Es sind nicht einmal 45 Minuten im Dortmunder Westfalenstadion gespielt, da klingelt das Telefon. Malte Dürr! Immer wieder Malte Dürr! Die grundsympathische Lehrkraft aus dem Sauerland brüllt Anweisungen in Richtung Dembowski. Der will aber nur sein Bier trinken, ist weiter guter Dinge. „Wir müssen Reus an die Wand nageln. Große Spieler gewinnen große Spiele. Heute anwesend: Marco Reus!“ Eilig wird ein Interview für den Folgetag arrangiert. Jetzt kann Dembowski wieder Bier trinken.
Im Soldiner Eck eskaliert die Lage.
Miriam Wu ist den Tränen nahe. „Dieses Spiel ist das wichtigste Spiel seit Jahren! Es wird der Internationalisierung der Bundesliga neue Kräfte einhauchen. Was wir hier sehen ist nichts weiter als ein Geschenk des Himmels! Der Fußballgott ist DFL-Mitarbeiter!“, redet sie sich in Rage und kommt doch nicht gegen Justin Hagenberg-Scholz an.
So ein Spiel hat er noch nie gesehen. „Schaut nur, wie die Dortmunder agieren. Wie sie ihren Gegner anrennen lassen, ihnen die Räume anbieten. Wie sie ihnen Mut machen. Wie sie mit ihnen spielen. Favre, dieses Genie hat sogar Weigl aufgestellt. Chancengleichheit! Nur um sie dann mit Dahoud, mit Paco und mit Reus zu zerstören. Was wir hier sehen, und das zeigen alle Modelle, ist die größte Demütigung eines amtierenden deutschen Meisters aller Zeiten. Dortmund hat Bayern nicht nur geschlagen, Dortmund hat Bayern erniedrigt.“ Und das, sagt der Datenexperte, sei erstaunlich.
Dembowski battelt sich in der Zwischenzeit mit Ex-Bayern-Fan Marco Fuchs, der sehr um Ausgleich bemüht ist. Der Spiegel-Fachmann lässt sich mit einfachen Mitteln vom Ermittlern triggern. Der muss nur eine lebenslange Sperre für Manuel Gräfe einfordern, schon kämpft der Gerechtigkeitsfanatiker einen verlorenen Kampf gegen die rotierenden Blätter der Ein-Mann-Trollfabrik Dembowski. Es ist ein herrlicher Abend im Soldiner Eck.
Am Ende erklingt der BVB-Walzer. Hauke Schill und Miriam Wu eröffnen einen langen Tanzabend, der sich bis in die frühen Morgenstunden ziehen wird. Dann ruft Malte Dürr an. Er hält sich an seinen Teil der Abmachung. Wirkt im DID-Gespräch jedoch zunehmend hilflos. Marco Reus 2 Malte Dürr 0.
Herr Dürr, wie haben Sie den Dortmunder Sieg gestern erlebt?
Wenn in den ersten 5 Minuten die beiden Konter vernünftig ausgespielt werden oder Reus nicht noch Neuer aufwärmen will, schießen wir die Bayern ab. So mussten wir am Ende gegen eigentlich völlig desolate Bayern nochmal zittern. Beim 3:2 konnte ich leider nicht Málaga-artig jubeln. Früher musste man nämlich nur den Linienrichter nach einem Tor beobachten. Jetzt muss man eine Minute lang zuschauen, wie sich der Schiedsrichter am Ohr spielt. Aber das sind Kollateralschäden, die verkraftbar sind.
Sie haben mich gestern in der Halbzeit angerufen. Pöbelten gegen Marco Reus. Wie immer eigentlich. Jetzt ist eine Entschuldigung fällig!
Marco Reus war bis zum 2:2 erneut nicht in der Lage, ein wichtiges Spiel zu entscheiden. Erst dadurch zeigte er, warum er ein großer Spieler ist. Endlich erfüllte er das große Versprechen und auch seinen eigenen Anspruch.
Sie können nicht aus Ihrer Haut. Was hat Ihnen Marco Reus eigentlich getan?
Es ist wie in der Schule. Zu den besten und klügsten Schülern muss man besonders streng sein, damit die sich nicht mit Durchschnitt zufriedengeben, sondern unsere Gesellschaft prägen wollen. Wir müssen in diesem Land endlich aufhören mit der Verherrlichung des Mittelmaßes. Marco Reus ist ein großer Spieler. Ein größerer als 95 Prozent seiner Mit- und Gegenspieler. Dass muss er diese Saison aber auch mit dem Meistertitel untermauern, um als Dortmunder endlich zur unsterblichen Legende in seiner Stadt zu werden.
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— KuhnTang (@alexcankuhn) 10. November 2018
Der Ballspielverein gewinnt zwar das Spiel, doch verliert seinen guten Ruf. Die Bayern-Führungsriege wurde mit einer Bierdusche überzogen. Distanzieren Sie sich von diesen Chaoten auf der Hauptribüne?
Straftäter haben im Stadion nichts zu suchen! Über den Becherwerfer hinter diesen habe ich nichts zu sagen…
Auch sportlich war gerade die erste Halbzeit eine herbe Enttäuschung. Bayern dominierte das Zentrum, würde immer wieder über die Außen gefährlich. Lucien Favre kommentierte seine Entscheidung pro Julian Weigl mit „das ist eben so“ und riskierte damit die Niederlage. Meine Frage: Was ist mit Julian Weigl passiert?
Weigl scheint nur unter Tuchel zu funktionieren. Sollte es im Sommer wirklich ein Angebot von 75 Millionen aus Paris für den überforderten Rosenheimer gegeben haben, muss sich Watzke den Fans und Aktionären erklären. Das wäre dann nämlich fast schon grob fahrlässig, solch ein Angebot nicht angenommen zu haben.
Neben Mats Hummels sah er damals immer sehr gut aus. Jetzt geht Weigls Dortmunder Zeit dem Ende entgegen und Hummels fühlte sich auch nicht wohl. Haben Sie Mitleid mit ehemaligen BVB-Kapitän?
In einer schwachen Bayern-Elf kann Hummels aufgrund seiner Langsamkeit nicht mehr mithalten. Und wie schon damals bei uns im Pokalfinale verdrückte sich Hummels dann, als es ernst wurde. Er war immer schon ein fußballerischer Drückeberger, der nur auf dem Platz stehen will, wenn es gut läuft und sonst als erster das Weite sucht. Solche Spielertypen können mir gestohlen bleiben!
Auf den Tribünen feierten die Fans wieder mit dem alten „Wer wird Deutscher Meister“-Gassenhauer. Ist dieser Gesang nach 11 Spieltagen nicht verfrüht?
Sollte Marco Reus verletzungsfrei bleiben, sehe ich uns als klaren Favoriten auf den Titel. Sollte er sich jedoch in einem Testspiel gegen Ost-Timor oder Marvin Bakalorz verletzen, wird es sehr, sehr eng, weil Leute wie Philipp oder Wolf überfordert wären zu spielen.
Schockierende Szenen spielten sich im unteren Bereich der Südtribüne ab. Fahnen verhinderten wieder einmal die Sicht aufs Spielfeld. Muss der BVB hier nicht endlich durchgreifen? Die Fans zahlen nicht für Fahnen, sondern für guten Fußball und taktische Kniffe.
Dass müssen Sie bitte die Baumwohllhose fragen. Ich bin mir sicher, dass diese auch gestern wieder statistische Erhebungen mit der Stoppuhr angefertigt hat und diese den Ultra-Gruppen zukommen lassen. Diese werden das Zahlenmaterial über die Länderspielpause knallhart auswerten.
In der 29. Minute gewann der BVB einen Zweikampf an der Mittellinie. Eine kleine Szene ohne große Bedeutung. Und doch die Szene des Spiels. Danach kippte es, ganz langsam. Sieht man so etwas im Stadion überhaupt?
Entschuldigen Sie meine Arroganz, aber mit ca. 1300 Fußballspielen vor Ort auf dem Buckel sehe ich fast nur noch diese kleinen Szenen. Nur wer Sieger in diesen Miniaturen des Spiels bleibt, kann am Ende auch das große Ganze gewinnen!
Schiedsrichter Manuel Gräfe zeigte eine ansprechende Leistung, doch sein falscher Einsteig in die persönlichen Strafen hätte beinahe zum Dortmunder Untergang geführt. Ist Manuel Gräfe in dieser Form überhaupt noch tragbar?
Gräfe hat Schwächen bei persönlichen Strafen und wartet häufig mit teils völlig kuriosen Zweikampfentscheidungen auf. Trotzdem ist er Deutschlands bester Schiedsrichter, weil er kommunikativ unantastbar ist. Er hätte auch dem Gegenspieler bei Sterlings Schwalbe weismachen können, dass er ihn aus zwei Meter Entfernung berührt habe. Sein offensichtliches Mitleid mit den FCB-Granden wie Ribéry während und nach dem Spiel zeugt zudem von großer Empathie.
Wer war für Sie Spieler des Spiels?
Dan-Axel Zagadou, weil er so einen geilen Vornamen hat. Und weil er so cool ist, wie ich nie war und auch nie sein werde.
Wie verbringen Sie die Länderspielpause, Herr Dürr?
Ich gehe zu Rot-Weiss Essen, um mich wieder zu erden.
Wir danken Ihnen für dieses Gespräch