Champions League im Soldiner Eck. Das sind die Feste, die gefeiert werden müssen. Anstoß um 18.55 Uhr. Der ideale Zeitpunkt für ein gutes Schulle nach einem harten Intensivrecherchetag.
Schill, Wu, Hagenberg-Scholz und Dembowski lauern auf die nächste Niederlage der Bayern. Sie lieben Chaos, Panik, Weltuntergangsstimmung. Diese verbreitet der Rekordmeister in Krisenzeiten nur zu gerne.
Ein Gast taucht auf. Er stellt sich als FCBlogin vor. „Haste denn keinen richtigen Namen?“, wundert sich der Ermittler. „Wir sind hier nicht in den sozialen Medien, mein Freund. Schnapp Dir ein Schulle und überleg es Dir nochmal.“
Lange sagt der Gast nichts. Er schaut auf den Bildschirm, schüttelt den Kopf. Die Leistung der Bayern gefällt ihm nicht. „Bayern-Fan!“, sagt Justin Hagenberg-Scholz zu Miriam Wu. „Stark kombiniert, Justin. F!C!B!“, sagt Wu.
Bayern gewinnt doch noch. 2 Tore in 2 Minuten. FCBlogin jubelt verhalten.
„Hab recherchiert! Du bist doch so ein Verblendeter! Wollen wir reden? Ein DID-Gespräch.“
„Ich bin Fan und nicht verblendet. Aber gerne.“
„Morgen.“
Dembowski geht zur Jukebox. Draußen peitscht der Regen, hier spielt jetzt Tim Booth und nicht Hoffenheim.
Hallo, Herr Niemeyer. Schön, dass Sie Zeit für uns haben. Die Bayern kommen im Wolfsburg zu einem 3:1 Erfolg. Während Lewandowski überragte, machte Serge Gnabry den Unterschied. Er spielte den bemitleidenswerten Rechtsverteidiger William schwindelig. Der war so verwirrt, legte Anfang der zweiten Hälfte lieber direkt für Lewandowski auf. Ist Gnabry die Zukunft auf der Außenbahn?
Bis zu Comans Rückkehr. Dann geht das Hauen und Stechen um die beiden Plätze in verschärfter Form weiter. Gnabry hat Killerinstinkt, kann dribbeln, kann schießen. Muss gesund bleiben. Dann wird er wichtig. Haben wir gestern Abend in Athen erneut gesehen.
Ribéry auf der Bank, jetzt noch angeschlagen. Robben für die Schiedsrichter nur noch ein weiterer Spieler. Die Karrieren trudeln langsam aus. Aber nur Gnabry, bald wieder Kingsley Coman als Ersatz. Ist der Kader zu dünn besetzt?
Sie stellen einfache Fragen. Ja. Getroffene Hunde bellen, Uli Hoeneß war am Freitag mal wieder besonders laut. Weil der Kader nicht ausbalanciert ist. Rudy hätte als indirekter Bernat-Backup Alaba notfalls ersetzen können. Er ist weg. Rafinha macht den Ersatz ziemlich gut. Ein neuer Aspekt geht mir im Moment unter: Kimmich spielt bei Löw auf der 6. Und bekommt dort mehr Fouls ab als auf der Außenbahn. Sein Verletzungsrisiko steigt also. Würde er wegbrechen, würde die Lage dramatisch. Rafinha kann nicht gleichzeitig auf beiden Seiten spielen.
Und der Verein war sogar bereit, zusätzlich Boateng abzugeben. Klar, Brazzo hat im Sommer wie wild Jugendspieler mit Profi-Verträgen ausgestattet – wird Kovac sie integrieren? Falls wir später gezwungen sein sollten, zum Beispiel Lukas Mai in der Innenverteidigung aufzustellen, wird das wie eine Notlösung aussehen, trotz seiner ersten ansehnlichen Spiele in der letzten Saison. Kaderplanung ist sehr komplex und im Nachhinein sind wir immer schlauer. Dass der Kader aber zu dünn ist, war bereits im Sommer absehbar.
Der Verein selbst muss solche Fälle natürlich alle durchspielen. Aber es ginge zu weit, hier noch mehr zu spekulieren. Wir werden ja sehen, was passiert.
Kurz zur Gelben Karte für Robben wegen einer angeblichen Schwalbe. Man weiß doch, wie er fällt, wenn er seine Beine schützen will. Sollte die Karte als erzieherische Maßnahmen gemeint gewesen sein, käme sie ein paar Jahre zu spät.
Der Sieg in Wolfsburg war der erste nach vier sieglosen Spielen in Folge. Die Fans feierten ihr Team als kommenden Meister, gaben den Wölfen noch ein „gegen Bayern kann mal verlieren“ mit auf den Weg. Ist die MiaSanMia-Mentalität zurück?
Dass die Fans sich nicht von der Mannschaft abwenden, war schon nach der Heimniederlage gegen Gladbach zu spüren, als sie sie nach dem Spiel aufmunternd beklatschten.
Was meine Stimmung als Fan anging: Ich radelte am Sonnabend zum gemeinsamen Gucken in eine schöne Wohnung in Berlin Hohenschönhausen. Ich war spät dran, das Spiel lief bereits zehn Minuten, und als ich zur Tür reinkam, fragte ich erstmal, ob wir schon zurücklägen.
In der Mannschaft oder genauer auf dem Feld aber war zu spüren, dass es nur ein Ziel gab, den Sieg. Kein Zögern, Zweifeln und Zucken waren zu erkennen nach der Führung und nach dem Anschlusstreffer. Trotz der durchaus noch vorhandenen sporadischen Löcher in der Abwehr. Und im Mittelfeld. Nach zwei Wochen Vorbereitung dank Länderspielpause ein Sieg gegen das untere Mittelfeld ist kein Beleg, dass Kovac Dreifach-Belastung kann. Dass Kovac im Spiel schlau umstellen kann. Dass wir gegen die Top-Mannschaften siegen können. Gegen Gladbach und Hertha haben wir verloren. Sprich: Wolfsburg ist ein nützlicher Aufbaugegner gewesen, mehr nicht. Da herrscht aber Realismus im Verein, der Trainer selbst sprach von einem ersten, kleinen Schritt. Das vom Ergebnis her erfolgreiche, aber bis auf die Gnabry- und Rafinha-Glanzlichter erneut maue Spiel am Dienstag wurde vom Trainer hingegen schöner geredet, als es war. Die Stimmung ist leicht verbessert, die Zweifel sind aber nicht widerlegt.
Beim BVB hingegen wirkt die Sammer-Mentalität, Reus übte Selbstkritik nach einem souveränen 4:0-Sieg, mit dem die Dortmunder ihren Vorsprung um zwei Tore ausbauen konnten. Am 10. November kommt es zum ersten Showdown, und ich bin schon ein bißchen glücklich, dass ich für das Spiel in Dortmund eine Karte habe.
Am Tag vor dem Wolfsburg-Kick kam es zu einer bemerkenswerten PK in München. Hoeneß und Rummenigge warfen sich vor ihre Spieler. Das Grundgesetz zitierend griffen sie Medien und Experten an. Sie haben mit dem Hashtag #kirmesbayern reagiert. Was hat die Bosse zu dieser PK getrieben?
Ja, das fand ich beides passend: Den Impuls von Rummenigge und Hoeneß (und ihrer Berater), diese Pressekonferenz zu geben. Und den Hashtag als Bewertung. Eine gute Absicht macht noch keine gute Performance.
Uli hat etwas sehr Wichtiges zur Motivation der PK gesagt: “Es gibt keinen Grund, Spieler grundsätzlich in Frage zu stellen. Wenn du (in einer mehrwöchigen Schwächephase) damit anfängst, verlieren sie ihr Selbstvertrauen. Und das Selbstvertrauen ist in diesem Profigeschäft mehr als 50%.“
Da frage ich mich: Hat das funktioniert? Als Kovac, Boateng, Hummels wüßte ich nach dem verbalen Foul gegen Bernat: Heute steht Uli zu mir, morgen ruft er “Was haben die beiden zuletzt für einen Dreck gespielt, aber der Anfänger-Trainer hat sie ja immer wieder aufgestellt. Da stand fest, wir verkaufen die!”
Sprich: Die beiden Bosse werfen sich vor ihre Spieler (der selbsternannt „starke“ Brazzo saß nickend daneben), aber nur vor die, die sie gerade haben. Das sorgt, wenn man ein bisschen länger drüber nachdenkt oder es mit dem ein oder anderen erzählten Wut-Auftritt von Rummenigge in der Kabine vergleicht, meiner Meinung nach nicht für einen krisenfesten Zusammenhalt.
Kurz gesagt: Hoeneß und Rummenigge fordern Respekt und jeder weiß, das reißen sie mit ihrer Unbeherrschtheit gleich oder später sowieso wieder ein. Besonders ärgerlich dabei: In der Sache, mit dem Wunsch nach Respekt, liegen sie in einem von so viel Häme und Hass zerrissenen Land ziemlich richtig.
Spiegel-Edelfeder Marco Fuchs beendete kurzerhand seine Fankarriere. Hat er eine zu kurze Zündschnur?
Ich war sehr gerührt zu lesen, dass in seinem alten Kinderzimmer noch ein Bayern-Bochum-Freundschaftsschal hängt. So ein Kinderzimmer habe ich nicht mehr.
Ein Fan-Ende ist eine sehr persönliche Entscheidung, muss ich die kommentieren?
Wenn das Faß fast voll ist, kommt es nicht nur auf den einen Tropfen an, der es zum Überlaufen bringt. Es gibt sehr viele sehr gute Gründe, sich vom Fußball als Unterhaltungsspektakel abzuwenden, ein Fußball, der sich für grenzenloses Wachstum auf die großen Sachzwänge und mit üblen Systemen einlässt (von denen es natürlich noch üblere gibt, was das Gewissen beruhigen kann).
Wie haben Sie sich nach dieser PK gefühlt?
Miserabel. Mir war der Aufritt tatsächlich peinlich. Ich würde sagen, die #FCBPK war mein intensivster FC-Bayern-Twitter-Tag seit dem Martínez-Transfer und der Pep-Verkündung. Man sieht den Unterschied…
Ich habe dem Bruder von Juan Bernat geschrieben, dass der Auftritt des Präsidenten total unfair war, dafür um Entschuldigung gebeten und dass er das Juan bitte mitteilen möge. Normalerweise heiße es, dass wir gemeinsam gewinnen und gemeinsam verlieren.
Hoeneß war sehr unfair und zeigt mit seinen Angriffen auf Bernat (und der neuen Wortwahl Mist statt Dreck gespielt über Özil) das Gegenteil von Respekt. Eine direkte Bitte um Entschuldigung hat es nicht gegeben. Das liegt in seiner Natur, und das wird er auch nicht mehr ändern. Er ist so. Es ist aber nicht nur aus der Zeit gefallen, es ist in seiner Maßlosigkeit auch eine Gefahr. Man erinnere sich nur, dass Hoeneß nach seiner Wiederwahl Ralf Rangnick als „Feind“ bezeichnet hatte.
Sowas hat früher in der Regel funktioniert, und die anderen haben gekuscht. Die Bundesliga hat sich jedoch weiterentwickelt und lebt nicht mehr von solchen Wortgefechten. Und die Medien- und Kommunikationswelt funktioniert auch nicht mehr so. Gespür hat Hoeneß zwar durchaus noch (siehe Heynckes holen), aber es reicht nicht mehr dafür, möglichst alles nach seinem Willen zu steuern. Irgendwann wird es für die Mehrheit lächerlich wirken.
Aber man muss auch kühl analysieren: Druck auf mißliebige Journalisten gab es auch beim BVB und anderen Klubs, dass man beispielsweise mal ein paar Wochen oder Monate kein Spieler- oder Chef-Interview bekam – eine der typischen Methoden der Branchenbosse, ihrer Wut Ausdruck zu verleihen und die Muskeln spielen zu lassen.
Ich bewerte die öffentliche und offensive Kampfansage von Rummenigge an die Medien allerdings als eine sehr ernst zu nehmende, die über solche Spielchen hinausgeht. Als PR-Mann sehe ich die guten und richtigen Gründe, eigene Medienkanäle aufzubauen und sich so von Stimmungskampagnen oder der alten Allmacht von Boulevardzeitungen, Edelfedern und Großkommentatoren zu befreien. Aber das mit einer öffentlichen Drohung zu verbinden, sich bei Nichtgefallen von einzelnen Beiträgen noch weiter abzuschotten und in einer eigenen, bunten Welt der Harmonie und des „Alles ist super-super!“ zu leben, ist mittel- und langfristig gefährlich. Für den Journalismus und für die Fußball-Unternehmen selbst. Es würde blind machen für die eigenen Unzulänglichkeiten. Nun sind Rummenigge und Hoeneß nicht dumm, sie werden die zwiespältige Wirkung schon mitbekommen und ihre Schlüsse ziehen. Mal schauen, welche das sein werden: Die nächste Krise kommt bestimmt.
Bleiben Sie Bayern-Fan, FCBlogin?
Selbstverständlich, ja. Ich werde nicht zu RBLogin, auch wenn Sie gerne darüber spotten, dass ich die Leipziger nicht für das größte Übel der Fußballwelt halte und sogar freiwillig in deren Stadion gehe, um tollen Fußball zu sehen – wie letzte Saison gegen Leverkusen oder in ein paar Tagen gegen Hoffenheim.
Mein Fremdeln mit Hoeneß ist jedoch deutlich größer geworden,
Rummenigge argumentierte, er habe diese PK abgehalten, um ein Signal nach innen zu senden. Bereits auf der PK ließ auch Hoeneß Probleme in der Kabine durchblicken. ESPN-Überexperte Honigstein berichtete ähnliches. Sind die vielen Erfolge Gift für den Rekordmeister?
Gift ist das Ausbleiben von Erfolgen. Gift ist das Fehlen von Perspektiven. Gift ist Zweifeln am Trainer. Wir haben seit 2007 immer wieder Spieler und Trainer geholt, die die Champions League gewinnen wollen. Es war Konsens, den Verein auf ein neues europäisches Niveau zu heben und sich nicht nur mit dem mehr oder weniger häufigen Gewinn der Meisterschaft und dem Überstehen der K.o.-Runde in der CL zufrieden zu sein.
Mein Eindruck: Seit Hoeneß‘ Rückkehr sind mehr Rückschritte als Fortschritte zu sehen. Sammer und Reschke haben den Verein verlassen. Don Jupp war gut und wichtig, hielt aber nur den Absturz auf und führte nicht zu neuen Höhen. Lahm ist nicht gekommen. Das Leistungszentrum: super. Aber wird es auch herausragend geführt?
Mein Eindruck: Alles wird eine Nummer kleiner. Mit Absicht oder es wird in Kauf genommen. Dadurch wachsen die Zweifel an der Führung. Auch das ist das Gift für den Klub.
Hand aufs Herz: Ist es nicht auch geil, wenn so viel Häme auf einen niederprasselt? Endlich wieder Wagenburg. Endlich wieder wir gegen die.
Normalerweise ja. Aber so ein unglaubwürdiger Auftritt sorgt eher für eine Spaltung und ein Abwenden vom Verein. Herr Fuchs ist ja nicht allein. Für eine kontroverse Jahreshauptversammlung wird das nicht reichen, ohne aussichtsreichen Gegenkandidaten kein neuer Präsident. Lahm ist wegen der EM 2024 gebunden, und was Schweini will, weiß er selbst noch nicht. Aber sogar Uli Hoeneß dürfte in diesen Tagen klar werden, dass das Ende als Präsident langsam, aber sicher näherrückt.
Herr Niemeyer, alle DID-Modelle sehen Bayern als Topfavorit auf die Champions League. Sie müssen nur den Real-Weg gehen, auf Erfahrung setzen, die Liga abschreiben. Mit Kovac haben sie einen renommierten Pokal-Trainer auf der Bank. Welche Trophäen wird man am Ende in die Luft stemmen?
Nun muss ich an den DID-Modellen zweifeln, auch wenn Sie eine verführerische Argumentation aufgebaut haben. Die Schale wäre viel. Ein CL-Halbfinale ebenfalls. Sind die jungen Spieler gesund und bekommen genügend Einsatzzeit bis zum Frühling, ist im Frühsommer sogar ein Finale drin. Aber das sind Träume. Im Moment herrscht eher das Gefühl vor, dass zu viel nicht optimal läuft.
Themenwechsel: Gibt es in der Prignitz Kraniche?
Ich freue mich immer, wenn die Störche kommen und fotografiere sie in ihrem Nest, so gut das geht. Dieses Jahr haben sie vierfachen Nachwuchs bekommen, mehr als sonst. Jetzt sind sie wieder weg, und endlich regnet es. Kraniche vermisse ich nicht, auch keine Lamas. In der Nähe gibt es einen Elefantenhof. Ich freue mich über die Schafe auf der Weide und einen Ausblick ohne Windräder.
Wir danken Ihnen für dieses DID-Gespräch und wünschen Ihnen noch einen unterhaltsamen Saisonverlauf.
Es wird spannender als in den letzten Jahren, das Fansein wird wieder aufregender. Meinetwegen fangen wir den neuen alten BVB gerne auf den letzten Metern ab. Das können wir ja ein andermal besprechen. Vielen Dank für die Gelegenheit, dass ich mich so ausführlich äußern darf, DID war super.