Herr Dembowski. Wir müssen reden.

Ich habe das schon befürchtet. Ich schaue ja auch Fußball.

Dann sind Sie hoffentlich gut vorbereitet.

Das bin ich immer. Vorbereitung ist alles. Trotzdem: Ich möchte diesem Gespräch etwas voranstellen. Wir befinden uns in einer Endlosschleife. Nach vier Spieltagen hat sich in dieser Liga genau nichts geändert.

Sie spielen auf die Bayern-Dominanz an?

Keineswegs. Das können wir doch ignorieren. Vor jeder Saison überhöhen wir die kleinsten Abweichungen und reden uns das Ende der Bayern-Jahre ein. Eigentlich aber genügt ein Blick auf die Kaderkosten und auf die Struktur des Teams. Da steht eine Weltauswahl auf dem Platz. Das langt für die Liga. Da müssen wir nicht weiter drüber reden. Für die Bayern geht die Saison im März los. Dann kommen die großen Spiele, dann beginnt erneut das große Wehklagen. Bis dahin spazieren sie eben. Das ist so.

Am Freitag aber geht es zur Hertha. Der Hauptstadtklub ist nach vier Spieltagen der letzte verbliebene Verfolger.

Merken Sie überhaupt noch etwas? Was erzählen Sie da? Trauen Sie Hertha ernsthaft zu, im Titelrennen mitzumischen? Das ist wirklich die überflüssigste Anmerkung, die Sie je gemacht haben. Da kann ich nur noch mit dem Kopf schütteln.

Sie sind doch der Typ, der immer von den Hahoherrlichen redet!

Ich kann das im Gegensatz zu Ihnen jedoch einschätzen. Die Saison ist vier Spieltage alt. Mit Torunarigha und jetzt auch Grujic fallen zwei Schlüsselspieler auf. Gerade der Neuzugang von Liverpool ist doch überhaupt nicht zu ersetzen. Körperlich ist der eine ganz eigene Liga. Klar, Rekik kehrt eventuell zurück, wird nicht genug sein. Wir sind in einer englischen Woche, die Euphorie in der Hauptstadt ist am Anschlag. Ich freue mich für Hertha, kann Ihnen aber jetzt bereits sagen: Im Rennen um die Champions League-Plätze werden sie keine Rolle spielen. Im Abstiegskampf auch nicht. Diese junge Mannschaft mit den alten Stürmern vorne drin wird uns noch viel Freude machen, aber wir sollten realistisch bleiben: Die Zukunft gehört Berlin, aber die beginnt gerade erst.

Das bringt uns direkt zum nächsten Thema. Der BVB hat seine Zukunft unter Favre bereits hinter sich. In Hoffenheim kamen sie zu einem glücklichen Punktgewinn.

Dortmund ist unter Favre weiterhin ungeschlagen. Das ist alles mühevoll. Aber auch kein Grund zur Sorge. Erneut überhöhen sie die Leistung einer Mannschaft und werten ein anderes Team ab. Bis zur Befodil-Chance in der letzten Minute war der BVB in allen Modellen die gefährlichere Mannschaft. Wenn Sie also die letzten Jahre nicht einmal mitbekommen haben, was den Favre-Fußball ausmacht, dann kann ich Ihnen auch nicht helfen. Es sieht noch nicht alles rund aus. Aber niemand erwartet vom BVB die Meisterschaft. Sie sollen sich defensiv stabilisieren, und darauf aufbauen. Das ist bereits gelungen. Jetzt brauchen die Borussen eben einen Stürmer, um die Effizienz noch zu erhöhen. Nach vier Spieltagen eine Trainerdiskussion aufmachen? Das traut sich nicht einmal die Bild-Zeitung.

Die ist aktuell mit anderen Themen beschäftigt. Es gab mal wieder Ärger.

Und nicht nur im Internet!

Exakt! Sondern im Dortmunder Fanblock. Dort war vor Anpfiff der Begegnung in Sinsheim ein Mordaufruf gegen Dietmar Hopp zu sehen. Dem BVB droht nun eine Megastrafe. Sogar von Punktabzug ist die Rede.

Immer droht irgendwas. Hatte das bereits vorhin erwähnt. Vier Spieltag in die Saison und wir sind in der Endlosschleife gefangen. Was wir hier doch sehen: Fußballvereine bedienen sich modernen Taktiken. Man muss in der Tat nicht einmal in einem Stadion gewesen sein, um diese Anschuldigung als haltlos zurückzuweisen. Die Fans haben ein wenig über die Stränge geschlagen. Doch kann ich mich nicht erinnern, dass jemals ein Fußballfunktionär von gegnerischen Fans umgebracht wurde. Insofern: Für mich ist das eine kalkulierte Nummer. Die Stadionverbote, die Reaktion darauf. Beiden Seiten kam das ganz recht. Die geplante Empörung. Die stets gleiche Frage nach dem Fußball, wie wir uns ihn vorstellen. Die eine Seite will ihn rau halten, will weiter einen Zufluchtsort, um sich der Alltagsprobleme zu entledigen, um ein wenig zu pöbeln. Die andere Seite betrachtet das Sportspiel Fußball, bei dem sich der interessierte Zuschauer an taktischen Feinheiten erfreut. Dazwischen gibt es nichts.

Sie vereinfachen und verharmlosen. Auf der Tribüne sind kriminelle Geister unterwegs. Geister, die sich nicht für Fußball, sondern nur für Provokationen interessieren. Geister, die zum Mord aufrufen und diesen Mordaufruf später so nicht gemeint haben wollen. Im Internet beschweren sie sich, dass „man das aber wohl noch einmal sagen dürfe.“ Die Ultras sind die AfD des Fußballsports.

Meinen Sie das jetzt wirklich ernst? Die AfD des Fußballs? Weil die Ultras bewahren wollen und Aufmerksamkeit Ihre Verhandlungsmasse ist?

Niemand will den Fußball, den sich die Ultras vorstellen. Wir wollen schöne Spiele, wir wollen bewegende Geschichten und wir wollen glückliche Menschen auf den Tribünen. Wir wollen Entertainment für die Massen. Mit Anspruch. Wir wollen die Feinheiten des Spiels anhand unterschiedlicher Modelle sezieren. Wir wollen eine familienfreundliche Umgebung.

Da fängt es doch an. Diese familienfreundliche Umgebung, von der Sie hier faseln, ist für einige Bevölkerungsschichten doch längst nicht mehr bezahlbar. Taktische Feinheiten werden weiter ein Nebenprodukt für interessierte Gruppen bleiben. Der Fußball aber muss Eckkneipe bleiben. Er muss rau sein, er muss allen offenstehen und er muss es aushalten können, wenn es zu Meinungsverschiedenheiten kommt. Bedenken Sie auch: Niemand wurde verletzt. Niemand wurde körperlich bedroht. Der Kern ist die Meinungsverschiedenheit über die Zukunft des Fußballs.

Hurensohn ist keine Meinungsverschiedenheit, Herr Dembowski, Hurensohn ist eine Beleidigung.

Am vergangenen Donnerstag war ich in Leipzig beim Spiel der RB-Betriebssportmannschaften. Ich möchte Ihnen dazu eine Geschichte erzählen.

Legen Sie los!

Die habe ich woanders schon aufgeschrieben. Ich lese ab.

Okay.

“Ralf Rangnick ist der größte Hurensohn, wo es ihn auf der Welt gibt”, sagt der Salzburger Capo zu mir. Er ist Teil der RR Haters. “Mit seinen Transfers hat er unseren Verein fast zerstört.” Sie sind wütend, das Original und sie marschieren jetzt durch Leipzig. An einer Ecke warten ein paar sächsische Fischerhüte, fühlen sich sehr sportlich, machen sich locker, müssen der Polizei dann ihre Ausweise vorzeigen. Angriff abgeblasen. Fußball als Simulation. Herrlich.

Tolle Anekdote, Dembowski. Sie spielen auf den Hurensohn an? Das ist doch ein Unterschied, ob die Aussage im Gespräch fällt oder in der Öffentlichkeit.

Die Salzburger-Fans haben das auch gesungen. Wenn diese Schmähungen nun also sogar im Simulations-Umfeld angekommen sind, was sagt uns das?

Dass wir auf unsere Sprache achten müssen, Herr Dembowski. Das ist Ihr Standpunkt.

Jahahaha. Wir müssen darauf achten. Aber wir müssen auch auf das Spiel achten.

Das Spiel war vor den Ultras da.

Das Spiel war auch vor Naseweisen wie Ihnen da. Der deutsche Fußball steht in der Welt fast nur noch aufgrund seiner Fankultur so gut da. Dafür zeichnen eben auch die Ultras verantwortlich. Anstatt ihnen aber eine Stimme zu geben, werden sie kriminalisiert.

Für kriminelle Handlungen.

Wir drehen uns im Kreis.

Das stimmt.

Dann beenden wir das in dieser Stelle. Ihnen noch einen schönen Tag, Herr Dembowski.