Nicht weit von den Spundwänden des Mittellandkanals entfernt, sehen wir Dietfried Dembowski am Ufer eines kleinen Waldsees. Es ist Ende Oktober, der Herbst leuchtet und hier, fernab der Menschenströme, gönnt er sich nun seine Biere. „Es muss nicht immer Schulle sein“, sagt der Ermittler, „Wolters ist auch okay.“ Darüber wird zu sprechen sein. Aber nicht an dieser Stelle. Es ist Montag und wir unterbrechen ihn ungern.
Gerade erst hat die Welt von seinen letzten Zerwürfnissen mit Andreas Thies erfahren. Dem reisenden Tennisfachmann hat er eine Kündigung zustellen lassen. Auch beim DID gibt es für Dembowski wenig zu holen. Wo der Ermittler ist, sind zwischenmenschliche Probleme nicht weit. Aber das stört den Helden unserer Erzählung nicht. Es hat ihn noch nie gestört.
„Hören Sie sich das an“, sagt er und spielt eine WhatsApp-Nachricht ab. Die erklingende Stimme ist unverwechselbar. Sie gehört Justin Hagenberg-Scholz. Sie ist glasklar und eindeutig. „JHS ist jetzt schon seit Wochen drüben in den Staaten. Ein paar Unternehmen hatten sich für seine Modelle interessiert. Er macht jetzt in Wahlforschung. Wenngleich das nur ein Teil der Wahrheit ist. Lassen Sie es mich so formulieren: JHS war auch im Rosengarten.“
Dort, so geht eine vergessen Erzählung unserer Zeit, infizierte sich US-Präsident Donald J Trump mit dem Coronavirus. Wie so vieles dieser in die Unendlichkeit gedehnten Pandemietage sind die Ereignisse des frühen Oktobers längst von der Dringlichkeit der jüngsten Entwicklungen überholt. Trump ist bei bester Gesundheit. Er kämpft um vier weitere Jahre im Weißen Haus. Doch dabei steht ihm mit JHS ein mächtiger Gegner gegenüber.
Der Datenfuchs feuert kalte, präzise Datensalven in die Umlaufbahn. Sie rauben dem Präsidenten jede Hoffnung. „Er nimmt von den Reichen und gibt an die Armen“, erklärt Dembowski das JHS-Prinzip Hoffnung. Es hört sich so an:
„Es wird einem immer suggeriert: Pennsylvania, Wisconsin und Michigan wären Swing States. Sind die aber nicht. Die stehen momentan 90 zu 10 für Biden. Da müsste unglaublich viel passieren. Was in den Medien immer genannt wird. Weil Trump die sich beim letzten Mal geholt hat. Die swingen nicht. Es swingen weiter überwiegend Sachen, die eigentlich immer bei den Republikanern lagen. Arizona, North Carolina. Alle in Richtung Demokraten…“
Da lächelt sogar Dembowski. „Thies, Dürr und wie die Knallköppe alle heißen“, sagt er, „sind nicht real! JHS aber macht es einem doch leicht, an die Hoffnung zu glauben. Er schenkt sie einem beiläufig. Denn er hat sie den Reichen geraubt.“
Ach, wäre die Welt nur ein JHS-Modell. Doch sie ist grau und läuft weiter auf den Untergang zu, wenn wir nur den Medienberichten glauben. „Machen Sie das nicht“, warnt Dembowski. „Reden Sie lieber mit mir.“
Das wollen wir tun.
Herr Dembowski!
DID ist ja ne Überraschung. Sie hatten mich doch gefeuert.
Wir können nicht ohne Sie!
Ich auch nicht. Legen wir los?
Gerne. War wieder Fußball. Ligabetrieb.
Die hatten wirklich geglaubt, dass sie die Blasen einfach so auflösen können. Ging natürlich nicht. Der wurde positiv getestet, der auch und der auch. So ist das in Zeiten der Pandemie. Aber der Zirkus muss weitergehen. Kann ja nicht einfach angehalten werden. Nehmen wir den Menschen diese Freude, nehmen wir ihnen alles. Drei Spiele die Woche gegen die Verzweiflung. Die Dosis langsam erhöhen. Da unten auf dem Platz, da im Fernsehen und da als Stream. Die Gladiatoren unterhalten uns.
Wir wollten mit ihnen eigentlich über die Taktik der Mainzer unter dem neuen Coach Lichte reden!
Sind Sie verrückt! Mainz kenne ich nur aus dem POWER RANKING und wenn sie mir mal zufällig über den Weg laufen. Den St. Juste finde ich super. Großer Spieler, falsche Mannschaft. Markieren Sie meine Worte. Mehr müssen wir über die Mainzer Taktik nicht wissen.
Sogar der Doppelpass hat über Mainz berichtet.
Eine Notlage.
Themenwechsel. Der BVB gewinnt in Hoffenheim. Können die Dortmunder in dieser Saison endlich angreifen?
Sie sprechen mit der falschen Person. Ich kann Ihnen gerne etwas über Fußball erzählen.
Darüber wollen wir doch die ganze Zeit mit Ihnen reden!
Sie gehen da mit der Lupe drauf, verlieren sich in unwichtigen Details. Wollen mal dies, mal das sehen. Wollen die Mainzer Taktik erklärt bekommen, Favre unter Druck setzen und später sicher noch eine lebenslange Strafe für Pickford fordern. Der trat Van Dijk aus der Saison. Nicht schön, aber mit Sicherheit keine Absicht. Aktuell müssen wir nicht in die Analyse gehen.
Ja. Wir wollen über Fußball reden, Herr Dembowski!
Aber das ist nicht mein Thema. Lassen Sie sich einfach fallen und tauchen in diese große Show ein. Hören Sie auf eine irreguläre Saison mit alten Maßstäben messen zu wollen. Es ist ein großes Abenteuer. Lassen Sie die Spieler die Karten auf den Tisch legen, warten Sie auf die Einsätze und beobachten Sie doch einfach mal aus der Distanz. Treten Sie einen Schritt zurück. Aktuell zählt nicht, was auf dem Platz passiert. Klar, is immer noch wichtig. Aber wir beobachten hier gerade ein großes Experiment.
Kommen Sie jetzt wieder mit der Pandemie um die Ecke?
Natürlich. Dieser unaufhaltsame wirtschaftliche Zerfall, die Positionierung der Gegner, der absolute Verlust aller Leichtigkeit im Angesicht des Untergangs, immer getrieben von einer sich dem Zeitgeist der Zerstörungssehnsucht hingebenden Gesellschaft, die ein Lachen nicht verzeihen kann, die den Fußball als verzichtbares Grundübel ausgemacht hat, sich jedoch Tag für der Tag an ihm abarbeitet. Weil es sicher ist, weil das Abarbeiten am Fußball am Ende ohne Konsequenzen ist. Weil das Spiel sich einen Rahmen gesetzt und als Unterhaltungsindustrie definiert hat. Das ist mehr Einsicht als man von Ihnen erwarten kann.
Wunderbar. Sie beschreiben gerade alles, nur nicht den Fußball.
Lassen Sie mich. Ich freue mich über jeden gelungenen Pass, aber ich erfreue mich noch mehr an der Atemlosigkeit des Geschäfts, an den kleinen Skandalen und der klaren Abbildung der kollektiven Realität. Europa klappt ganz okay, England fährt einen eigenen Film, Deutschland natürlich Vorbild. Das war ja immer so. Nicht immer zum Vorteil des Kontinents. Aber superspannend dann natürlich die Sollbruchstellen. Schauen Sie auf Union Berlin!
Die Coronaleugner!
Das ist das fundamentale Missverständnis. In Köpenick geht man nur andere Wege. Sie haben sich im Labyrinth der Einzigartigkeit verloren. Ihre ostdeutsche Seele wittert das Dauerfeuer der westdeutschen Medien. Union Berlin ist die vereinsgewordene Erinnerung an die Teilung Deutschlands. Sie befolgen Vorgaben, wenn es sein muss und Gesetze, wenn Vorgaben nicht mehr ausreichen. Sie sind in einem permanenten Krieg mit der uninformierten Presse, die gerade aus den Häusern des alten Westens auf sie schießt und den Untergang herbeisehnen.
Kommen Sie auf den Punkt.
Union Berlin ist die 20-jährige Ida, die einfach weiterfeiern willen und wir aber wissen: Die Party ist vorbei! Das geht nicht zusammen. Das sind zwei Enden eines langen Wegs.
Was wollen Sie damit sagen, Herr Dembowski?
Umarmen Sie den Fußball, solange es ihn gibt. Seine Geschichten sind es, die uns zusammenhalten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Dafür nicht.