Vielleicht hätte er die Tür öffnen sollen. Hatte er aber nicht.  Er krachte in die Tür. Ein Donnerstag im Januar. Früh genug, um mal bei Schill vorbeizuschauen.

„Lecker Pils!“, polterte Dembowski.

Justin Hagenberg-Scholz schüttelte nicht einmal Kopf. Zu vertieft war in die Modelle der Konkurrenz. Nach Transfermarkt.de hatte nun auch One Football das POWER RANKING geklaut. JHS hatte einen Plan. Er wußte: Den hatte Dembowski nicht, nie gehabt. Der Ermittler war das Gesicht, doch er das Gehirn. Er musste handeln. Ohne POWER RANKING kein DID. Aber ohne DID würde es weiterhin POWER RANKINGs geben. Nur nicht vom DID.

Die App One Football saß auch in Berlin. In einem Hinterhof auf der Greifswalder Straße. JHS erinnerte sich an die Schimpftiraden des Ermittlers. Die App war gekommen, ein Biomarkt war eingezogen und der Magnet Klub verschwunden. Dort aber war Dembowski in den 00er-Jahre eine dicke Nummer. Einmal hatte er dort sogar aufgelegt. Eigentlich nur ein Lied. Das war sein größter Tag. Weißer Anzug, voller Tanzflur und dann „Für Immer Punk“. Darin hatte er sich verloren. Auch als längst niemand mehr war da, außer seine Beck’s-Flasche.

„Damals tranken wir Beck’s, Justin“, erinnerte sich JHS an Dembowskis Worte. „Es war die Zeit, in der uns die Welt gehörte. Beck’s gehörte einfach dazu. Die schlanke, grüne Flasche verlieh uns, die wir ja zugezogen waren, den Glanz der Weltstadt. Aber als sich da die Tanzfläche leerte, ich zum hundertsten Mal die Zitrone spielte, da habe ich mit der Stadt abgeschlossen.“

Wenig später, so ging Dembowskis Sage, zog das Kapital ein. Mit „Für Immer Punk“ war es nichts geworden. Jetzt genügte Berlin sich nicht mehr selbst. Jetzt war alles dort produzierte direkt von WELTWEITER Bedeutung. Der Ermittler verachtete das und hatte sich immer weiter in den Norden zurückgezogen. Hatten sie ihn verdrängt? Vielleicht! Aber Dembowski brauchte den Weltruf nicht. Ihm langte sein Schulle. Und ihm langte der schmale Ruhm, zu dem er durch den DID gekommen war.

Doch dieser Ruhm war nicht nur schmal, er war fragil. Noch nährte er Dembowski, Wu und auch JHS, doch One Football stellte eine konkrete Bedrohung da. Ein Analytiker wie Hagenberg-Scholz wusste das. Ein Ermittler nicht.

JHS hackte sich in das One-Football-Netz und Dembowski brüllte: „Lecker Pils, Schill!“

Der aber saß gedankenverloren hinter seiner Theke und drehte die Musik noch ein wenig lauter.

„Bist Du jetzt komplett durch, Schill? The Shivers! Geht es noch? Wu abgehauen?“

Schill schob ihm ein Beck’s rüber.

„Ist das lecker Pils?“

„Sagt doch keine Sau mehr, und Schulle? Das ist Pferdepisse. Wer soll das trinken? Wir servieren hier jetzt Becks!“

„Hauke! Wenn Wu Dir wegrennt, ist das nicht mein Problem. Mach die Shivers aus. Elender Kitsch. Bring mir Schulle. War gerade oben an der Wollank. Frühschoppen. Das 0.5er für schlanke 2 Euronen. Sorry, Hauke. Dein Laden ist nicht alles für mich, aber er ist alles für Dich!“

„Wegen Wu…“, Schill stockte. Sollte er von der Chinareise erzählen, und von dem, was sie sich versprochen hatten? Er setzte neu an. „Wegen…“

„Wu ist weg. Hat ohnehin genervt. Im Soldiner nur Männer. Trinken ist ein Männnersport. Wie Fußball. Sei doch froh.“

„Lass ihn, Dembo!“

„Justin, Du hast mir hier gar nichts zu sagen!“

The Shivers und Becks. Er kam sich vor wie in einer 00er-Jahre Lo-Budget-Produktion. Das brauchte er nicht. Das Chaos, den Ordnungs- und Kontrollverlust im Internetkapitalismus mochte er. Jeder gegen jeden. Ohne Sieger. Bis alle am Boden liegen. Panik! Er liebte diese den Himmel verhüllende Angstwolke. Er kam sich vor wie einer Christo-Installation. Auch wenn es ihn natürlich rührte an das Davor, an den Aufbruch in den Untergang zurückzudenken. Das fand Dembowski normal. Er war auch Romantiker.  

Im Davor war das Internet ein privater Ort. Es gab eindeutige Abgrenzungen, es gab keine alles in sich aufsaugenden Datenkraken, keinen großen Marktplatz. Die Leute saßen in den Nischen ihrer Eckkneipen. Sie unterhielten sich. Waren für den Rest nicht sichtbar, und doch lebten sie. Dann waren alle falsch abgebogen. Jetzt war alles verteilt.

Der DID hatte das POWER RANKING abbekommen. Ein Krümel. Aber viel mehr als er sich je erträumt hatte. So eine Idee, dachte der Ermittler, würde niemand klauen. Er stieg die Treppe hinunter in den Keller, kam mit einer Kiste Schulle zurück. Schill hörte immer noch The Shivers. Der Kneipier dachte an Wu, die es mal wieder nach China verschlagen hatte. Dort gab es immer etwas zu eröffnen. Asien war die Zukunft.

Dembowski blickte auf Justin.

„Was machste da?“

„Ich schau mich ein bißchen bei One Football um, Dembo. Mehr musst Du nicht wissen!“

„Tegel dicht: Drohne bedroht Flugverkehr! Chaos an deutschen Flughäfen!“, pushte sein Smartphone. Schulle auf. Telefon klingelt. Der DID ist dran. Endlich. Alles raushauen!

Hallo, Herr Dembowski!

DID is ja klasse. Auf Ihren Anruf habe ich mich aber mal sowas von gefreut!

Prima. Ihre Stimme wurde vermisst. Das sehen wir auch so. Fangen wir direkt mit den ganz heißen Eisen an. Ganz Deutschland träumt vom Titel, ist im Handball-Fieber. Sie auch?

Das verneine ich gerne. Handball interessiert mich. Schau aber auch kein Dschungelcamp. Falls Sie Ihre nächste Frage dann gleich überspringen wollen.

Bleiben wir noch ein wenig beim Handball. Dort geht es sehr fair zu. Unter allen. Unter Spielern, Trainer und Fans. Die Sportler sind die netten Jungs von nebenan. Wir hören in den Pausen die Anweisungen der Trainer. Was kann der Fußball vom Handball lernen?

Oh! Ein weiteres Lehrstück? Nicht mit mir. Der Fußball lebt von Rivalitäten, er hängt am Tropf der Aufregung. Er ist immer verfügbar, doch lange schon nicht mehr greifbar. Die Protagonisten leben in einer fernen Welt. Einige träumen sich über die kalte Nähe der sozialen Netzwerke genau in diese ferne Welt. Auch sie wollen einmal aus der Dunkelheit der Bedeutungslosigkeit hervortreten. Sie machen alles, um wie ihre Helden zu sein. Sie kleiden sich wie sie, sie benehmen sich wie sie, sie denken wie sie.

Das ist doch katastrophal, Herr Dembowski.

Das gibt es doch überall. Wir leben in einer digitalisierten Welt der Überinszenierung. Das ist eine Systemfrage. Der Internetkapitalismus bringt diese Kinder hervor. Das ist doch nicht der Sport.

Fahren Sie fort.

Okay. Es ist doch so: Andere bewundern die Perfektion der Gedanken, die uns Wundertrainer wie Tuchel und Guardiola scheinbar präsentieren. Wieder andere begeistern sich am Stadionerlebnis und natürlich verfolgt ein Teil das Geschehen wie einen großen Fortsetzungsroman, wie eine Netflix-Serie mit endlosen Ablegern, Wendungen, Protagonisten. Wir können uns die Fußballwelt nach unseren Vorstellungen formen. Wir können das Angebot komplett auf uns abstimmen. Für die Fans des Spiels ist Fußball das Second Life. Es ist eine Simulation einer Realität, die durch das eigene Handeln bestimmt werden kann.

Das kann der Handball doch auch bieten.

Handball ist nicht weltumspannend, hat zu viele Brüche, zu viele Anreize auf dem Spielfeld. Es ist zu schnell und viel zu nah. Das Entrückte der Protagonisten ist doch ein Hauptgrund, den Fußball zu lieben. Hatte ich oben aber auch bereits erwähnt.

Das Entrückte der Protagonisten führt dann zu Auswüchsen wie Cristiano Ronaldo. Gejagt von den Behörden, verurteilt für Steuervergehen, verlässt er das Gericht, lacht, schreibt Autogramme und steigt dann in ein Flugzeug. An einem Tag, an dem einer seiner Kollegen mit einem Flugzeug über dem Kanal verschwindet.

Sie beißen sich da an etwas fest.

Und Sie haben keine Antwort.

Mir ist das jetzt schon wieder zu blöd. Ronaldo ist verurteilt worden. Er darf trotzdem noch Autogramme schreiben und auch lachen. Er ist einer Haftstrafe gerade so entkommen. Und wer weiß, was in Vegas noch passiert. Dass er dann mit einem Flugzeug fliegt, und sich fotografiert. So ist das. Das gibt es in der Mode, das gibt es in der Musik, das gibt es im Film und das gibt es im Fußball. In Russland werden Privatjets stundenweise vermietet, um sich darin zu fotografieren. Das hat aber alles doch nichts mit dem Verschwinden eines Fußballers zu tun.

Ohne Football Leaks hätte Ronaldo nie eine Strafe befürchten müssen. Jetzt wurde der Kopf der Whistleblower verhaftet. Atmet die Fußballwelt nun auf?

Es wird neue Skandale geben. Meine Meinung über „John“ und seine Fußballleaks habe ich ihnen doch öfters schon unter die Nase gerieben. Trotz des wahren Kerns der Enthüllungen: Es bleibt für mich eine extrem windige Angelegenheit. Wer profitiert von dieser Inszenierung?

Es ist keine Inszenierung. Und John hat den Fußball gerechter gemacht.

Wie der VAR. Bleiben wir bei meinem vorhin in aller Breite skizzierten Ansatz, ist es egal, ob der Fußball gerechter wird, denn die Fans wollen keinen gerechten Wettbewerb. Sie wollen Unterhaltung und sie wollen Träume.

Gelten Sie nicht als Verfechter des alten Fußballs, Herr Dembowski?

Ich sehe mich als Vertreter einer Gruppe, der es um Fairness geht, die sich dagegen wehrt, dass der Sport die Schwachen kriminalisiert und die Starken als Helden inszeniert. Die Schwachen, also die aktiven Fans, sind die ohne Stimme, deren Verschwinden dem Fußball aber schlagartig ein Großteil seiner Attraktivität entziehen würde. Es sind diese oft raubeinigen Kids auf der Tribüne, die das Spiel an der Basis halten. Sie gilt es zu schützen. Was passiert aber? Ein Großteil der Energie der Presse geht dafür drauf, den Stars den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Das gelingt in Einzelfällen, ist aber vor allen Dingen doch so attraktiv, weil der Glanz des Angeklagten immer auch den Enthüller scheinen lässt.

Es handelt sich um Betrüger, Herr Dembowski.

Bei den Enthüllern? Das ist eine starke Ansage!

Bei den Sportlern!

Ach so! Das ist ihre Interpretation. Die wahren Dramen spielen sich jedoch in den kleinen Briefen ab. Dort hagelt es empfindliche Strafen für Kleinstvergehen. 75 Tagessätze für eine Beleidigung des Patrons Dietmar Hopp. Das ist richtig Kohle. Dazu Stadionverbote und die Aufforderung zur Wiederholung. Legt Euch mit uns an, wir machen Euch platt und jagen Euch aus den Stadien. Denn ihr seid unsere Kritiker und nicht unsere Kunden. Das sind die Dramen, meine Damen und Herren. Den schwächsten Protagonisten des Spiels, die von der Liga mit „as its meant to be!“ bedacht werden, müssen ganz ohne Medienöffentlichkeit ihre Verteidigungskämpfe führen. Das ist ein Problem. Ein echtes. Denn hier geht es nicht um Entrückte, sondern um echte Menschen. S

Sie sind mal wieder drauf. Ein kurzer Blick auf den BVB. Der Ballspielverein gewinnt in Leipzig mit 1:0 Toren. Wehrt den Angriff der Bayern ab.

Der BVB schüttelt mit Leipzig den ersten Verfolger ab. Sie haben 3 von 51 möglichen Rückrundenpunkten geholt. Aktuell reicht das nicht einmal für die Europa League. Jadon Sancho ist in einem Formloch, Pulisic ohnehin. Bruun Larsen auch. Reus jetzt verletzt. Es ist doch überhaupt keine abgemachte Sache, dass der BVB Meister wird. Auf der anderen Seite erinnern wir uns alle gerne an den Baby-Sturm mit Ibrahim Tanko und Lars Ricken. Auch der wurde Meister. Ich gehe guter Dinge in den nächsten Spielen. Neun Punkte aus den nächsten 3 Partien, dann können wir weiterreden.

Wir müssen auch auf das DID POWER RANKING blicken. Die Klickzahlen brechen ein, die Radioshow ist ein Riesenflop. Aber das Konzept wird nun auch von One Football aufgegriffen. Der Konkurrent bietet ebenfalls ein Power Ranking an.

What? Das wusste ich nicht. Es gibt natürlich nur ein Power Ranking, das DID POWER RANKING. Wir machen den Fußball vergleichbar, wir unterstützten die gesamteuropäische Idee. Werde ich mir aber mal anschauen. One Football? Da war ja früher der Magnet Klub…

…die Geschichte von One Football und dem Magnet Klub kennen wir, Herr Dembowski.

Habe ich die schon erzählt???

Zum Abschluss. Ganz Dortmund ist empört. Am Sonntag sendete die ARD einen schlechten Tatort.

Ich fand den super. Kenn Faber aber natürlich auch persönlich. Dieser Zechen-Fall hat ihn wirklich beschäftigt. Da ging es ja auch um Menschen.

Der Dortmunder OB forderte die sofortige Absetzung des Tatorts. Die Lokalzeitungen brachten bis zu 7 Seiten über die Skandal-Folge.

Faber hat das sehr getroffen. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.

Herr Dembowski, vielen Dank für das Gespräch.

Ihnen aber auch.

Dembowski schnappte sich ein neues Schulle. Schill träumte von China. Und JHS ließ die Drohnen steigen. Vor der Tür kämpften die Drücker der örtlichen NRA gegen die Einführung des Tempolimits. Auf dem Bildschirm flackerten Bilder aus Davos und Venezuela.