Beverungen. Nordrhein-Westfalen. Auf der anderen Weserseite liegt das niedersächsische Lauenförde, dann folgt der Solling, dieses vergessene Mittelgebirge. Ein paar Kilometer flussaufwärts, direkt hinter dem 1994 stillgelegten Kernkraftwerk Würgassen beginnt Hessen. Vor einigen Jahren war die Gegend mal in den Schlagzeilen. In einem Garten in Lauenförde fanden Strahlenschutz-Experten 14 angereicherte Uran-Pellets. Nicht genug, um einen Atomsprengkörper herzustellen, erklärte der Spiegel damals. Aber immerhin.
Ansonsten passiert nicht viel in Beverungen oder Lauenförde. Hin und wieder stoppen ein paar größere Unterhaltungskünstler für einen Aufritt in der Stadthalle: Lena, Oliver Pocher, Wincent Weiss, Mathias Richling, Beatrice Egli, DJ Ötzi, Joey Kelly und Tratsch im Treppenhaus, ein Lustspiel von Jens Exler. Für jeden was dabei. Im Karneval ziehen die Narren durch die Straßen der Stadt und im Sommer fiebert alles auf das jährliche Schützenfest hin.
So weit, so Kleinstadt. Doch unscheinbar in einem Gewerbegebiet am Rande des Städtchens gelegen sorgt das Label Glitterhouse Records seit beinahe 40 Jahren dafür, dass Beverungen in Musikkreisen in erster Linie mit Grunge, Americana und Noise oder dem genauen Gegenteil davon in Verbindung gebracht.
Einst die europäische Heimat Sub Pops, haben auf Glitterhouse Records große Namen wie Monster Magnet, 16 Horsepower, The Walkabouts oder Die Nerven veröffentlicht. Das zweite Standbein, der Mailorder, gilt jahrzehntelang als die Bezugsquelle schlechthin für Gitarrenmusikfans. Glitterhouse meistert die verschiedenen Krisen der Musikindustrie ab den beginnenden 2000er-Jahren und entwickelt sich parallel zu einem viel beachteten Festivalveranstalter.
Das Orange Blossom Special, in den 90ern auf einer Holzbühnenkonstruktion hinter der firmeneigenen Villa als Grillfest für Mailorderkunden und Freunde gestartet, entwickelt sich in den vergangenen Jahren zum wahrscheinlich besten kleinen Festival des Landes. Die über 3.000 Tickets sind stets nach wenigen Stunden ausverkauft.
Das gelingt den Veranstaltern um Rembert Stiewe einmal durch exzellentes Booking – AnnenMayKantereit spielen hier ihren Festivalgig, nicht auf der Bühne, sondern im Publikum; Casper treten in Beverungen auf, Olli Schulz gleich mehrfach, Kettcar mögen es hier und in diesem Jahr hat sich Thees Uhlmann angekündigt.
Das gelingt dem OBS jedoch auch und in wahrscheinlich in erster Linie auch durch Liebe zum Detail und Haltung. Regionale Imbiss-Stände, gratis Trinkwasser, Mehrwegbecher, Spenden für Viva con Agua, regionale Biermarke, Fair-Trade Merchandise, eine ausnehmend entspannte Security, Kooperationen mit Sea-Watch, Seebrücke und anderen. Kurzum: Eine herrliche Parallelwelt. Jedes Jahr zu Pfingsten. Unten an der Weser.
Das OBS und Glitterhouse Records stehen hierbei exemplarisch für die unzähligen von der Coronakrise betroffenenen Künstler, Label- und Festivalbetreiber. Es geht hier nicht nur um Existenzen, sondern um den Verlust der Kunst, um das Verschwinden der Kultur.
Klar: Fußball first, Kultur second. So war es schon immer beim DID. Aber während Watzke und Co von Talkshow zu Talkshow tingeln und vor dem bevorstehenden Tod der Bundesliga warnt, kämpft die Musikindustrie fernab der Öffentlichkeit ums Überleben.
Der DID sprach mit Rembert Stiewe, dem Mann der mit dem Glitterhouse-Mitgründer Reinhard Holstein die Musik nach Beverungen brachte. Erst als Fanzine, dann als Label und danach als Festivalveranstalter.
Hallo, Herr Stiewe! Schön, dass Sie einen Moment Zeit für uns haben. Wie geht es Ihnen?
Ich vermisse es, Sohn und Enkel zu treffen, ansonsten geht es mir persönlich und gesundheitlich gut. Natürlich sorge ich mich um meine berufliche Zukunft. Aber ich habe ein Dach überm Kopf und muss nicht zusammengepfercht mit zigtausend anderen Menschen in einem Lager auf einer griechischen Insel vegetieren, in der bangen Erwartung, dass jeden Augenblick Covid-19 dort wie eine Bombe einschlägt und meine Lieben oder ich selbst elendig krepieren.
Sie arbeiten in der Musikindustrie. Wieviel Menschen in Deutschland bestreiten mit der Kunst Musik ihren Lebensunterhalt, Herr Stiewe?
Wir sprechen von insgesamt 260.000 Unternehmen und 1,7 Millionen Erwerbstätigen in der Kultur- und Kreativwirtschaft insgesamt, also in der Musik, in Film, Theater, Graphik, bildender Kunst etc.
Laut einer aktuellen Aufstellung der AG Kultur und Medien der SPD-Bundestagsfraktion leben davon 260.000 Beschäftigte von der Freiberuflichkeit oder Selbständigkeit. 340.000 gelten also sogenannte Mini-Selbständige mit einem jeweiligen Jahresumsatz von unter € 17.500 – sie leben also ohnehin schon am Existenzminimum.
Ein großer Anteil der Menschen in der Musikindustrie ist prekär beschäftigt.
Sie sind Mitgründer eines der ältesten deutschen Independent-Labels. Welche Auswirkungen hat die Krise auf den veröffentlichenden Teil der Musikindustrie?
Bereits vor der Corona-Krise waren die vielen unabhängigen Label und Tonträger-Vertriebe finanziell nicht auf Rosen gebettet. Die Krise selbst bringt viele von uns nun an den Rand des Ruins – oder darüber hinaus. Im Mainstream mögen Streaming-Umsätze u.U. eine signifikante Größenordnung haben – bei den Künstlern, die auf unabhängigen Labels veröffentlichen, sind das dagegen teils nur einige Euro an monatlichen Einnahmen. Downloads, mit denen Künstler und Label wenigstens noch ein wenig erwirtschaften konnten, sind mittlerweile im Formatmix fast schon zu vernachlässigen. Physische Tonträger, also CDs und LP, verkaufen sich in der Krise noch schlechter als zuvor. Der stationäre Tonträgerhandel war wochenlang geschlossen, Exporte auch in andere europäische Märkte finden so gut wie nicht mehr statt, der Versand-Riese Amazon hat zwischenzeitlich die Warenannahme von Tonträgern und Büchern ausgesetzt, weil selbst seine Logistik unter den Bestellungen von “Waren des täglichen Bedarfs” zusammenzubrechen drohte, Konzerttourneen – in deren Rahmen sich sonst durchaus nennenswerte Tonträgerverkäufe ergeben – wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Die Wertschöpfung fällt ins Bodenlose. Der Markt ist minimiert. Wie so viele andere Unternehmen auch sind wir nun in Kurzarbeit. Was hilft – aber nicht zwangsläufig rettet.
Beteiligt sich ein Unternehmen wie Glitterhouse an den Produktionskosten eines Albums?
Oft haben wir in guter alter Punkrock-Manier sog. “50/50 profit split deals” mit den aufnehmenden Künstlern. Das bedeutet, dass alle Kosten und alle Erlöse einer Produktion zwischen den Künstlern und Glitterhosue Records als Label hälftig geteilt werden. Beide Seiten gehen dadurch zu gleichen Teilen ins Risiko, das ist eine sehr faire Aufteilung.
Bereits in den letzten Jahren verflüchtigten sich die Einnahmen aus Plattenverkäufen. Die digitalen Erlöse von Plattformen wie Spotify bewegen sich an der Grenze der Wahrnehmung. Was passiert, wenn der stationäre Handel nach der Krise weiter an den Rand gedrückt wird?
Es steht zu befürchten, dass viele kleine Unternehmen nicht werden durchhalten können. Was mittelfristig auch zu einer künstlerischen Verkarstung führen wird. Denn die Veröffentlichungen, die musikalisch oft unter dem Radar der großen Öffentlichkeit stattfinden, sind oft durch große kreative Ausdrucksfähigkeit, durch neue musikalische Ideen, durch künstlerischen Fortschritt und Originalität gekennzeichnet. Unter dem Siechtum des Handels wird daher auch die Vielfalt künstlerischen Ausdrucks leiden. Dem Dudelfunk und den Millionen Musikhörern, die nicht unbedingt unter der Oberfläche nach Trüffeln suchen, sondern Musik eher als Sound-Tapete wahrnehmen, wird es egal sein. Aber kulturell ist das ein herber, auch langfristig nicht wiedergutzumachender Verlust.
Die Welt wird in diesen Tagen in zwei Bereiche aufgeteilt. Der eine gilt als systemrelevant, der andere nicht. Die Kultur und somit auch die Musik muss sich da hintenanstellen. Ist das eine korrekte Einschätzung der Politik?
Natürlich liegt es erst mal nahe, Musik und Kultur generell nicht als ähnlich systemrelevant anzusehen wie die Arbeit von Pflegekräften, Ärzten, Verwaltung, Lebensmittelhandel, Müllentsorgung etc. Aber mich macht die grundlegende Geringschätzung wütend, mit der die Arbeit jeglicher Kulturschaffenden und Kulturvermittelnden offensichtlich zu großen Teilen auf politischer Gestaltungsebene betrachtet wird – trotz anderslautender Lippenbekenntnisse. Wir werden offensichtlich als Tunichtgute wahrgenommen, die jetzt gerade so ein bisschen Gewese und Geschrei machen, aber eigentlich ja auch was Gescheites hätten lernen können.
Es gibt mannigfache Appelle, die vergeblich dringende diesbezügliche Nachbesserungen der so genannten Soforthilfe fordern. Dass nach Altmeiers und Scholz’ in der “Bazooka”-Bundepressekonferenz großspurig herausgedonnerten sinngemäßen Ansage, “die Mittel” seien “nicht gedeckelt” diese Mittel nun aber nicht denen zugutekommen, die es dringend nötig hätten, sondern wie in feuchten neoliberalen Träumen in Vorstands-Boni und Dividendenausschüttungen von Dax-Konzernen fließen, das ist schlichtweg ein Skandal.
Mir ist schon bewusst, dass ein so rasch durchgepauktes Soforthilfe-Rettungssystem nur sehr grobmaschig sein kann. Es ist ja vergleichsweise großartig, wie umfassend und schnell in Deutschland seitens der politisch Handelnden auf die volkswirtschaftlichen und persönlichen finanziellen Folgen reagiert wird. Aber nun, da es an das Fine-Tuning geht und die Verteilungskämpfe in vollem Gange sind, wird deutlich, wo man Kultur einordnet.
Der Applaus sei das Brot des Künstlers heißt es. Davon konnte man sich schon vor der derzeitigen Lage nicht ernähren. Jetzt aber ist kein Brot mehr da. Im Wortsinne.
Kurzfristig hatte ich vor einigen Wochen tatsächlich gedacht: okay, sie haben es kapiert, es gibt einen moralischen Paradigmen-Wechsel, es gibt gesellschaftliche Solidarität nicht nur horizontal, sondern auch vertikal. Ich naiver Idiot.
Wenn man sich anschaut, womit sich die Menschen z.B. während des Lockdowns beschäftigen, bleibt die Erkenntnis: Kultur ist sehr wohl relevant für das System. Sie unterhält nicht nur, sie hält uns zusammen.
Es geht hier um Menschen. Menschen, welche die in offiziell systemrelevanten Tätigkeiten Ausgebeuteten nicht nur unterhalten, sondern auch zu ihrem emotionalen Gleichgewicht, nenn es meinetwegen Seelenheil, beitragen. Die ihnen Freude spenden, sie zum Nachdenken anregen, die den oft beschissenen Alltag und den Rotz dieser Welt erträglich machen.
Um es pathetisch auszudrücken: Das werdet ihr alle noch merken, ihr, zu denen jeglicher Abstand wirklich geboten ist – weil euch der Anstand abgeht, anzuerkennen, dass gesellschaftliche Leistungen nicht nur daraus bestehen, für ein System zu buckeln, welches diejenigen, die maximal als schmückendes Beiwerk angesehen werden, verlacht.
Mir scheint, dass da entweder eine durch anderweitige Lobby-Überfrachtung begründete Wahrnehmungslücke besteht oder dass der Fairness-Kompass falsch eingenordet wurde. Wir wollen keine Almosen und keine warmen Worte. Wir fordern eine faire Verortung der Kultur und ihres Stellenwertes.
Unter den nicht systemrelevanten Geschäftsfeldern drängelt sich der Profi-Fußball in den Vordergrund. Die Protagonisten sollen bald wieder in den Kathedralen der Unterhaltung auftreten. Ansonsten siecht eine ganze Industrie dahin. DFL-Chef Seifert sagt, dass man das Produkt herstellen muss, um zu überleben. Können Sie Ihr Premium-Produkt, das renommierte Orange Blossom Special Festival, in diesem Jahr herstellen?
Leider nein. Ursprünglich sollte das Festival am letzten Mai-Wochenende stattfinden, wie immer zu Pfingsten. Dass das nicht klappen würde war spätestens seit Ende März abzusehen. Dass aber die Landesregierung NRW in der CoronaSchutz-Verordnung vom 20. April kein Wort über Großveranstaltungen oder den Zeitraum bis 31. August verliert, das war nicht vorauszusehen. Es ist für mich als Veranstalter eine Katastrophe, da ich das Festival, das ja nach dem 03. Mai (der Geltungsdauer der Verordnung) terminiert ist, nicht selbsttätig ohne Landesverordnung absagen kann, ohne zusätzlich zu den Einnahmeverlusten Ausfallzahlungen und Regressansprüche fürchten zu müssen. Natürlich habe ich längst an einem Plan B gearbeitet, das Festival auf das erste Septemberwochenende zu verlegen. Aber um Publikum, Festival-Team und Musiker zu schützen und durch die nicht vorhersehbare Genehmigungslage zollen wir nun der Dynamik der Krise Tribut und planen den Plan C: die Veranstaltung auf Pfingsten 2021 zu verlegen – wenn uns bis dahin der Himmel nicht auf den Kopf fällt jedenfalls. Und, wie erwähnt: noch ist der ursprüngliche Termin 29.-31. Mai nicht offiziell abgesagt.
Und kurz zum Profifußball: Ich war mal Fan, bin in den letzten Jahren aber zunehmend frustriert und verliere das Interesse daran. DFL, DFB, UEFA, FiFa – ein Trauerspiel. Und auch jetzt, in der Diskussion um die Saison-Fortsetzung und Geisterspiele, trägt der Profifußball nicht dazu bei, das Bild vom selbstbezogenen, raffgierigen, profitorientierten Unterhaltungsmonster, das ich mittlerweile von ihm habe, aufzuhübschen. Meine Rest-Sentimentalität beschränkt sich darauf, dass ich es als Anhänger von Arminia Bielefeld fast schon wieder für typisch ostwestfälisch halte, dass mein Club eine unglaublich gute, fast schon begeisternde Saison spielt – um am Ende unter Umständen mit leeren Händen dazustehen.
Welche Auswirkungen hätte die Absage des Festivals auf die Zukunft des Festivals und des Labels?
Neben dem emotionalen Verlust – denn es steckt unsagbar viel Herzblut in dieser Veranstaltung – geht uns auch ein kompletter Jahresumsatz flöten. Da das Orange Blossom Special auch stets hilft, das Label und den Tonträgerversand quer zu finanzieren ist das eine existenzielle Entwicklung. Wir hoffen, es irgendwie bis zum November 2021 zu schaffen, wenn der Vorverkauf für das dann in 2022 veranstaltete 25. Orange Blossom Special ansteht.
Nicht nur Festivalmacher und Labelbetreiber haben massive Probleme, auch die Künstler können Ihr Produkt, die Live-Show, aktuell nicht anbieten. Befürchten Sie nachhaltige Schäden für den Independent-Bereich, für die Künstler und DIY-Labels und auch für die Betreiber von Konzertlocations?
Zu den Gefährdungen, die Label und Künstlerkarrieren ausgesetzt sind habe ich mich ja schon weiter oben geäußert. Was Konzertlocations angeht, so sind hier natürlich nachhaltige Schäden zu erwarten. Viele werden nicht durchhalten können. Sie waren die Ersten, die schließen mussten und werden vermutlich die Letzten sein, die wieder öffnen dürfen. Unter Auflagen. Ohne Perspektive, die entgangenen Einnahmen wieder aufholen zu können. Meistens ohne jegliche Rücklagen – denn die Liquidität der meisten Clubs und Konzertlocations speist sich soz. aus der Abendkasse. Da ist kein Raum, um sich finanzielle Polster anzufuttern. Da nagt man ohnehin meist am Hungertuch. Und die Kosten laufen ja weiter. Es ist ein Drama – uns werden viele, viele Konzertorte fehlen.
Welche staatlichen Hilfen können Sie als Label und Festivalbetreiber in Anspruch nehmen?
Die einzige staatliche Hilfe, die wir in Anspruch nehmen können, ist Kurzarbeitergeld. Die Zuschusszahlung für KMU kommt aus verschiedenen Gründen bei uns leider nicht in Frage, da wir zwei Firmensitze in zwei verschiedenen Bundesländern – Hamburg und NRW – haben, und das Festival zur Hälfte der Glitterhouse Records GmbH und zur Hälfte mir gehört. Da ich aber zwei sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen nachgehe, gelte ich auch nicht als Solo-Selbständiger. Für diesen Sonderfall ist das Soforthilfenetz leider nicht feinmaschig genug. Auch von KFW-Krediten hätten wir mittelfristig wenig – die finanzielle Belastung der Rückzahlung wäre kaum zu stemmen. Schlecht gelaufen für uns.
In einem bemerkenswerten Interview mit dem Deutschlandfunk haben Sie bereits im März das bedingungslose Grundeinkommen gefordert. Welche Vorteile hätte das in der derzeitigen Lage für die Kulturindustrie?
Die erwähnten prekär in der Kulturindustrie Beschäftigten und Freiberufler könnten durch das bedingungslose Grundeinkommen ihren Lebensunterhalt weiter bestreiten. Das beträfe Musiker, Schauspieler, Autoren, Veranstalter, Film- und Fernsehschaffende, Journalisten, Techniker, Gastro-Personal und, und und. Die Kulturbranchen hätten zumindest die Chance, auch noch dann zu funktionieren, wenn die Lage eine Rückkehr zur Normalität wieder erlaubt. Wobei es die Normalität von Vor-Corona so nie wieder geben wird, befürchte ich. Ohne ein Grundeinkommen wird die Situation der Kulturschaffenden und –vermittelnden katastrophal und die Lage der Kulturindustrie desolat. Zumindest, wenn nicht andere vergleichbare Hilfsprogramme aufgelegt werden, die praktikabel sind. Die auf drei Monate angesetzte Künstler-Soforthilfe von monatlich € 1000, die Bayern und Baden-Württemberg auf den Weg gebracht haben, geht hier schon in die richtige Richtung, lässt aber auch sehr, sehr viele Kulturvermittelnde, die durch das Förderungsraster für Unternehmen fallen, außen vor. Und der föderalistische Flickenteppich führt hier natürlich zu großem Verdruss.
Das bedingungslose Grundeinkommen würde Sicherheit für alle schaffen.
Wie können Privatpersonen Sie und andere von der Krise betroffene in dieser Situation unterstützen?
Solidarität ist nötig. Man kann Crowdfunding-Kampagnen von Clubs und Festivals unterstützen, den kleinen Tonträger-Versandhändlern und dem stationären Tonträgerhandel Umsatz bescheren und somit auch den Künstlern helfen. Man kann darauf verzichten, bereits erworbene Karten für ausfallende Festivals oder Konzerte zurückzugeben – vor allem wenn es um kleine Konzertlocations und eher wenig bekannte Musiker geht. Man kann für jedes Bier, das man zuhause trinkt, einen Euro in einen Soli-Fonds für Clubs und Kneipen zahlen oder Spendenaufrufen folgen. All das hilft. Auch kann man entsprechende Petitionen zur Soforthilfe für Künstler und Solo-Selbständige unterschreiben, die Bestrebungen für das bedingungslose Grundeinkommen unterstützen, generell dem Chor der Kulturschaffenden und Kulturvermittelnden mit der eigenen Stimme helfen. Schließlich kann man sich auch gesellschaftlich engagieren – und sei es nur dadurch, dass man seinen politischen Vertretern in Land- und Bundestag mitteilt, welche Wertschätzung Kultur entgegengebracht werden sollte und dass sie diesbezüglich bitte konkret handeln mögen.
Ihr braucht Musik, Konzerte, Filme? Wir brauchen euch. Wir sitzen alle im selben Boot.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Stiewe! Bleiben Sie gesund.
Danke für das Interesse! Bleiben auch Sie gesund.