Seit dem bedauerlichen Ableben des Datenkönigs Justin Hagenberg-Scholz waren nun schon zwei Wochen ins Land gezogen. Wir erinnern uns: Dietfried Dembowski kniete vor seinem Freund. Dieser hatte sich nicht nur das Leben nehmen lassen, sondern auch wichtige Erkenntnisse, die er auf einem verschlüsselten USB-Stick mit sich führte.

Der Stick war verschwunden, wie auch Miriam Wu, die an ihrer Reise in die chinesische Provinz Xinjiang zugrunden gegangen war. Nur Hauke Schill war dem Ermittler noch geblieben, doch ihm hatte er nach Windhorsts Ankunft in Berlin die Freundschaft aufgekündigt.

Dembowski streunte seither ziellos zwischen den Big City Flats am Rande der Hauptstadt umher. Er verfolgte mal diese und mal jene Spur, doch ergiebig war das alles nicht. Die meiste Zeit verbrachte er nun am Dong-Xuan-Center. Justin Hagenberg-Scholz hatte dieses Klein-Vietnam zwischen den Plattenbauschluchten Lichtenbergs geliebt. Und dort, so hoffte der Ermittler, würde er den entscheidenden Hinweis finden.

„Was hat JHS gesehen?“, fragt sich Dembowski als die Kamera auf ihn zoomt. Er steht am Ende eines langen Schlauchs und blickt in ein Meer aus Plastikblumen. Genau hier hatte sich Justins Huawei kurz vor dem Mord ins Netz eingeloggt. Hier musste er etwas entdeckt haben. Nur was? Der Ermittler muss diesen Fall lösen. Doch nicht jetzt. Sein Telefon klingelt. Es ist Wu.

„Ich musste es tun“, sagt die Internationalisierungsexpertin.

„Was? Und wo bist Du?“

„Özil!“

Dann legte sie auf. Sie würden auftauchen. Immerhin war sie noch auf der richtigen Seite.

Özil. Das konnte nicht ihr Ernst sein. Der ehemalige deutsche Nationalspieler hatte in den letzten Tagen etwas für sein ramponiertes Image getan. Zur großen Freude der westlichen Gesellschaft hatte er sich mit China angelegt, gegen die Verfolgung der Uiguren ausgesprochen, mit verschwurbelten Worten Freiheit für Ostturkestan gefordert und das Schweigen der muslimischen Staaten angeprangert.

Özils Gespür für Staatsaffären hatte ihn, anders als sein Gespür für Pässe, nicht verlassen. 18 Monate nach seinem Bild mit Erdogan und der nach dem blamablen WM-Aus folgenden dreiteiligen Abrechnung mit dem System Deutschland, legte er nun den Finger in die klaffende Wunde des Weltfußballs. Sich der Macht der sozialen Medien bewusst, hatte er nicht einmal Wert auf englische Kommunikation gelegt. Er blieb im Türkischen. Übersetzt wird so etwas immer. Darauf war Verlass. Das wusste Özil. Das wusste aber vor allen Dingen Wu.

Sie hatte es gewusst und noch viel mehr, wie sehr die separatistischen Aspekte die Chinesen nerven würden und sie hatte gewusst, dass der Scheinwerfer auf Arsenal und somit die Internationalisierung der Premier League gedreht werden würde. Es kam so, wie es kommen musste: Arsenal lag im Clinch mit China oder besser andersrum. Und wer profitierte davon? Die Bundesliga, die inmitten der furiosesten Spielzeiten der letzten Jahrzehnte steckte. Özils Intervention hätte zu keinem besseren Zeitpunkt kommen können.

Dembowski lächelt. Immerhin auf Wu kann er sich noch verlassen. Er ist nun im ICE. Dieser ist voll. Er setzt sich neben ein Mädchen. Sie mag vielleicht 16 sein. Dembowski beachtet sie nicht. Wird aber gleich von einem Begleittrupp zur Seite geschoben. „We want to stage some pictures“, wird ihm gesagt und er durch einige Koffer ersetzt. Von der Seite betrachtet er den melancholischen Blick in die Ferne. Das Mädchen hat große Pläne. Da ist er sich sicher. Wir entführen ihn in den Speisewagen. Das große DID-Interview steht an.

Der BVB ist wieder da, Herr Dembowski!

Das überrascht mich wirklich. Favre wird ein neues System empfohlen. Und es funktioniert. Arbeiten beim BVB doch nicht nur Dilettanten? Das werde ich mal verfolgen.

Haaland-Alarm in Dortmund. Erst gestern landete am Dortmunder Flughafen eine Charter-Maschine aus Salzburg. Ist der Norweger im Kopf noch ganz klar?

Wie meinen Sie das?

Seine Besuche in Leipzig und Dortmund, das Treffen mit Manchester United. Dazu die Karte Juventus. Ist das noch normal?

Wieso nicht? Ein junger Spieler überlegt sich seine nächsten Schritte. Wollen Sie ihm das jetzt verbieten?

Hand aufs Herz: Ist Haaland ein Söldner, Herr Dembowski?

In welchen Kategorien Sie schon wieder denken. Mino Raiola kümmert sich um seine Spieler und natürlich auch um seine Geldbörse. So läuft das Geschäft. Für 20 Millionen ist das ein Schnapper. Der BVB muss sich mit ihm beschäftigen. Der Ballspielverein hält alle Trümpfe in der Hand. Das Westfalenstadion steht in Dortmund. Daraus werden Träume gemacht.

Die Meisterschale ist aber bald in Leipzig. Das dürfte Haaland interessieren.

Jetzt halten Sie doch mal den Ball flach. Wir haben nicht einmal die Hälfte der Saison gespielt. Leipzig hat jetzt einen Lauf. Aber der offene Größenwahn zeigt doch nur, dass die breite Masse Leipzig weiterhin die Anerkennung verweigert. Ein Labor ist für die Öffentlichkeit nicht interessant. Das wird registriert, das wird kritisiert und ein paar Fortschrittsverfechter feiern das im Labor gezüchtete Projekt dann ab. Aber hier geht es nicht um den Fortbestand der Menschheit, sondern um Unterhaltung. Dieses Projekt spricht nicht zu mir. Es spricht nicht zum Großteil der Fußballfans. Fußball ohne Geschichte ist nichts. Ich mache mir da wenig Sorgen.

Erfolg schlägt Tradition. Geschichte könnten die Leipziger noch schreiben. Mit einem Sieg in Dortmund zum Beispiel. Dort warten morgen wieder einige Tausend unverbesserliche „sogenannte“ Fans auf Frauen und Kinder…

…darf ich Sie kurz unterbrechen? Sind wir hier bei Sport1? Bei Pit?

Aus Ihnen spricht der Neid, Herr Dembowski. Aber gut. Wechseln wir das Thema. Alexander Nübel…

…Sie langweilen mich. Foul. Das ist doch unstrittig. Sagt er, sagt Gacinovic, sagen alle. Wird gesperrt und dann ist auch gut.

Dann machen wir weiter. Wer will in drei bis fünf Jahren endlich Titel gewinnen?

Das hat doch sicher der Jürgen erzählt. Der muss jetzt jeden Tag auf Facebook Auskunft geben. Scheint einmal diese Digitalisierung zu sein, von der die Hahoherrlichen so lange geredet haben und scheint auch der Grund für das große Trainerteam zu sein. Mehr Zeit für Facebook. Die Fans vorm Bildschirm abholen und ins Stadion bringen. Was Klinsi dann erzählt, kann ihm doch eigentlich egal sein. Er zieht irgendwann weiter und was er dann hinterlässt, wird nicht mehr seine Geschichte sein.

Die Hertha-Junioren hingegen haben in Auerbach den Platz verlassen. Ein starkes Zeichen gegen den Alltags-Rassismus in Sachsen.

Es gibt auch andere Darstellungen. Da wird dann von Provokationen der Hertha-Spieler geredet. Ich war nicht da. Ich kann mich dazu nicht äußern. Und bei mir schwingen immer nur Neuendorfs Relativierungen nach dem Vorfall am vorvergangenen Wochenende mit. Zecke empfand diese Affenrufe als nicht so schlimm. Dazu hat man sich auch nach Tagen des Schweigens nicht geäußert. Darauf wurde nicht eingegangen. Jetzt ist es komplett vergessen.

Sie haben auch wieder miese Laune.

Überhaupt nicht.

Was steht heute an?

Sind Sie eigentlich komplett durch? Ich bin mit Westernhagen im Westfalenstadion. Freiheit, Brüder, Freiheit! Heute geht es um alles!

Noch schnell drei Leserfragen. Mark Kampmann, bekannt aus dem Ruhrgebiets-Klassiker Bang Boom Bang, will wissen: Was hat Wolfsburg was, was Berlin nicht hat?

Wolfsburg hat die Schornsteine. Für mich ist Wolfsburg Heimat.

Lehrer-Anwärter Klaas Reese stellt die Frage nach dem allerbesten Bundesliga-Trainer.

Für mich ist das Oliver Glasner, der in Wolfsburg aus bescheidenen Mitteln einen echten Spitzenklub formt.

Balotelli-Fan René Cupán fragt: Gibt es ein richtiges Leben im Farke?

Ich denke schon, auch wenn es für seine Kanarienvögel nicht besonders gut aussieht.

Herr Dembowski, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Dafür nicht.