Dietfried, wo erwischen wir Sie heute?
Soldiner Eck. Gestern war Malcolm Holcombe hier. Gebeugter Stand, irrer Blick, zerstörte Stimme. Kippe an, Kippe aus. Er hat gesungen. Er hat mein Leben ein Stück besser gemacht. Seine Aufgabe, sagte er mir, sei es die Geschichten seiner Vorväter zu erzählen, alte Werte weiterzutragen, sich gegen die Moderne zu stellen. Wir sind dann irgendwann spazieren gewesen. Einmal durch die Stadt bis runter zum Adlon. Malcolm erzählte von den Gutscheinen, die ihm am Leben hielten und von dem Wald, den er selten verließ. Ich zeigte auf das Adlon. Und erzählte von Michael Jacksons Fenstergruß. Und Malcolm blieb stehen. „I don’t know any Michael Jackson“, schrie er mich an, und schritt dann eine weitere Kippe rauchend durch das Brandenburger Tor. Später hat er für uns gesungen. Wir haben Fanta Korn getrunken, die Wu Martini Sprite und JHS rief noch kurz aus Südamerika an.
Klasse! Sie erleben Sachen. Haben Sie da überhaupt Fußball geschaut?
Wofür? Für die größte Aufregung sorgt doch schon lange nicht mehr der verstörende Qualitätsverfall der Liga, und somit das Geschehen auf dem Platz. Was uns wirklich bewegt, das hat alles mit der wie ich es nenne großen Angst zu tun. Alles hängt mit allem zusammen. Die merkwürdige, ja sogar unter Manipulationsverdacht stehende Entscheidungsfindung im Kölner Darkroom, die Unbeweglichkeit des Verbandes, der gerne so groß wie der auch schon beinahe vier Jahre zurückliegende sportliche Erfolg des Flaggschiffs, der Nationalmannschaft, sein möchte, aber in regelmäßigen Abständen muss er sich mit seinen eigenen Unzulänglichkeiten auseinandersetzen. Das Fußballgeschäft …
Herr Dembowski, Sie verirren sich. Kommen wir gerne drauf zurück. Aber haben Sie Fußball geschaut?
Ja.
Dann beantworten Sie doch einfach die Frage. Das macht das für mich einfacher. Der BVB ist weiter in der Krise.
Und wo ist das Problem? Der BVB hat in sieben Spielen 14 Tore erzielt und 14 Tore kassiert. Aubameyang hat den Ball einige Male an den Pfosten und häufiger daneben genagelt. Die fehlende Kreativität in der Offensive, in der nur der 19-jährige US-Amerikaner überhaupt Interesse daran hat, Lösungen zu finden. Die mir immer noch merkwürdig erscheinenden und urplötzliche Iniesta-Werdung Götzes, das komplette Verschwinden Mo Dahouds…
Wo ist Mo Dahoud, Herr Dembowski?
Das würde ich ihnen gerne beantworten. Aber ich kann ihnen das nicht sagen. Der BVB verpflichtet einen Spieler, und der, auch weil ein anderer Coach kommt, verschwindet dann in der Versenkung. Vielleicht ist er nicht fit, vielleicht fehlt es ihm an der richtigen Einstellung, vielleicht steht der Bosz nicht auf ihn. Wer kann das aus der Ferne beurteilen? Ich nicht.
Sie sprechen die Transferpolitik der Dortmunder an.
Soll ich mich da wiederholen. Ich wiederhole mich gerne. Sie wissen das. Ich wiederhole mich sehr gerne. Der BVB hat sich in seiner Transferpolitik verloren. Sie holen haufenweise junge Spieler, und werfen die gegen die Wand. Einige, wie The Ous, bleiben hängen und werden von der europäischen Elite mühevoll runterkratzt, den Rest kehrt die europäische Mittelklasse auf, aber kaum ein Spieler landet in Dortmund, um in Dortmund zu bleiben. Das neben dem Ruhrstadion schönste Stadion des Landes, das Westfalenstadion, bleibt nur Durchgangsstation. Mit der fehlenden Identifikation, mit den fehlenden Übermittlern der Vereinskultur verschwindet diese letzte Gier, die das Stadion zur Festung, und den BVB zu einem spannenden Verein gemacht. Aktuell ist der BVB nur ein Projekt, und das muss man der Vereinsführung vorwerfen. Sie inszenieren sich als der kleine Verein, der sie schon lange nicht mehr sind. Klar, die Maßstäbe haben sich verschoben, und jetzt schaut man zu Manchester United und nicht mehr zum Hamburger SV Auf, aber das Underdog-Image schadet dem Verein.
Der sich so inszenieren muss, um mit der Basis zu kuscheln.
Das glauben Sie. Es gibt auch andere Wege. Vermutlich braucht es aber an der Spitze einen Mann der Zahlen, und als Präsidenten einen Mann, der die Fans mitnimmt. Mir fallen da die Namen Carsten Cramer und Janni Gruszecki ein. Rauball war zu Beginn seiner ersten Amtszeit auch nicht älter, und Gruszecki, machen wir uns nichts vor, kennt die Seele des Vereins, er wohnt in ihr, und er weiß, wo die Leute sind, die man abholen muss, und auch, wie man sie dann mitnimmt.
Interessant. Themenwechsel. Der VAR sorgt weiter für Unmut.
Das stimmt. Bemerkenswert: Der Videobeweis an sich erhält weiter große Zustimmungswerte innerhalb der Liga, nur die Ausführung eben nicht. Der Videobeweis aber wird nie ein mehr an Gerechtigkeit bringen, sondern vielmehr immer weiter für Verwirrung sorgen. Da können die Handlungsanweisungen noch so konkret sein, die Auslegung bleibt immer nur eine Annäherung. Wir sehen eine Ärgerverschiebung. Mehr nicht. Und mehr werden wird da nie sein. Im Fußball muss es keine Gerechtigkeit geben.
Aber frei von Manipulationen muss er schon bleiben, oder nicht?
Beruhigen Sie sich. Eine Einflussnahme ist noch keine Manipulation, und ob eine Einflussnahme vorliegt, muss sich erst noch zeigen. Ich bin da überfragt. Für Schalke und Wolfsburg ist das blöd. Die können da nichts für, und müssen jetzt vielleicht noch einmal gegeneinander spielen. Das kann niemand wollen.
Promi-Anwalt Schickhardt setzt sich derweil für eine bessere Stadion-Hygiene ein. Muss der 1.FC Köln mit dem Zwangsabstieg rechnen?
Diese Diskussion ist komplett aus dem Ruder gelaufen. If you can’t stand the heat, get out of the kitchen. Das muss auch und gerade für die Modernisierer des Spiels gelten. Wer das Geschäft Fußball in seinen Grundstrukturen verändern will, und teils bereits hat, der kann sich doch nicht beschweren, dass sich Teile der Fans dagegen wenden. Man muss die Sorgen der Menschen ernst nehmen, hört man immer wieder, wenn sich dumpfe Gestalten gegen das für sie Fremde auflehnen, und ihre Angst in unschuldige Menschen reinprügeln und schreien, aber den Fußballfan will man eliminieren, aus dem Stadion treiben. Das Kapital nimmt sich die Macht, doch es darf sie nie komplett erlangen.
Rüber zum DID POWER RANKING. Was tut sich da?
Nicht viel. Die teuren Truppen marschieren vorneweg, jetzt zeigt auch Napoli, der letzte Außenseiter unter millionenschweren Megateams, erste Anzeichen einer unumkehrbaren Erschöpfung. Das geht nicht mehr lange gut. An der Spitze also City, Barcelona, PSG als Dreiklang der Internationalisierung und abgeschlagen am Ende des Feldes dann Metz, Malaga, der FC Köln und Benevento. Das ist eine andere Welt da unten. Eine schönere Welt, in der Hoffnung nicht mit der nächsten Niederlage endet. Eine Welt fernab der Superlative, eine verständlichere Welt, aus der sich der HSV dank Uns Fiete vorerst verabschiedet hat. Dort wird bereits wieder von Titeln geredet.
Was war für Sie das Spiel der Woche, Herr Dembowski?
Das Rhone-Derby zwischen St. Etienne und Olympique Lyon. 800 Schlachtenbummler aus Lyon. Für die war es der Trip Ihres Lebens. Das Stadion im Nebel. Spielunterbrechung nach nebelbedingtem Ausfall der Torlinientechnik. Fekir mit einem Doppelpack, der blutjunge Aouar auf großer Fahrt, Rudelbildung, Platzverweis nach Blutgrätsche, Trikotjubel, Platzsturm, Polizei auf dem Platz, Spielunterbrechung für über 30 Minuten. Fußball, wie er sein muss. Ging dann auch weiter. 5:0 für Lyon. Als würde Schalke 4:0 in Dortmund gewinnen.
Das ist eine durchaus realistische Vorstellung in den kommenden Wochen. Kann Tedesco die Königsblauen zum Derbysieg führen?
Bleiben Sie mal geschmeidig. Bis dahin fließt noch viel Schulle meine Kehle runter. Das kann man doch noch überhaupt nicht sagen. Wenn der Ballspielverein einen Sahnetag erwischt, Aubameyang das Tor und nicht den Pfosten trifft, dann wird Gelsenkirchen aus dem Stadion geschossen. Aber natürlich: Tedesco hat gezeigt, dass er die Stärken seiner Mannschaft genau herausarbeiten kann, dass er ein Trainer mit Bundesliga-Format ist. Nicht ohne Grund wollte ich den im Westfalenstadion sehen.
Trotz Krise springt Real Madrid von 12 auf 9. Wie kann das passieren?
Was eine bescheuerte Frage. Real Madrid kommt auch ohne Ronaldo-Tore gut durch die Saison. Eine Weltklasse-Mannschaft nimmt sich ihre Schwächephasen am Anfang einer jeden Spielzeit. Dan beendet man die Champions League-Gruppe auf 2, hängt in der heimischen Tabelle hinterher. Aber im April werden sie da sein, und natürlich spielt das auch im DID POWER RANKING eine Rolle. Real Madrid bleibt die beste Mannschaft der Welt. Sie werden am Ende der Saison ganz oben stehen. Daran besteht kein Zweifel. Und Ronaldo wird Torschützenkönig! Darauf hat er gewettet und dafür steht er mit seinem Namen.
Das haben Sie schön gesagt. Vielen Dank, Herr Dembowski.
Gerne. All there is left is the fallin rain. Denken Sie drüber nach.