Justin Hagenberg-Scholz zieht ein Bild auf, immer größer, immer grobkörniger, bis er nichts mehr sieht. Dann druckt er es aus, damit er wieder was sieht. Das Bild zeigt einen älteren Mann. Hat er das eine Bild erst aufgezogen, immer größer, immer grobkörniger und es dann gedruckt, geht er zum nächsten Bild.
Es ist ein anderes Bild. Es zeigt ebenfalls den Mann. Doch hier ist er jünger, hier ist er sportlicher. Es ist ein Bild aus dem letzten Jahrtausend. Als die Welt sich noch langsamer bewegte. Weit vor der Erfindung des Internets.
Auch dieses Bild zieht er auf, immer größer, immer grobkörniger, bis er nichts mehr sieht. Dann druckt er aus, damit er wieder was sieht. Er legt die Ausdrucke nebeneinander. Er holt eine Lupe hervor. Einmal schaut er hier und einmal schaut er dort. Ein Lächeln. Mehr gibt er nicht her! Er ist einer großen Sache auf der Spur. Dafür wird er sich alle Zeit der Welt nehmen. Dietfried hat sie ihm bis November versprochen.
„Analog“, sagt JHS, „ist besser.“ Er schaut noch einmal auf die Bilder. Ein Indiz. Jetzt begann die Kärrnerarbeit. „Ich liebe meinen Job“, sagt er halb zu sich. Hauke Schill lacht. Doch der Datenforscher denkt an das Moor und an die Nacht, die alles veränderte. Er lacht nicht. Friedrich und Karl-Heinz sind gekommen und gemeinsam gehen sie immer wieder die Bilder dieser Nacht durch. Karl-Heinz erinnert sich an das Wimmern, Friedrich an Eduards Stimme und beide an eine Wolldecke. Justin glaubt ihnen nicht. Er wird ins Moor gehen.
Dietfried Dembowski trinkt Schulle. Er ist der König der Jukebox. Sein Klassiker: Dräuendes Wabern im Zigarettenrauch. Tagsüber noch hat er die Kraniche beobachtet. Sie verlassen das Land. Jetzt sind sie in seinen Gedanken.
„Was werden sie vorfinden, wenn sie im kommenden Jahr zurückkehren werden?“, fragt sich der Ermittler. Eine Antwort erwartet er nicht.
Dembowskis Blick schweift durch das Soldiner Eck. Bleibt immer wieder an Justin hängen. Der macht seine Sache gut, findet der Ermittler. Bald schon würden sie eine Antwort haben. Auf eine Frage, die sich bislang noch niemand gestellt hat.
Bis dahin aber hat Dembowski nur die Musik und, hoffentlich, ein paar Antworten für den DID. Das ist ja immer so eine Sache mit dem Ermittler. Probieren wir es heute mal mit einem ungewöhnlichen Einstieg. Wie er wohl reagieren wird?
Herr Dembowski! Sind Kraniche Kult?
Was?
Erst hatten sie eine Lamafarm. Dann wurden Lamas Kult. Jetzt haben sie eine Kranichfarm. Werden Kraniche jetzt Kult?
Kraniche leben auf keiner Farm. Kraniche sind freie Tiere. Wir bieten da nur einen Schutzraum. Mehr ist das nicht.
Noch einmal: Sind Kraniche Kult?
Was wollen Sie eigentlich von mir?
In China symbolisiert der Kranich die Hoffnung, dass die Seelen der Toten in den Himmel aufsteigen, in Indien wird der langhalsige Gesell als Gott verehrt, wir finden ihn auf altägyptischen Grabplatten, in Schweden verkündet er das Ende der dunklen Zeit.
Kraniche über Berlin verkünden die dunkle Zeit. Sie beginnt jetzt.
Das ist nicht Kult. Die Lage scheint ernst, Herr Dembowski.
Die Lage ist immer ernst. Aber wir sind einer großen Verschwörung auf der Spur. Die Geschichte des deutschen Fußballs müsste in weiten Teilen neu geschrieben werden.
Ist Jatta also doch nicht Jatta?
Was ist das für eine Frage?
Das wird man doch noch einmal fragen dürfen! Sie wollen doch die Geschichte neu schreiben.
Was ist das überhaupt für ein Gespräch? Wer soll das lesen?
Das lassen Sie mal unsere Sorge sein, Herr Dembowski. Sie waren am vergangenen Wochenende beim Klassenfeind RB Leipzig. Dank einer Taktiksensation gelang den Nagelmänner ein epochales 1:1 Unentschieden gegen den Serienmeister.
Das 1:1 fiel bereits vor der Pause. Nach einem katastrophalen Fehler Thiagos. Das hatte mit Taktik nichts zu tun. Das war ein Zufall. Und wenn ich mich recht erinnere, hat Nagelsmann dann von einer Dreierkette auf eine Viererkette umgestellt. Das ist jetzt keine Taktiksensation.
Herr Kovac hatte keine Antwort!
Hatte er. Sie langweilen mich. Ich bin Fan der Dortmunder Borussia. Wenn Sie über die Bayern reden wollen, quatschen Sie doch mit Justus.
Dann reden wir über den Ballspielverein. Gegen Barcelona gelingt den Borussen trotz Überlegenheit kein Treffer. Die Katalanen reisen mit einem Punkt ab.
Und der BVB feiert sich dafür. Mir komplett unverständlich.
Aber vor 18 Monaten stand der BVB am Abgrund, Herr Dembowski.
Was eben für Sie so ein Abgrund ist. Gefallen sind Sie wohl noch nie.
Vor 30 Monaten der Anschlag auf das Leben der Spieler. Der BVB ist einen weiten Weg gegangen.
Wir müssen aufhören, die Gegenwart als eine Summe nur einer Vergangenheit zu erklären. Dann entgleitet uns die Zukunft. Doch die ist alles, was wir überhaupt noch haben.
Meinen Sie das jetzt politisch?
Wir reden über Fußball! Was ich meine: Der BVB ist mit einem 0:0 gegen Barcelona zufrieden. Der BVB spielt wie Thees Uhlmann auf seiner neuen Platte singt. Manchmal gefällig, selten zwingend. Der BVB will unterhalten, aber nicht zu sehr stören. Der BVB gibt sich mit einem Titel alle paar Jahre zufrieden. Der BVB setzt auf Fame und nicht auf Trophäen. Der BVB zitiert, aber nur den Mainstream. Es ist, wenn Sie mich fragen, und das haben Sie getan, ziemlich deprimierend. Ja: Der BVB ist einen weiten Weg gekommen, aber er hat er vergessen, wie es sich anfühlt, noch ein Stück weiter zu gehen. Der BVB bildet Spieler aus und das genügt ihm. Das darf ihm nicht genügen. Der BVB ist satt, er müsste aber hungrig sein.
Der BVB ist eine europäische Mittelklassenmannschaft, die an einem guten Tag mit einer Topmannschaft mithalten kann.
Vor sechs Jahren war der BVB eine internationale Topmannschaft. Ich sehe keine Bestrebungen, wieder dorthin zu gelangen. Es geht dem Verein nur noch und ausschließlich um Sichtbarkeit in diesem Spiel der großen Klubs. Wäre der BVB eine Spitzenmannschaft, hätte er Barcelona geschlagen. Hat er aber nicht.
Barcelona hatte Marc-Andre ter Stegen im Tor. Der hielt alles.
Das stimmt. Ein guter Torhüter. Reus gegen MAtS erinnerte mich an Neuer gegen Lewandowski, damals als der eine noch die Dortmunder Farben trug und der andere noch ein Nordkurvenidol war. Aber Reus ist alt und Lewandowski hat jetzt 200 Tore für die Bayern geschossen.
Manuel Neuer aber musste noch mehr unter ter Stegen leiden als Marco Reus.
Das sagte Uli Hoeness. Der kann es immer noch. Er hat den ohnehin schon unterhaltsamen Streit auf gutes Boulevard-Niveau gehoben.
Hoeneß beleidigt den Torhüter, attackiert den DFB und die Presse.
Hoeneß hat immer alles beleidigt und beschimpft. Das werden wir jetzt auch noch aushalten können. Bald ist der Mann, der Uli Hoeneß war, doch nicht mehr Präsident. Natürlich können wir uns jetzt über sein seltsames Medienbild wundern oder aber wir können akzeptieren, dass er das, was er Internet nennt, tatsächlich nur selten besucht.
Er hat im Internet mit Aktien spekuliert!
Vielleicht empfand er das nicht als Internet. Was weiß ich.
Themenwechsel: Herbert Grönemeyer…
Darüber diskutiere ich nicht.
Was machen Sie an diesem Wochenende?
Hertha gegen Paderborn und die Suche nach den Windhorst-Millionen. Montag dann 5G-Derby in Wolfsburg. Das wird so geil.
Wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Dafür nicht.