Herr Dembowski! Die Hitze dauert an.

Da sagen Sie was. Wieso rufen Sie überhaupt an? Wollen Sie mit mir über die Ernteausfälle reden?

Fußball, Herr Dembowski. 

Fußball ist alles, meine Damen und Herren. Fußball ist die Welt, verpackt in einer familienfreundlichen Hülle. Eine echte Maschine. Entertainment, Ersatzreligion, Spiegel der Zeit.

Wieviel Schulle haben Sie denn jetzt schon drin?

Während dieser Hitzewelle bevorzuge ich Wasser. Kommen Sie doch auch mal ins Oderbruch. Dort, wo abends herrliche 15 Grad herrschen und die Rehe faul auf den Felder liegen. Dort, wo Kranich und Storch zuhause sind und es kaum Menschen gibt. Koi macht sich ausgezeichnet. Ich drehe jeden Tag ein paar Runden mit ihm. Wenn wir abtauchen, gründelt dieser Schelm mir Boden in die Augen. Trage jetzt Taucherbrille.

Interessant. Zurück zum Fußball. Sie haben sich rar gemacht. Die WM ging vorbei, die Saisonvorbereitung endet bald. Wie schlägt sich der BVB bislang?

Hat noch keinen Stürmer, obwohl ständige welche auf dem Alten Markt rumhängen und auf Michael Zorc warten. Der ist aber weiter mit dem Neuanfang beschäftigt. Das Team bekommt ein neues Gesicht. Ohne Stürmer. Mit einem ordentlichen Mittelfeld. Und einem Jahrhundertalent weniger.

Andre Schürrle war schon lange kein Talent mehr, Herr Dembowski.

Um Schürrle geht es hier nicht.

War nur ein Spaß. Es ist Sommerpause.

Ja. Und Transferzeit. Die wichtigste Zeit des Jahres. Hole ich also noch einmal aus. Der BVB wird sich bereits in diesem Sommer von Christian Pulisic verabschieden. Seine gute Leistung gegen Liverpool hat da den Ausschlag gegeben. Ist aber auch okay. Der 19-jährige US-Amerikaner hätte nur für Unruhe gesorgt. Nicht weil er aus drauf anlegen würde, aber weil das der vorgezeichnete Weg ist. Dass der BVB verhandlungsbereit ist, konnte man bereits Anfang des Sommers im kicker lesen. Und dann vergessen. Und jetzt überrascht sein. Das alte Spiel.

Ein echter Transfer-Hammer also. Da kann man sich auf die Überschriften freuen. Wird der BVB Pulisic noch ersetzen?

Nein. Im nächsten Jahr dann beginnt das Wettbieten um Jadon Sancho. Die BVB-Fans sollten sich da keine Hoffnungen machen. Das ist das Geschäftsmodell des Vereins. Er lebt von Transfererlösen. Ist doch auch okay.

Wo werden die Borussen am Ende der Saison landen?

Das kann doch seriös niemand beantworten. Es wird auch darauf ankommen, ob Mario Götze endlich wieder konstant abliefern kann. Gerne nahe am Strafraum, und nicht in der Iniesta-Rolle, die er für sich vorgesehen hat. Seine größte Stärke sind diese kleinen Pässe, sind diese unscheinbaren Berührungen im letzten Drittel. Wenn das klappt, wird sich vorne schon jemand finden, der den Ball reindrückt.

Und damit, so schreibt die FAZ, wäre auch in der Nationalmannschaft der Weg frei für den Özil-Nachfolger Götze?

Geschickte Überleitung. Muss ich Ihnen lassen. Die Situation habe ich komplett falsch eingeschätzt. Für mich war das Bild kein Thema. Ich hatte wohl vergessen, in welchem Land, in welcher Zeit wir mittlerweile leben.

Özil hat sich mit Erdogan fotografieren lassen. Das müssen wir als Zivilgesellschaft aufs Schärfste verurteilen. Dass es da ein paar rechte Aussetzer gibt, darf doch nicht den Blick auf den Auslöser dieser Debatte trüben. Mesut Özil, Herr Dembowski, badet jetzt aus, was er diesem Land eingebrockt hat.

Interessanter Ansatz, wirklich interessanter Ansatz. Ist das der Stand der Diskussion?

Wir sind schon viel weiter, Herr Dembowski. Im Internet gibt es Ärger. Einige Leute berichten unter dem Hashtag metwo von ihren Alltagserfahrungen. Rassismus in Deutschland. Können Sie sich das vorstellen?

Ja.

Dann sind Sie ein Träumer. Da werden alltägliche Streitigkeiten nun in einem rassistischen Licht ausgeleuchtet. So bekommt das eigene Leiden endlich wieder sind. Kritiker aber werden in die Arme der Rechten getrieben. Der weiße Mann wird durch diese Kampagne zu einem Fan der AfD. Da müssen sich die Altparteien nicht wundern.

Sind wir hier bei Deutschland spricht?

Wieso? Das verstehe ich nicht.

Kommt mir so vor. Erkläre ich Ihnen kurz, wieso Sie hier dummes Zeug reden. Der weiße Mann ist in dieser Debatte nicht Opfer, sondern Täter. Dann sollte er eben schweigen, auch wenn er sich nicht als Täter fühlt. Er sollte sich nicht zum Opfer machen. Das nämlich, dieses Abdriften in eine erträglichere Fiktion, ist das Grundübel unserer Zeit. Diese Verschiebung begann mit dem Privatfernsehen. Er hat uns eine Realität geführt, in der der es nicht mehr darum geht, uns um ein Zusammenleben zu bemühen. Zusammenleben bedeutet Rücksichtnahme. Gibt es nicht mehr. Wir dösen weg. Wir freuen uns darüber, dass es, obwohl es uns schlecht geht, es vielen anderen Menschen noch schlechter geht.

Sie sollten nur über Fußball reden.

Jetzt rede ich mit Ihnen. Was Özil passiert ist, das hatte sich seit langer Zeit hier angedeutet. Es hat sich alles verschoben. Auch im Fußball. Spiegel der Zeit, erinnern Sie sich?

Ja. Sie sprachen davon.

Wir haben die Proteste doch das ganze Jahr gehabt. Schauen Sie nach Babelsberg. Erinnern Sie sich daran, was in Frankfurt passiert ist, als sich Fischer gegen die AfD positionierte. Es gab große Freude in der Zivilgesellschaft und in den Fangruppen. Babelsberg, Frankfurt muss man sich da als Eisbrecher vorstellen. Aber sie konnten nichts erreichen.

Wieso?

Die Personen, denen es nicht mehr um die Wahrheit geht, sondern vielmehr um die Entwicklung alternative Versionen verschiedener Angstszenarien, erreichst Du damit nicht. Die erklären sich dann schnell zum Opfer und machen weiter. Sie verschieben das Land in die Ewigkeit, in der es keine Zukunft und keine Vergangenheit mehr gibt. Es gibt nur noch diese eine Bedrohung – der Andere, der Flüchtling, der Muslim – und die gilt es zu bekämpfen. Dabei nehmen sie uns mit in ihre Empörungsspirale. Egal, was wir in der Folge machen: Wir haben bereits verloren. Wir geben denen den Raum.

Das hat mit Özil aber nichts zu tun.

Doch. Alles. In dem Moment, in dem wir dieses Bild zu diesem Thema gemacht haben, hatten wir verloren. Da gab es keinen Ausweg mehr. Wir waren drin in der Spirale, die sich dank des dilettantischen Verhaltens des DFB immer schnell drehte. Wird Gauland in Badehosen fotografiert, ist die Menschenwürde in Gefahr. Betreibt Pocher über Wochen Blackfacing, interessiert das keine Sau. Die Bilder, nicht die ersten dieser Art, wurden nicht nur skandalisiert. Sie wurden gezielt genutzt, um weiter an den Feindbildern zu arbeiten. Da passte dieser Junge aus Gelsenkirchen gut ins Bild. Nach seiner Erklärung war er dann fremdgesteuert, und einer, der durch sein Gehalt alle Rechte verloren hatte.

Özils Erklärung war dünn, pauschal, populistisch. Er hat durch seine Schuldumkehr der Sache keine Gefallen getan.

Er hätte doch nur Selbstkritik äußern können, wenn es aus seiner Position einen Anlass dafür gegeben hätte. Hat es aber nicht. Vielleicht ist er Erdogan in die Falle gegangen. Aber, wie gesagt, die Erdogan-Bilder wurden erst durch unsere Empörung zu diesem Monster. Der türkische Präsident kennt diese Tricks auch. Ein wenig mehr Gelassenheit, mehr wünsche ich mir gar nicht. Wir sind nicht alle gleich. Müssen trotzdem miteinander auskommen. Momentan aber wirkt dieses Land wie ein ewiges Scheunenfest, auf dem wir uns seit Monaten die Köppe einschlagen, und nicht mehr merken, was um uns herum passiert.

Was sollen wir denn machen, Herr Dembowski?

Wir sollten das Scheunenfest verlassen. Und uns mal wieder mehr Mühe geben. Kann doch nicht sein: Nur weil ich nur eine Prellung und mein Gegner einen gebrochenen Arm hat, bin ich doch nicht der Gewinner. Was ist das für eine Denke.

Gibt es auch konkrete Vorschläge?

Das ist nicht meine Aufgabe. Ich kann nur mehr Gelassenheit einfordern. Es gibt sehr viele Empörungsjunkies da draußen. Hören wir den Süchtigen nicht mehr zu. Kehren wir in die Normalität zurück.

Sie bleiben ein Schwätzer.

Ich gehe jetzt eine Runde mit Koi schwimmen. Der wartet bereits. Später höre ich Tocotronic.