Donnerstag, eine Berliner Szenebar. Taner Sahintürk betritt den Raum. Etwas verändert sich. Ist es nur der Luftstoß, der uns kurz frösteln lässt? Der Schauspieler des Maxim-Gorki-Theaters ist unserer Einladung gefolgt. Es soll heute um die große Kunst gehen. Wir wollen über das Schauspiel reden. Doch erst parodiert der eingefleischte Schalke-Fan den großen Vorsitzenden Clemens Tönnies, und fordert “die erste Meisterschaft meiner Vereinsgeschichte.” Dazu wird es nicht kommen. Deswegen sind wir nicht hier: Wir reden über die Schauspielkunst.
Herr Sahintürk! Was macht einen guten Schauspieler aus?
Herr Dembowski, einen guten Schauspieler zeichnen gewisse Tugenden aus, die er allesamt in sich vereinen muss, um nicht in der Versenkung zu verschwinden oder gar als Mitläufer bezeichnet zu werden. Er muss ein eitles Schwein sein, ein von seiner Angst getriebenes Arschloch. Drogenaffin. Alkoholabhängig. Fähig und allzeit bereit zur Intrige. Sozial invalid. Indifferent gegenüber Kollegen und überhaupt anderen Menschen. Er prostituiert sich zu jeder sich bietenden Gelegenheit, definiert sich selbst jedoch als Zuhälter. Ein Lebenslügner. Aber vor allem schaut er erst und spielt dann, ganz wie beim Fußball.
Das ist eine interessante Antwort! Da möchte ich kurz einhaken: Welcher Bundesliga-Spieler würde auch als Schauspieler überzeugen.
Nach meinen oben genannten Kriterien ist das aus der Ferne schwer zu beurteilen. Rein aus dem, was die Ballkünstler uns jede Woche anbieten, gäbe es selbstverständlich einige Kandidaten, die sich sowohl im Film als auch am Theater ihre Sporen unbedingt verdienen würden: Batman Aubamayang und Robin Reus.
Ja, Pierre-Emerick und Marco könnte man wohl als die Rosenkranz und Güldenstern der Bundesliga bezeichnen. Großes fußballerisches Können gepaart mit dem kindlich-naiven Aspekt der Schmierenkomödie. Früher nannte man doch Spieler wie Auba zumindest in journalistischen Kreisen Papagallo?! Klingt doch wie direkt aus der Comedia del arte. Reus versucht’s wenigstens. Philipp Lahm wäre natürlich, nach der von ihm so geschickt eingefädelten Kapitänsaffäre um Michael Ballack, ein wunderbarer Jago ( aus Shakespeares Othello). Das Einfordern der Spielführerbinde bei Bundestrainer Jogi Löw in dessen Sommerurlaub mit gleichzeitiger Einführung einer sogenannten flachen Hierarchie ( es muss an der fehlenden Körpergröße Lahms liegen) ja, das schmeckt dem Possen-und Theaterliebhaber. Auch Darmstadt 98 gehört hierhin, als Truppe: Die Wikinger! Das Geholze und Geblute und Geschwitze. Mehr Cinemascope geht nicht. Und dann noch Marco ‘Beard’ Sailer im Kader.
In Mats Hummels lässt sich vielleicht eine Art Hamlet sehen. Ein edler und kluger Prinz, dessen Leistungen bisweilen die Sinnlosigkeit seines Schaffens und Daseins spiegeln. Aber immer noch oft für eine originäre Idee gut. Andererseits, vielleicht wäre er besser Romeo. Schön und fertig. Franck Ribery = Richard III..Gezeichnet und dadurch zu allem fähig. Und Arjen Robben bleibt Arjen Robben. Der größte aller Mimen. Ein Allrounder geradezu. Da lässt sich keine spezielle Rolle zuordnen. Das wäre Majestäts- oder Charakterschauspielerbeleidigung. Der kann (paradoxerweise im Gegensatz zur relativ festgelegten Rolle auf dem Fussballfeld) einfach alles. Interessant wäre vielleicht noch die Trainer durchzukauen, aber das würde wohl diesen dummen Rahmen hier sprengen.
Erst kürzlich haben Sie einen Tatort abgedreht. Wäre Arjen Robben eine gute Leiche?
Arjen Robben wäre niemals die Leiche. Die ist ja in den meisten Fällen ein Opfer. Ich würde ihn als Kommissar vorschlagen. Allein. Ohne jegliche Kollegen, in Rotterdam, der räudigsten niederländischen Stadt. Und weil er so schnell ist, würde jede Folge bloß 45 Minuten beanspruchen. Also vielleicht dann besser SOKO Robben!
Arjen Robben improvisiert viel. Ist er dadurch eher ein Theaterschauspieler, oder liegt ihm die Rolle vor den TV-Kameras besser? Oder verweisen seine Fallkünste auf eine bereits vorhandene Ballett-Ausbildung?
Es ist eine Mischung! Eher der Martin-Wuttke-Weg. Ein gefeierter Theaterstar, der jedes noch so lange Stück mit einer nie dagewesenen physischen Leistung meistert, dessen Ego jedoch nach Millionen Zusehenden giert. Die Ballettausbildung ist eine fatale Fehleinschätzung. Es handelt es sich um Oleg-Popov- Clownsschule, die sehr viel an artistischem Handwerk vermittelt.
Welche klassische Rolle mit großer Fallhöhe wäre die richtige?
Arier,äh, Arjen Robben muss natürlich in Worms bei den Nibelungenfestspielen den Siegfried geben!
Robben ist häufig verletzt, sollte er sich in gefährlichen Szenen besser doublen lassen?
Nein! Definitiv nein! Ein Double zerstört die Aura eines Schauspielers. Tom Cruise hüpft mit nun fast 75 Jahren immer noch auf Europas Dächern herum, um unmögliche Missionen zu erfüllen. Da wird sich der Haudegen Robben niemals auswechseln lassen. Da nimmt er lieber das bald fällige Kunstbein in Kauf.
Wo kann sich der Bayern-Spieler noch verbessern?
Jeder Mime entwickelt sich weiter. Arjen Robben könnte jetzt etwas mehr Mut zeigen in der Auswahl seiner Rollen. Der Mann mit den tausend Möglichkeiten, der in so vielen Fächern schon brillierte, sei es die Schmierenkomödie, sei es im Slapstick, im Kriegsdrama, als strahlender Held etc, könnte so langsam die gebrochenen Charaktere annehmen. Tränen waren selten gesehen bei ihm. Selbst nach dem katastrophalen Fiasko im Finale dahoam, einem der besten Filme aller Zeiten. Aber wer weiss…
Hat Robben wirklich eine Chance?
Ein Arjen Robben hat immer eine Chance. Eine Finte rechts und links vorbei. Klappt immer. Auch im Theater- und Filmgewerbe. Da sind Überraschungen so selten wie ein Schweinebraten in der Moschee.
Was fasziniert Sie an dem Volksschauspieler Arjen Robben?
Alles. Diese faszinierende Bandbreite. Intuition. Instinkt. Wille. Technik und Handwerk. Kondition. Unersetzbarkeit. Fantasie. Der Gute, der aber böse ist und trotzdem von vielen doch so geliebt wird. Auch wenn Landsleute sich bisweilen schämen. Er polarisiert tatsächlich und bleibt somit der modernste Held, der nur vorstellbar ist.
Ist der Künstlername vom Regisseur nicht zu nah an der Realität gewählt?
Jetzt wird’s ekelhaft tendenziös, Herr Dembowski, Eine Robbe bezeichnet vielerlei. Sie denken da jetzt bloss an das sich permanent auf dem Boden befindliche und von japanischen Verrückten arme gejagte Meerestier. Da steckt mehr dahinter.
Arjen bezeichnet etymologisch die Einwohner Adrias, einer wundervollen italienischen Kleinstadt, deren Söhne und Töchter zu großen Teilen Tenöre, Komponisten, Dirigenten, kurz: Feingeister sind! Erkennen Sie die wunderbar spannende Ambivalenz? Aus diesem Holz sind wahre Künstler gestrickt!
Herr Sahintürk, wir danken Ihnen für diese Einschätzungen.