War gar nicht lange her. Saßen alle zusammen. Träumten von der Meisterschaft, vom Hamburger Wiederaufstieg, von der Dominanz der Daten. Geht alles hin. Wu in Xinjiang. Die Freiheit des DID verteidigen. Sagten sie ihr. Ließen ihr keine Wahl. JHS zurück am Robert Koch-Institut. Dembo und Schill. Verlassen. Früher Morgen. Keine Jukebox. Schulle und Gitarre. Nichts bleibt, wie es war. „Träume“, sagt Schill zwischen zwei Liedern, „habe ich nicht mehr. Hoffnung auch nicht.“ Dembowski schaut auf, holt Luft, singt: „und was gestern noch galt, stimmt schon heut oder morgen nicht mehr.“ Finden Frieden in alten Volksliedern, wissen nicht, ob Volk noch akzeptabel ist. Flugzeuge donnern, Regen fällt durch Kranichschwärme. Tür geht auf. Der DID ist da.

Guten Tag, Herr Dembowski!

Lassen Sie mich komplett. Ich bin wirklich nicht in der Stimmung, mit Ihnen hier freundlich zu plaudern. Sie kommen, um Leichen zu fleddern. Das mache ich nicht mit.

Steht so im Vertrag. Wo ist Miriam Wu?

Wie oft denn noch? Die verteidigt unsere Freiheit in Xinjiang.

Eine seltsame Wahl.

Eine perfekte Spielwiese für Wu. Dort ist sie endlich groß. Dank sehr freundlicher Hilfe geschätzter Kollegen schaut sie sich dort die 2024er-Version des Orwellschen Überwachungsstaat an. Sie wird die Technik nach Deutschland bringen. Wir werden die Realität verschieben. Sehen Sie: Fußball ist unsere Fassade. Dahinter werden sie nicht schauen können. Wir aber bald durch Sie hindurch.

Erstmal schauen Sie aber dumm aus der Wäsche. Ihr magischer Ballspielverein befindet sich in einer Sinnkrise. Nach fünf sieglosen Spielen ist die Meisterschaft so gut wie weg.

Blöde Phase. Alles weg. Die Saison bisher war ein Hasardspiel auf allerhöchstem Niveau. Eines, bei dem man sich auf das Zusammenspiel so vieler Variablen verlassen musste. Und konnte.

Werden Sie konkret.

Marco Reus, Akanji als Defensive Leader, Piszczek mit all seiner Erfahrung, Witsel in Bestform. Seien wir ehrlich: Aktuell spielt er wie wir uns einen China-Rückkehrer immer vorgestellt haben. Der Leader heißt aktuell Roman Bürki. Aber der kann hinten herzlich wenig ausrichten. Dazu: Fehlendes Matchglück. Tore in den letzten Minuten. Sie erinnern sich. Paco gegen Augsburg. Witsel in Fürth. Das war sie: Die Welle, die alles trägt. Die verebbt langsam, lange vor dem eigentlichen Ziel. Justin nennt das Regression To The Mean. Der muss das wissen. Bei den Expected Points liegt der Ballspielverein hinter Leipzig und nur knapp vor Hoffenheim.

Favre Teams sind für diese Dinge bekannt.

Kommt jetzt die Frage, wann er hinschmeißt? Sie sind so billig!  

Nein. Auch nicht die nach dem Friseur.

Alle suspendieren! Rausschmeißen! Die Schweine!

So beruhigen Sie sich. Favre-Teams starten überragend, widerlegen jede Statistik, fallen dann zurück. Das war in Berlin so, das war in Gladbach so, das war in Nizza so. Hätte der BVB in der Winterpause nicht gegensteuern müssen, Herr Dembowski?

Die größten Fehler macht man im Erfolg. Vielleicht hätte man Kagawa behalten können, um sich nicht von Philipp abhängig zu machen. Ansonsten steht dahinter natürlich ein langfristiger Plan. Der sich selbst viel zu schnell umsetzte.

Die Bayern straucheln in dieser Saison. Der BVB muss jetzt zuschlagen, und nicht langfristigen Plänen folgen. Wo gibt es denn das? Um sich langfristig, in den Top 10 Europas zu etablieren, verzichtet man auf den Meistertitel.

Ich sage ihn jetzt mal was: In dem Moment, in dem aus Träumen öffentliche Ziele wurden, hat sich alles verändert. Die Leichtigkeit wandelt sich in Schwere. Die Meisterträume haben die Angst vorm Scheitern geboren. Dazu kommen die Bayern. Haben in den 11 Spielen nach der Niederlage in Dortmund 28 Punkte geholt. Der BVB kommt da auf gute 24. In den 10 davor holte der BVB ebenfalls 24 Punkte, die Bayern aber nur 20. Bei den Expected Points sah das dann so aus. Ersten 10 Spiele: BVB 18.98 und Bayern 22.32. Die letzten 11 Spiele: BVB 19.91 und Bayern 27.18. Das kann man doch nicht ausblenden. Die Bayern straucheln nicht. Das mag manchmal ungewöhnlich aussehen. Aber es ist zielorientiert.

Sie ignorieren die Dortmunder Krise, Herr Dembowski! Die ist doch nicht von der Hand zu weisen.

Ich möchte Ihnen eine kleine Geschichte erzählen.

Nicht schon wieder.

Da müssen Sie jetzt durch. Sie haben mich hier belästigt. Also: Einmal, das können Sie sich kaum vorstellen, war ich ein Kind. Ich hatte Träume, ich hatte eine Ahnung, von dem was kommen könnte. Aber viel mehr noch als all das, hatte ich meine Welt, in der nur ich mich bewegte. Da kam niemand rein. Diese Welt gab es nur für mich. In meiner Vorstellung. Dort existierte alles, wie ich es mir erdachte. Dort fand ich meine Freunde. Dort hatte ich keine Träume, sondern nur das, was ich sah. Und das waren keine Träume, denn ich sah sie. Ich wurde größer, ich sah mehr. Aus meiner Welt wurde die Welt der anderen. Die Welt, wie sie jemand schon gesehen hatte. Immer noch einzigartig. Ich verlor mich in der Musik, in den Erzählungen Kerouacs, in den Klagen Bernhards, im Irrgarten Kafkas, in Chandlers Ermittlungen und Fausers Alkoholträumen. Einmal blickte ich um mich herum. Sah, dass es nicht so war, wie ich es erwartet hatte. Und meine Welt war nicht mehr da. Unwiederbringlich verloren. Geht uns allen so. Kerouac, Bernhard, Kafka, Fauser. Alle tot.

Hat nichts dem BVB zu tun.

Alles, DID, alles! Der Aufbruch, der kindliche Eskapismus, diese unvorstellbare Kraft. Verwunderung und Begeisterung. Die Konfrontation mit der Realität. Die Kälte dieser. Fantasie weicht Zweifeln. Am Ende einer Saison ist ein Verein nicht mehr der Verein, der er vorher war. Er verändert sich. Und er verändert die Anhänger, die erst jeder für sich träumen und sich später vereinen. Es aussprechen. Und in den kleinsten Momenten zweifeln. Um den Titel zu gewinnen, muss der BVB, müssen aber auch die Fans des BVB wieder Kind werden und sich in ihre eigene Welt flüchten.

Von Spiel zu Spiel denken? Wollen Sie das sagen?

Ja. Der BVB muss wieder von Spiel zu Spiel denken und diese Saison als Geschenk begreifen. Erinnern Sie sich doch, wo die in der letzten Saison standen.

Wieso sprechen Sie es dann nicht so an?

Weil ich gerne Geschichten erzählen.

Eine Sache müssen wir noch ansprechen.

Machen Sie das!

Schiedsrichter Harm Osmers löste durch seine Spielinterpretation inmitten wütender Proteste selbsternannter Fans einen mittelschweren Social-Media-Skandal aus. Die Erben erläuterten die Regeln. Und Sie polterten gleich wieder rum, warfen dem Account des Jahres Parteilichkeit vor.

Nein. Das ist totaler Quatsch. Die wollten wissen, warum sich die Leute über die aufregen. Dann habe ich das erklärt. Spielt natürlich für viele Leser eine Rolle, dass der Kollege diesen Verein unterstützt. Ich mag es, wenn man die Wahrheit spricht. Und die haben mit ihrer Erklärung auf so vielen Ebenen danebengelegen, kein Gespür für die Situation gezeigt: Die Aufregung war vollkommen verständlich.

Das war heute sehr BVB-lastig. Schauen Sie denn die Bayern in Anfield?

Liverpool ist der 19. Bundesliga-Verein. Natürlich.

Wer gewinnt?

Alles, was in dieser Situation dem BVB hilft, soll passieren. Was das ist, kann ich nicht sagen. Es hat keinen Namen.

Herzlichen Dank fürs Feedback, Herr Dembowski!

Dafür nicht.

Endlich weg. Gitarre raus. Schill und Dembowski als Peter, Paul & Mary. Ohne Mary. Die heißt Wu und ist China. Die Zukunft verteidigen. Die Gegenwart ist verloren.