Justin Hagenberg-Scholz gefiel das Schlingern nicht. Stundenlang hatten sie sich nun auf wildem Kurs auf die Einfahrt des Kanals zubewegt. Im Norden zog ein Sturm auf. Der Sand vernebelte die Stelle an der Frédéric- Auguste Bartholdi in den 1860er-Jahren eine Statue hatte errichten wollen. Aber am Ende des Projekts war der Compagnie universelle du canal maritime de Suez das Geld ausgegangen, auch Ismail Pascha hatte sich nicht überzeugen lassen so erfüllte sich Bartholdi seinen Lebenstraum eben drüben in den Staaten.

„Gebt mir Eure Müden, Eure Armen, Eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren, die bemitleidenswerten Abgelehnten Eurer gedrängten Küsten. Schickt sie mir, die Heimatlosen, vom Sturme Getriebenen, hoch halte ich mein Licht am goldenen Tor!“, verkündete dort nun seit geraumer Zeit die Freiheitstatue. Justins Sturm aber trieb ihn nun in die Passage des Kanals, vor der er sich seit Monaten hatte gefürchtet. Aber Elon hatte es so gewollt. Justin höchstpersönlich solle sich um die Beschaffung der Seltenen Erde kümmern und sie in den Brandenburger Wald begleiten.

Der Lotse gähnte. Er war kurz vorher an Bord gekommen und gab sich gelangweilt. Viel zu oft schon war er diese Passage durch den ägyptischen Sand nun schon gefahren. Nie war etwas passiert. Auch der Kapitän hatte sich verabschiedet und so steuerte Justin die Ever Given durch den Sturm. Dann verschlug es ihm das Ruder. Die Maschine stotterte. Das Schiff machte ein letztes Geräusch und schob sich unter das Ufer. Dort standen sie nun. Justin rief Elon an, doch der hatte keine Zeit. Einer seiner Satelliten machte ihm Sorgen. Zwei Tage später stürzte dieser vor Portland ins Meer. Hagenberg-Scholz ließ er sich währenddessen gutgehen. Der Frachter war die Attraktion des Monats. Wieder einmal hatte der Ermittler des Jahres 2020 Geschichte geschrieben. Er war längst mehr als Warhol je von der Menschheit verlangt hatte.


Wir treffen Dietfried Dembowski auf einem Spaziergang entlang der Spree. Viel ist nicht los im Fußballgeschäft, das, wie Dembo anmerkt, eigentlich auch egal ist. Ein paar Worte können wir trotzdem wechseln. Über den Fußball und das Leben.

 

Herr Dembowski, am Donnerstag hat Uli Hoeneß sein Comeback gegeben. Was bleibt Ihnen davon in Erinnerung?

Ich habe Hoeneß auf stumm gestellt. Daher kann ich diese Frage nicht beantworten.

In der deutschen Mannschaft gab es einen Corona-Fall. Hätte die Nationalmannschaft überhaupt antreten dürfen?

Sie ist angetreten. Also durfte sie antreten. Wissen Sie: Ich habe längst aufgegeben. Wenn der Fußball spielt, dann spielt er und wenn er nicht spielt, dann ruht er. Es ist einfach Unterhaltung. Wie alles doch Unterhaltung ist.

Die Toten der Pandemie unterhalten Sie?

Natürlich nicht. Eine Unverschämtheit. Wie Sie mir hier die Worte im Mund verdrehen. Aber ich kann das alles nicht beeinflussen und ich kann die meisten Sachverhalte nicht richtig beurteilen. Es ist, wie es ist. Die Clowns haben das Land übernommen und wir schlingern hier bei unserer Fahrt auf Sicht durch den Pandemie-Nebel. Da ist der Fußball doch unser geringstes Problem.

Ganz andere Problem hat die Ever Given im Suez-Kanal.

Die sendet uns eine Botschaft.

Welche?

Dass es neben all dem Staatsversagen dieser Zeit noch so etwas wie rein menschliches Versagen gibt, dass es noch ganz normale Probleme gibt. Das ist das faszinierende an dieser Geschichte. FSK-Freigabe 0. Keine Toten, keine Verletzten, einfach nur ein riesiges Pech, das nun für den ungewöhnlichsten Stau des Jahrhunderts sorgt. Es ist kein Scheitern im eigentlichen Sinne. Es ist einfach nur ein Unglück. Ein stinknormales, unfassbar lustiges Unglück.

Welches die ohnehin schon am Boden liegende Schifffahrtsbranche empfindlich treffen wird.

Wie jedes Unglück irgendwen empfindlich treffen kann. Es ist einfach herrlich abstrakt, nicht greifbar, doch für jeden Menschen sichtbar. Sogar vom All.

Stichwort All. Dort wollte FIFA-Boss Sepp Blatter irgendwann einmal eine WM austragen.

Nun aber findet sie erst einmal in Katar statt.

Wirklich, Herr Dembowski? Die deutsche Nationalmannschaft protestierte, die norwegische auch.

Beide Teams sahen sich dem Vorwurf der Heuchlerei ausgesetzt. Dabei haben sie ein Signal gesendet. Es ist denen nicht alles egal. Und gerade die Generation Goretzka hat doch in den vergangenen Monaten auch ein soziales Gewissen gezeigt. Sie setzen sich in der Corona-Krise für andere Menschen ein, ohne das ständig auszuschlachten. Die Spieler der Bundesliga gingen auf die Knie, als niemand sonst auf die Knie ging und die Spieler dieser beiden Nationalmannschaft haben nun auf die Menschenrechtsverletzungen hingewiesen.

Denen wurde Doppelmoral vorgeworfen.

Naja. Irgendwer muss sich immer empören. Für die schnellen Likes im Netz kann die Welt nicht schwarzweiß genug sein. Der Kampf Gut gegen Böse langweilt mich zutiefst.

Sie sind ein gelangweilter Mensch, Herr Dembowski. Man nennt sie auch den Julian Brandt der Ermittlerszene.

Ach, der Julian. Hat der gegen Köln eigentlich gespielt. Passiert mir bei den BVB-Spielen immer häufiger: Ich habe einfach keine Erinnerung mehr an diese Spiele, nachdem sie abgepfiffen wurden. Sie fragen nach Köln? Erling Haaland stürmte vom Platz. Ein tolles Symbolbild. Kann man dann bei Gelegenheit rauskramen. Der Tag, an dem der letzte Wille starb oder so.

Der Tag, an dem der FC Schalke starb, rückt immer näher. Wie werden sie diesen begehen?

Ich werde mir ein Schulle aufmachen. 20 Jahre nach der Meisterschaft der Herzen, 10 Jahre nachdem der BVB im Revier begann, die jahrelange Demütigung durch die Nachbarn aus Gelsenkirchen in Erfolge umzuwandeln, nun also der Abstieg. Ob die wiederkommen? Ich habe keine Ahnung. Die Unterhaltungsmaschine Fußball wird liefern. Darf ich noch einmal zum BVB zurückkommen?

Machen Sie doch, Herr Dembowski! Es ist Ihre Show.

Okay. Was mir zu kurz kommt: Der BVB ist im Abstiegskampf. Vier Punkte unter der Linie. Wir müssen den Fußball neu denken. Der BVB sieht sich als natürliches Mitglied der Champions League. Und deswegen geht es hier, eben auch gerade durch die finanziellen Auswirkungen der Pandemie, ein wenig auch um das langfristige Überleben des Vereins als zweiter Leuchtturm in Deutschland.

Jetzt hören Sie doch auf mit diesem Leuchtturm-Gerede.

Aber es stimmt doch. International ist der BVB neben den Bayern der einzige deutsche Verein von Interesse. Ob Leipzig da jemals reinbrechen kann? Die haben keine Relevanz. Die können keine Geschichte verkaufen. Und wenn man keine Geschichte hat, bleibt nur die Gegenwart und die Gegenwart des Fußballs ist zum großen Teil einfach trostlos. Da kann Julian Nagelsmann noch so viel tanzen. Irgendwann tanzt er für einen anderen Verein. Wenn nur noch die Akteure des Spiels bleiben, bleibt nichts. Denn diese sind austauschbar, anders als die Leidenschaft der Fans und die Geschichte eines Vereins, die immer auch die Geschichte des Scheiterns ist. Niemand mag Gewinner. Das sehen wir, zumindest hier in Deutschland, auch bei den Bayern. Wir sympathisieren und leiden doch lieber mit denen, die scheitern.

Also mit dem FC Schalke 04?

Und mit den Leuten auf der Ever Given.

Herr Dembowski. Wir danken Ihnen für dieses Gespräch!