Herr Dembowski, vielen Dank, dass Sie sich für uns Zeit nehmen.

Das steht so in meinem Vertrag. Dafür müssen Sie mir nicht danken. Aber okay. Hier bin ich. Bald aber nicht mehr.

Wie die Saison 2017-2018. Die ist auch weg. Eintracht Frankfurt holt zum Abschluss den DFB-Pokal.

Das hat mich gefreut. So richtig gefreut. Der DFB-Pokal bleibt ein einzigartiger Wettbewerb. Für mich ist er die neue Bundesliga. Klar, auch hier dominieren die Bayern. Sie scheitern vor dem Finale nur am BVB, der wiederum nur an den Bayern scheitert. Das ist die Realität. Aber mit Schalke, Dortmund, Bayern, Wolfsburg und jetzt Frankfurt gab es in den vergangenen acht Spielzeiten immerhin fünf verschiedene Gewinner. An einem Tag ist es also möglich, jede Mannschaft der Welt zu schlagen. Das macht KO-Spiele so besonders. Tut natürlich auch dem deutschen Fußball gut. Auch weil Leipzig mit neuem Trainer in die EL-Quali muss.

Der 3:1 Sieg kam jedoch erst durch eine zweifelhafte Entscheidung von Schiedsrichter Felix Zwayer zustande. Sogar von einer Fehlentscheidung war die Rede. Dieser Sieg hat ein Geschmäckle.

Die Medaille hat zwei Seiten, da haben Sie mit Sicherheit recht. Aber das hat nichts mit Felix Zwayer zu tun, da muss ich Sie dann doch enttäuschen. Wir reden hier das ganze Jahr über klare und offensichtliche Fehlentscheidungen. Die lag hier aber überhaupt nicht vor. Für mich war das nicht unbedingt ein Foul. Andere Experten haben da andere Meinungen. Aber ausschlaggebend ist hier Felix Zwayers Meinung. Der sieht es wie ich. Jetzt reden wir uns alle wieder in einen Rausch, Fröhlich fordert direkt eine öffentliche Abstimmung bei zukünftigen Entscheidungen. Was nicht passt, wird passend gemacht.

Weil die Bayern benachteiligt wurden?

Nein. Das ist Quatsch. Das sind Verschwörungstheorien. Das war eben kein strafwürdiges Foul. Wir reden hier die ganze Zeit von der neuen Gerechtigkeit durch den VAR, die ja in Wahrheit eben nur eine Schuldverschiebung ist. Jetzt sind wir durch Zwayers Entscheidung zurück beim Schiedsrichter. Da dessen Gesicht ohnehin niemandem passt, wird er zum Opfer, ja fast zum Straftäter gemacht. Das ist absurd. Die Straftäter sitzen ganz woanders.

Kevin-Prince Boateng sprach von einem klaren Foul.

Diese im Siegesrausch getroffene Aussage wird überinterpretiert. Boateng hat da einfach einen Brocken hingeschmissen. Mehr nicht. Hätte er so nach einer eventuellen Niederlage nicht gesagt.

Dafür erzählte der Prince die Rebic-Anekdote.

Hach, der Prince. Das ist schon einer. Satz für die Ewigkeit. Wie Reichs Text über Frankfurts Sieg. Da geht es nur am Rande um Fußball.

Sie meinen den bei den 11 Freunden?

Genau. Extreme Emotionen schreiben die besten Texte. Gacinovics Lauf in die Pokalgeschichte und das, was das Spiel mit uns macht. Besser geht es nicht. Eine extreme Verdichtung. Das ist Fußball. Und nicht ein 7:1 gegen Brasilien.

Anders als die Brasilianer 2014 blieben die Bayern zur Siegerehrung nicht auf dem Platz.

Das ist anstandslos! Und jede Entschuldigung hat die Bayern da noch tiefer reingerissen. Konnte man dann aber noch steuern. Erst ging es auf einmal um ein Spalier. Das ist natürlich grober Unfug. Dann ging es eben um den VAR. Alles schnell vergessen. Jetzt sind die Bayern eben keine schlechten Verlierer mehr, sondern eher die, die von einem Menschen betrogen worden sind. Ist dann eben so. Werden wir, wie alles, schnell vergessen.

Die Kritik war heftig.

Wer jahrelang gedemütigt wird, reagiert ein wenig heftiger. Das ist jetzt nicht wirklich…

…aber auf Twitter, Herr Dembowski…

…machen sie doch eine Klickstrecke. Ich möchte mit Ihnen jetzt auch nicht mehr über das Finalspiel reden.

Themenwechsel. Der BVB wird in LA von 15 Fans empfangen. Ist die USA-Reise ein Flop?

Sollen die jetzt die Immigration passieren und mit Bengalos empfangen werden? Der BVB ist einer von mindestens 98 europäischen Vereinen, die auf den amerikanischen Markt abzielen. Der Verein kann das schon einschätzen. Wenn man dann nach so einer Saison mit einer Rumpftruppe in den USA aufschlägt, dazu noch vier Stunden Verspätung hat: Wer soll da auf die warten?

Die Bild schreibt von einem Peinlich-Empfang!

Was ist das überhaupt für eine Sprache? Niemand hat auf den BVB gewartet. Die sind nicht die Dallas Mavericks, die mit Dirk Nowitzki in München vorbeischauen. Das ist ein langer beschwerlicher Weg da drüben. Vollkommen okay, dass man den gehen will. Machen andere Vereine auch.

Mario Götze ist mit den USA, steht nicht im WM-Kader. In einem bemerkenswerten Kommentar aus dem Jahr 2016 lesen wir unter „Götze, 24:  Karriere auf der Kippe“ vom sich ankündigenden Absturz des damaligen Dortmund Rückkehrers. Sie schrieben: „Aber Mario Götze bleibt der, der keine Tattoos trägt. Der, der Wärme braucht und Kälte ausstrahlt. Der, dessen Karriere […] auf der Kippe steht.“ Was wird nun aus ihm?

Ist das nicht tragisch? Manche Dinge sehen wir kommen, wir können sie nicht, noch wollen wir sie stoppen. Sie passieren, weil die Hoffnung tief in unserer Seele verankert ist, und das Leben sie uns immer wieder nimmt. Das sehen wir bei Götze. Wir wollten ihn auf der richtigen Seite sehen. Sein Tor in Brasilien ist Teil der deutschen Geschichtsschreibung. Für ihn ist es ein Standbild. Ist es sein Greatest Hit. Er ist der erste WM-Siegtorschütze nach Gerd Müller, der das nachfolgende Turnier verpasst. Ich habe ehrlich gesagt überhaupt keine Ahnung, was mit ihm passieren wird. Man wird ihn immer an seiner ersten Dortmunder Zeit und an dem Tor messen. Götze war immer nur ein Versprechen auf eine goldene Zukunft. Das Versprechen hat er eingelöst. Vielleicht war das seine Aufgabe im Fußball. Die hat er vor vier Jahren erfüllt. Jetzt muss er die Zeit bis zum Karriereende rumkriegen. Es werden quälende Jahre voller Spott. Das stimmt mich traurig.

Lucien Favre wird neuer Trainer der Borussia. Wird jetzt alles gut?

Der BVB spielt seit Jahren in der Champions League. Hat zwei unfassbar schwere Jahre mit Bravour bewältigt. Haben den Pokal geholt, sind dann in einem 2-Trainer-Jahr gerade noch so auf Platz 4 gelandet. Jetzt wollen sie etwas ändern. Neben Favre kommt noch Sammer, kommt noch Kehl. Manche erwarten eine Zeit der Zauderer. Gerade wegen Kehl, gerade wegen Favre. Ich erwarte sportlichen Aufschwung. Ich erwarte eine Abkehr von große Namen. Ich erwarte eine bessere Atmosphäre rund um den Borsigplatz. Fans, die wieder für etwas einstehen und nicht gegen etwas sind.

Sie reden wie Pit Gottschalk. Der DID-Kolumnist nannte die Ultras die Verlierer des Jahres.

Diese Hysterie. Ich ertrage das nicht mehr. Auf allen Seiten. Nach dem Hamburger Abstieg und Kai Dittmanns Kommentar live auf Sky aber überrascht mich das auch überhaupt nicht mehr. Da werden Bilder gezeigt, die suggerieren könnten, dass andere Fans in Gefahr geraten könnten. Wenngleich das überhaupt nie der Fall ist. Aber Angst ist ein guter Verkäufer. Angst triggert uns. Aus Angst wächst Empörung über die, die uns mit dieser Angst überziehen. Das funktioniert doch auf der Flüchtlingsebene genauso. Das sind die Mechanismen der Angstindustrie. Verstörend. Aber zwangsläufig.

Weil?

Das unsere Zeit ist. In immer kürzeren Abständen werden überall die größten Bedrohungen skizziert. Aber wissen Sie was?

Nein.

Ich habe keine Angst mehr.

Das freut mich für Sie. Haben Sie denn noch eine Meinung?

Noch schon. Das ändert sich bald.

Legen wir los. Trainer des Jahres?

Julian Nagelsmann. Er hat sich nach einer kurzen Phase der Selbstüberhöhung auf seinen Job konzentriert. Und eine unterlegene Mannschaft in die Champions League geführt. Dass Spieler wie Vogt jetzt mit Bayern in Verbindung gebracht werden, ist allein sein Verdienst. Das war beeindruckend. Hatte ich so nicht erwartet. Freut mich daher umso mehr.

Mannschaft des Jahres?

Der Hamburger SV. Natürlich nicht am Anfang der Saison. Aber der HSV unter Titz. Die sind mit Würde abgestiegen. Haben Fußball gespielt. Haben sich bis zum letzten Moment nicht aufgegeben. Das kam überraschend. Alle wollten sie gehen sehen, und in dem Moment, in dem sie gehen müssen, gehen sie mit Anstand, mit einer Mannschaft und nicht mit einer zerfallenden Gruppe. Das wurde zu wenig gewürdigt.

Spieler des Jahres?

Max Kruse. Er macht den Unterschied. Bei Werder Bremen. Er ist der Mann in Bremens Offensive. Und anders als Sandro Wagner auch ein angenehmer Zeitgenosse. Er ist der Netzer der Neuzeit. Nur ohne Weltkarriere. Das erspart ihm in der Folge dann auch größere Skandale.

Europäische Mannschaft des Jahres.

Real Betis mit Coach Quique Setien. Mal sehen, ob der Prince da jetzt auch anheuert.

Vielen Dank bis hierhin. Herr Dembowski, Sie haben es bereits mehrfach angedeutet. Dies ist der letzte Fragebogen aller Zeiten. Wir bedauern diesen Abschied. Aber wieso gehen Sie?

Da gibt es nicht viel zu erklären. Everything is temporary. Gerade das letzte Jahr war wunderbar. Wir waren ein perfektes Team. Im Zusammenspiel haben wir die dunkelsten Ecke des Sportspiels Fußball ausgelotet. Doch muss man sich bewegen. Das habe ich immer gemacht. Vielleicht erinnern Sie sich noch an DerSamstag!? In den Jahren 2013 und 2014 haben wir damit gehörig für Furore gesorgt. Wir hatten junge, aufstrebende Schreiber. Manche von ihnen trainieren heute Profimannschaften, andere, wie ich, sitzen immer noch im Soldiner Eck, trinken Schulle, klicken die Jukebox und erklären die Welt, die aber längst zu komplex für meine einfachen Theorien geworden ist. Die Zeit hat dieses Format überholt. Wasser, Hochwasser, Untergeher.

Wir haben uns gerne aus Ihrer Welt erzählen lassen.

Das freut mich.

Eine Frage noch: Haben Sie das hier immer ernst gemeint?

Selbstverständlich. Ich habe den Spott da draußen ja mitbekommen. Aber nur weil von überwältigenden Meinungsmehrheit eine Rückkehr zu sportlichen Themen gefordert wird, muss man das doch nicht mitmachen. Messerscharfe Analysen der Gesamtlage der Liga müssen weiter erlaubt sein. Das möchte ich Ihnen noch mit auf den Weg geben: Glauben Sie den Menschen nicht, die Fußball ausschließlich über die 90 Minuten erklären wollen. Die sind wichtig, sie sind aber nur ein kleiner Teil dieses Spiels. Und nur in Ausnahmefällen überhaupt von Bedeutung.

Bevor Sie später sicher stärker zurückkommen werden: Wie werden Sie den Sommer verbringen, Herr Dembowski? Die WM steht vor der Tür.

Ich werde nun rausgehen, am Wasser sitzen. Ein paar Steine flitschen lassen. Mein Rekord liegt da bei 23. Da geht noch mehr. Irgendwann werde ich aufstehen. Ein paar Schritte gehen. Mich wieder ans Wasser setzen. Ich werde die Sonne auf meinem Gesicht spüren. Kaltes, klares Wasser trinken. Ich werde Vögel beobachten, und Jungfische markieren. Am Abend werde ich mit Dörte auf der Veranda sitzen. Wir werden Gitarre spielen und Wein trinken. Wir werden uns selbst genügen und ohne andere Menschen sein.

Herr Dembowski, passen Sie auf sich auf.

Und Sie auch!