reden. Aber der BVB ist natürlich extrem von der Pandemie geplagt. Das sportliche Scheitern beiseitegeschoben: Finanziell setzt denen die Pandemie aus drei Gründen zu.

Erstens?

Sie legt ihre Abhängigkeit von den Sponsoren offen. In Abwesenheit guter Bilder, guter Geschichten aus dem Stadion, blicken wir in den sozialen Medien beinahe ausschließlich in die generische Content-Hölle, die die Partnerschaft mit 1&1 erfordert und die sonst so mitlaufen würde.

Zweitens?

Ohne Zuschauer gehen die Einnahme in diesem Bereich natürlich drastisch zurück. So weist der BVB in der aktuellen Halbjahresbilanz Umsatzerlöse von 0.6 Millionen Euro für den Spielbetrieb aus, ein Rückgang von 20 Millionen Euro zum Vorjahreszeitraum, die TV-Einnahmen sind ebenfalls rückläufig. Aber das trifft alle Vereine.

Also drittens?

Wollte der BVB in den letzten Jahren über Transfererlöse den Sprung in die europäische Spitze schaffen oder aber zumindest die Lücke zur Spitze nicht vergrößern. Sportlich ist der Kader nicht mehr so wahnsinnig interessant und dazu wird man im Sommer, dann, wenn man Verluste ausgleichen will und muss, kaum die Preise erzielen, von denen noch letztes Jahr geträumt wurde. Niemand wird mit 120 Millionen Euro für Sancho um die Ecke kommen und Haaland verliert gerade das Interesse am Sport. Er ist genervt von der Mannschaft. Das wird man überall mit Interesse beobachten.

Der Transfermarkt bricht für alle zusammen.

Das ist natürlich korrekt. Doch kaum ein Verein hat sich in eine derartige Transfer-Abhängigkeit begeben. Das kann man festhalten. Die oben skizzierten Auswirkungen der Pandemie lassen sich überall beobachten und werden den Spielbetrieb in den nächsten Jahren maßgeblich beeinflussen.

Und was macht Schalke?

Die kaufen sich verletzte Spieler und welche ohne Spielpraxis. Die aber haben immerhin einen Namen, der am Ende der Saison 0 Euro wert sein wird. Es ist schon verrückt. Die gehen einfach so vor die Hunde. Wir sind Zeuge des langsamen, qualvollen Sterbens eines Traditionsvereins. Das tut weh. Und ist überhaupt nicht mehr mit anzuschauen.

Klingt grausam, Dietfried. Wie sieht es eigentlich in Frankreich aus?

Da plagen sich derweil nicht nur einzelne Vereine mit massiven Verlusten. Nachdem der spanische Anbieter Mediapro Ende Dezember gegen eine Ablöse von rund 100 Millionen € aus dem TV-Vertrag mit der französischen Liga ausgestiegen ist, um weitere Streitigkeiten zu vermeiden, riss sich Canal+ die Rechte für den restlichen Verlauf der Saison für 35 Millionen € unter den Nagel. Zwar gab es andere Interessenten, doch verlangte amazon eine Neujustierung des Spielplans. Das aber war der französischen Liga in der laufenden Spielzeit nicht möglich.

Da verlieren die jetzt aber doch ordentlich Geld?

Statt der kalkulierten 1.14 Milliarden € fließen nun also rund 670 Millionen €. Und es hätte noch schlimmer kommen können: Bislang strahlte Canal+ die Spiele nur in Sublizenz aus. Der eigentliche Rechteinhaber für 76 Spiele, der katarische Sender BeIN Sports, hatte ihnen die Lizenz überlassen. Doch nun war Canal+ nicht mehr bereit, die ungefähr 330 Millionen zu zahlen, wenn man ihnen nicht dazu noch die Rechte an den ausstehenden Spielen für einen symbolischen Preis überlasse. Dass es Verbindungen zwischen Mediapro und BeIN Sports gibt, muss ich nicht extra erwähnen! Welch ein Geschacher!

Was bedeutet das für die Vereine? Und was für die Fans?

„So kommen wir bis zum Ende der Saison, aber nicht ins nächste Jahr“, sagt Olivier Delcourt, Präsident des abgeschlagenen Klubs aus Dijon. Für Reims und St. Etienne sieht die Zukunft nicht unbedingt rosiger aus. Noch können sie sich mit Spielerverkäufen über Wasser halten. Aber der Markt dort wird nicht größer. Für den TV-Zuschauer in Frankreich ist es vielleicht eine kurzfristige Erleichterung. Bislang mussten sie rund 100 Euro pro Monat zahlen, um sich Highlights wie Dijon gegen Nantes in all ihrer 90-minütigen Schönheit anzuschauen.

Die Super League ist da für einen Verein wie Paris Saint-Germain ein guter Ausweg.

Deswegen arbeiten sie daran. Der bevorstehende Kollaps der nationalen Ligen wird zu einer Verdichtung an der Spitze führen. Das neue Format inklusive der 10 festen Spiele für jeden teilnehmenden Verein wird bei gleichbleibender Verteilung der Einnahmen natürlich zu einem weiteren Absterben der nationalen Ligen führen. Davon können sie ausgehen. Denen wird jede Relevanz entzogen.

Da wird man doch glatt zum Rot-Weiss Essen-Fan, Herr Dembowski!

Das haben Sie schön gesagt. Dabei sollten wir es belassen. Was eine Shitshow!