Dietfried Dembowski sitzt im Soldiner Eck. Wir sehen ihn freundlich applaudieren. Gerade wird das dritte Tor der Paderborner wiederholt. Der Ermittler hat es seit Freitag mindestens 50x gesehen. Es geht nicht in seinen Kopf. Seitdem hängt er an der Flasche.

„Für jede Wiederholung ein Schulle“, sagt Hauke Schill und lacht. Wir unterbrechen ihn kurz. Er will uns seine Vision verraten. Na dann. Auf geht es, Dembo! Auch wenn Du müde bist, hau mal wieder einen raus! 

 

 

Herr Dembowski. Der BVB kommt gegen Paderborn nur zu einem 3:3 Unentschieden. Wildgeworden Ultras brüllen die Mannschaft nach dem Spiel aus dem Stadion. Einige verstecken sich in einer Loge: Krisensitzung! Das Ergebnis: Favre bleibt!

Weil es keine Alternative gibt. Aber wenn Sie Ihre Nase in den Wind halten, werden Sie einen neuen Geruch wahrnehmen. Favre ist längst aufgegeben. Jetzt schießen sich die Blätter auf die Mannschaft und auch auf die Vereinsführung ein. Vollkommen zurecht: Die jetzigen Lähmungserscheinungen sind doch nur ein Symptom. Vielleicht geht es jetzt langsam an die Ursache. Der Verein hat seine Seele verloren.

Wo setzen wir zeitlich an? Wann verkauft der Verein seine Seele?

Vielleicht in London 2013? Als man sich vom Licht des Champions-League-Finals hat blenden lassen. Danach konnte nichts mehr kommen. Dann hat man es noch verloren und es war die Gewissheit da, dass der BVB nie wieder in einem Champions-League-Finale stehen wird. Ganz bestimmt aber begann der Ausverkauf mit der misslungenen Rückkehr Shinji Kagawas. Nach Sahin der zweite Heimkehrer. Was mit der Transferpolitik begann, führte sich auf allen Ebenen fort. Fortan plagten den BVB die Erinnerung an die damals noch jüngste Vergangenheit. Als Klopp abtrat und Trainer in immer kürzeren Intervallen kamen und gingen, der Kader Jahr für Jahr in eine Übergangssaison gesendet wurde und am Ende des Jahres die Musterschüler für viel Geld und für den Preis von noch mehr Unruhe teuer abgestoßen wurde, war es endgültig vorbei. Der BVB hatte seine Seele verloren. Aus einem Verein war eine Talentfabrik geworden, die den immer teureren Kader finanzieren musste.

Wie Christian Pulisic, Ousmane Dembele oder auch Pierre Emerick-Aubameyang.

Oder jetzt Jadon Sancho, der bereits mit dem Makel eines zukünftigen Verräters in die Saison startete und über all das Geschachere rund um seine Person ein wenig den Überblick verloren hat.

Sie nehmen den Kader also in Schutz?

Nein. Die stehen in der Pflicht. Aber sie begreifen Borussia Dortmund als ein Projekt. Das sagte ich doch bereits. Der BVB bietet ihnen dafür die Plattform. Das führt natürlich zu einer eklatanten Spaltung zwischen Spielern und Tribüne. Die einen spielen ihren Stiefel runter, sind dann bald wieder weg und hinterlassen mit ihrer Alles-Egal-Mentalität eine weitere Schneise der Verwüstung. Sie unterschreiben bei einem seelenlosen Verein und so verhalten sie sich dann auch. Dass die Menschen auf der Tribüne das anders sehen, auch das ist ihnen wenige Minuten nach dem nächsten Debakel egal. Ihren Marktwert erhalten sie, indem sie den Verein noch mehr aussaugen.

Also ist Favre eigentlich nicht das Problem?

Jetzt hören Sie doch auf: Alles ist das Problem. Auch Favre. Aber das war ja zu erwarten, dass er eine Bande verzogener Kids nicht abholen wird. Wie auch? Er hat sich aber nicht von selbst verpflichtet. Das haben andere Leute getan. Die werden vor dem bevorstehenden Trainerwechsel nun auch hinterfragt. Ihre ewigen Analysen der Krisensituationen haben bislang nur die jeweiligen Krisen verstärkt.

Wackelt Zorc?

Hören Sie doch auf damit. Veränderungen werden kommen. Aber wieso soll das nicht mit Zorc funktionieren? Dem Verein fehlt es doch nicht an sportlicher Power, nicht an wirtschaftlicher Kraft, dem Verein fehlt es an einer Idee. Das ist das Problem.

Wackelt Watzke? 

Er wird bald abtreten. Wieso noch mehr Unruhe reinbringen.

Was müsste der BVB langfristig verändern?

Machen wir uns nichts vor: Der BVB hat keine Vergangenheit mehr. Klopp hat die mitgenommen. Alles, was vor ihm war, existiert nicht mehr. Er war der Verein. Nicht Watzke, nicht Zorc. Der Verein hat aber auch keine Zukunft mehr. Er ist in der Sackgasse der ewigen Gegenwart.

Was soll an der Gegenwart schlecht sein?

Ohne die Aussicht auf eine Zukunft ist die Gegenwart ein Gefängnis. Es gibt keine Entwicklung. Es gibt nur Rückschritte.

Herr Dembowski! Ich bitte Sie! Nehmen wir an, dass Ihre These stimmt: Was soll der BVB denn tun?

Ich habe doch keine Ahnung. Ich würde dem Verein, nur als Beispiel, einen Rückzug aus allen sozialen Medien verschreiben. Dort bedient der Verein mit seinen Propagandaorganen ein zutiefst vergiftetes Umfeld. Du kannst dort nichts mehr gewinnen, nur noch verlieren.

Die Sponsoren werden sich bedanken!

Davon gehe ich aus. Der Kontrollverlust im digitalen Raum wäre ein radikaler Bruch mit allen Gepflogenheiten. Er würde der dem Verein viel Anerkennung verschaffen. Und trotzdem würde der Verein nicht aus dem digitalen Raum verschwinden, nur der Druck. Alle guten Nachrichten würden trotzdem kommuniziert, nur nicht von offiziellen Kanälen. Die Sponsoren hätten weiterhin genug Impressions.

Das steht im kompletten Gegensatz zu der Internationalisierungsstrategie des Vereins.

Das Westfalenstadion, denn so muss es heißen, wird die Basis sein. Der Verein, der natürlich auch keine internationalen Marketingreisen mehr unternimmt, wird sich noch mehr über das Stadionerlebnis definieren.

Wenn der BVB sich löscht, wird also alles gut, Herr Dembowski? Sie sind doch besoffen.

Glauben Sie mir: Nur radikale Ansätze werden helfen. Sportlich passiert da erst einmal nichts. Aber sportlich hängt man in der ewigen Gegenwart fest. Alles ist zementiert. Und irgendwann entstehen Risse, durch die Dunkelheit dringt.

Gerade wurde ein neuer Ausrüstervertrag über €250 Millionen unterschrieben. Das sind €30 Millionen pro Jahr.

Auch das zementiert doch nur den gegenwärtigen Status. Die Kluft zu den internationalen Topvereinen wird größer, die Kluft zu den durchschnittlichen Vereinen der Liga auch. Hertha hat für €225 Millionen einen Investor an Bord geholt, der jetzt den Aufsichtsrat mit dem Leuchtturm Klinsmann besetzt hat. Dort wird man Resultate sehen wollen. Aber es ist einmaliger Zuschuss in Höhe der Bayern-Personalkosten einer Spielzeit. Was sollen die machen? In normalen Jahren sind drei der vier Champions-League-Plätze vergeben: Bayern, Dortmund und Leipzig. Dahinter braucht es ein glückliches Händchen. Aber die Konstellation, die der BVB Anfang des Jahrzehnts vorfand, wird einmalig bleiben. Die Gegenwart endet nie.

Dieses Gespräch schon. Ihnen noch viele schöne Wiederholungen! Sie sind kein echter Borusse. Verlassen Sie diese Gemeinschaft.

Solange Schill mich nicht rausschmeißt, ist alles gut. Bis die Tage.

Schill bringt Dembo schnell ein neues Schulle. Noch einmal das 3:0. Der Ermittler springt auf. Wir verschwinden. Ihm ist nicht mehr zu helfen. Ein Fußballverein ohne Social Media und der DID erscheint nur als zusammengetackertes Fanzine.