Justin Hagenberg-Scholz blieb am Saco River, Maine. Hier im äußersten Nordosten der Vereinigten Staaten bot sich dem vom DID entsandten Wahlbeobachter das größte Schauspiel. Seine Nächte verbrachte er in der Stone Ridge Lodge, tagsüber schlenderte er zum Ufer des Flusses, der eine Autostunde südlich in den Atlantik mündete. Doch den Ozean hatte JHS noch nicht gesehen. Vielmehr zog es ihn, wann immer es die Modelle erforderten nordwärts nach Hallowell. Dort traf er sich mit Reverend James Donaldson, der ihm große Worte in seinen Block diktierte. Er sagte: „Sünde ist und bleibt Sünde“ und „ich werde keine Frau wählen.“
Hier im zweiten Wahldistrikt Maines, das zeigten JHS‘ Modell, würde sich die US-Wahl und somit zwangsläufig auch das Schicksal der Welt entscheiden. Das war seine feste Überzeugung und dafür hatte er sich den Gefahren dieser Reise ausgesetzt. Hagenberg-Scholz gab nichts auf die Prognose und Einschätzungen anderer. Er musste vor Ort sein und erspüre, wessen Stimme hier in Hallowell am Ende maßgeblich für den Lauf der Welt sein würde. Er konnte die Abgabe nicht beeinflussen, dafür war er zu unwichtig. Doch warum es so kam, darüber würde er berichten.
Nachts, wenn er es sich mit einem Bud Light, denn nur so konnte er in der Natur aufgehen, vor seiner Lodge gemütlich machte, träumte er sich zurück ins Soldiner Eck, in dem Hauke Schill, Miriam Wu, Johan Rottenberg und Dietfried Dembowski in diesem Moment die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin verfolgten. Wieder einmal bedrohte die Pandemie die Menschheit. Das Virus belagerte die Welt seit beinahe einem Jahr. Es raubte Leben und denen, die bislang verschont geblieben waren, schleichend den Verstand.
„Das Virus ist wie Pac-Man“, erklärte Miriam Wu. „Es frisst sich langsam durch die Menschheit und wir sind die Gespenster. Wir sind zu müde, es zu jagen. Wir sind damit beschäftigt uns und nicht Pac-Man zu jagen. Das kann nicht funktionieren.“
Schill schob Dembowski noch eine Schulle rüber. „Trink schnell! Wir müssen die Vorräte vernichten.“ Der Ermittler war extra aus seinem Wolfsburger Bunker ins Epizentrum der Pandemie gereist, um sich solidarisch zu zeigen. Vernünftig war kein Maßstab mehr. Es ging nunmehr um Existenzen. Dembowski schwieg. Über der Theke rauschten die Bilder aus Bergamo über die Bildschirme. Eine stete Erinnerung daran, was passieren kann, wenn Pac-Man ins nächste Level schaltete. Angst war der ewige Begleiter dieser Bedrohung.
Aber wir waren nicht hier, um uns der Furcht auszusetzen. Wir waren für Hoffnung, denn diese versprach Dembowski und sein Kompetenzteam. Über dem Saco River ging die Sonne auf und der Ermittler sprach.
Hallo, Herr Dembowski!
Tach auch. Machen wir es schnell. Bis Montag muss das Schulle weg sein. Sie haben es gehört!
Da trinken wir gerne mit. Und steigen direkt ein. Die Bundesliga muss wieder hinter verschlossenen Türen spielen.
Dabei hat doch eine Studie des Gesundheitsamts Treptow-Köpenick ergeben, dass Infektionen beim Besuch eines Bundesliga-Spiels nicht nur ausgeschlossen sind, sondern vielmehr durch die Stärkung des Gemeinschaftsgefühls sogar auch in Zukunft verhindert werden können.
Wie interpretieren Sie diese Studie genau, Herr Dembowski?
Wir dürfen natürlich noch nicht zu viel verraten, denn noch ist sie nicht veröffentlicht, aber selbstverständlich zeigt sie doch folgendes: Die konstante Bedrohungslage inmitten dieser Pandemie führt zu tiefen seelischen Schäden unter den ohnehin schon frustrierten Fußballfans. Man hat ihnen über die Jahre alles geraubt und nimmt ihnen jetzt etwas, an das sie teilweise ihr ganzes Leben geglaubt haben.
Menschen glauben an Stadionbesuche?
Nein. Sie glauben an ihren Fußballverein, doch diese Pandemie und das nun erlassene Verbot, Spiele zu besuchen, wird ihnen in letzter Konsequenz ihren Fußballverein rauben. Einige Klubs werden diese Pandemie nicht überstehen. Und das wird langfristige Auswirkungen auf unsere Gesellschaft haben. Dies, erinnern Sie sich, wir reden immer noch über die Studie, wäre durchaus dramatisch.
Herr Dembowski! Sie denken sich das gerade doch alles aus. Diese Studie gibt es nicht.
Ich gebe zu, ich habe getrunken, aber das erfordert diese Situation doch. Darf ich ihnen von meinem Traum erzählen?
Sehr gerne.
Ich habe von Robert Lewandowski geträumt.
Von seinen Toren?
Nein.
Wovon denn dann?
Ich war in meinem Haus. Nahe der Klippen. In einer kleinen Stadt, die mich mit ihren steilen Gassen an St.Ives erinnerte. Dort saß ich nun und blickte aufs Meer. Ich hörte die aktuelle Ausgabe des DID POWER RANKINGS, diesen wunderbaren Monolog des Bottroper Lebenskünstlers Jan Jasper Kosok. Da klopfte es schwer an meiner Tür. Lewandowski bat um Einlass. Den gewährte ich ihm. Er hatte einen dicken Koffer dabei. Mit frischen Scheinen, wie er sagte. 30 Millionen. 15 Millionen für mich. Dafür musste ich jedoch einen einscannen. Lewandowski übergab mir sein Handy, natürlich von Huawei und ich scrollte durch die Urlaubsbilder der Familie Lewandowski. Ich fand alles, nur keinen Code. Robert wurde ungeduldig, denn es brauchte dafür nicht nur den Code, sondern auch meinen Fingerabruck. Ich hab das Bild nicht gefunden. Und Lewandowski wollte nicht suchen. Er benötige das Geld nicht. Das sah ich anders, denn dann müsste er sich doch jetzt nicht mit seinem Ex-Berater rumschlagen. Wir fanden das Bild nicht. Lewandowski zog sich auf eine Treppe zurück. Mir gelang immerhin ein Schnappschuss. Später stand RTL vor der Tür und wollte ein Interview. Autogrammjäger waren auch da. Niemand trug Maske.
Ein interessanter Traum.
Das habe ich auch gedacht.
Themenwechsel: Der BVB hat gewonnen.
Und ist weiterhin ohne ernsthaften Treffer in den ersten 30 Minuten. Es geht um Geduld, es geht um Wege um den Bus herum. Das gelingt den Borussen recht formidabel. Es ist ein pandemiegerechtes Auftreten. Dieses Spiel könnte der BVB vor heimischem Publikum nie durchbringen, aber ohne Zuschauer, ohne die daraus resultierende Unruhe ist Geduld die größte Waffe der Borussia. Man muss der Mannschaft zugestehen: Sie hat sich wie vielleicht sonst nur Bayern München mit den Umständen arrangiert und zieht ihre Stärke aus der Gelassenheit. Ein Lernprozess, der auch zu Rückschlägen wie in Augsburg, wie in Rom führt. Aber gerade im Westfalenstadion ist es beeindruckend, wie der BVB auf die Kraft der Stille setzt. Es sind präzise Schnitte, die den Gegner lahmlegen. Ein Lauf von Haaland, ein guter Moment von Sancho. Es ist auf eine langweilige Art einfach extrem beeindruckend! Das Spie gegen Bayern München Anfang November könnte Leben verändern. Dem BVB muss es gelingen, Thomas Müller ruhigzustellen. Ihn nicht zu Wort kommen zu lassen, dann sind diese Bayern orientierungs- und führungslos und mehr als schlagbar.
Herr Dembowski, wir wissen: Sie müssen trinken!
Das stimmt.
Wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Demnächst gerne wieder. Hab so viel Zeit!
Dembowski setzte sich wieder an die Theke. Er schaute still auf einen der Bildschirme, der immer wieder die Rashford-Tore gegen Leipzig zeigte. „Ein toller Mensch“, sagte der Ermittler, „aber nicht aufgrund dieser Tore, sondern weil er die Kraft des Spiels für die Gemeinschaft einsetzt. Mehr Rashford, weniger Diskussionen um irgendwelche Zuschauer. Das wünsche ich mir von der Bundesliga und ihren Protagonisten.“