Am Dortmunder Hauptbahnhof wartet ein nachdenklicher Malte Dürr. Der DID-Reporter West wartet auf einen verspäteten Zug. Doch dieser kommt pünktlich. Es bleibt wenig Zeit für das Gespräch mit Dietfried Dembowski, der mit einem Bein bereits in der Tür des ICEs in Richtung Gesundbrunnen steht. Der Ermittler stürzt eine Flasche Kronen Ex hinunter und springt hastig zwischen den Themen hin und her. Natürlich hat er einen Plan. Nur nicht heute.

Hallo, Herr Dürr! Das Derby steht vor der Tür. Ganz Dortmund fürchtet sich vor Haji Wright! Sie auch?

Ich besuchte einst gemeinsam mit meinem Freund, dem Wutpendler, ein U19-Derby zwischen Schalke und dem BVB. Dort wurde Haji Wright von den anwesenden Fans der Blauen 90 Minuten komplett durchbeleidigt. Umso überraschter war ich am Samstagabend, als ich ihn plötzlich in der Startelf der Gelsenkirchener erblickte. Man könnte fast mit Rüdiger Rabe sagen: Haji Wright hatte ich vergessen.

Blicken wir aber doch erst einmal zurück. Pit Gottschalk wirft den Fans AfD-Rhetorik vor, Lucien Favre aber unterstützt das Schweigen der Fans. Haben Sie das erwartet?

Lucien Favre ist immer schon ein Freigeist gewesen, der sich gegen Autoritäten aufzulehnen wusste. Es zeigt, dass so jemand inzwischen komplett unabhängig von DFB und DFL agieren kann. Ähnlich wie die Vereine der 3. Liga, deren Respekt oder gar Angst vor dem Verband inzwischen gänzlich verschwunden ist. Es zeigt sich eine Götterdämmerung im deutschen Fußball mit Reinhard Grindel als bemitleidenswerter Figur, weil er sich seiner offensichtlichen Überforderung noch nicht einmal bewusst zu sein scheint.

In den Niederungen der deutschen Profiligen verweigern die Vereine den Anstoß. Es geht um die Regionalligareform. DFB-Präsident Reinhard Grindel wirft den Klubs ein kurioses Demokratieverständnis vor. Stimmen Sie dem ehemaligen CDU-Politiker zu?

Reinhard Grindel hat in seinem Leben nur eine kluge Entscheidung getroffen: Als er merkte, dass er als CDU-Hinterbänkler in der Niedersachsen-Landesgruppe weiter vor sich hin sitzen würde, wechselte er zum DFB, wo er deutlich mehr Plattformen zur Profilierung erhalten würde. Jedes weitere Wort über diesen Verwalter der vermeintlichen Macht wäre eins zu viel.

Schon wieder ein Sprung: Bayern-Fans bezeichnen Uli Hoeneß als Lügner. Hat Sie das überrascht?

Ich gratuliere dem bis dato vollkommen unbekannten Herrn in der Lederjacke zu seiner couragierten und pointierten Rede gegen die FCB-Großkopferten. Durch Menschen wie ihn wird unsere Demokratie glücklicherweise immer wieder aufs Neue bestätigt. Menschen mit ähnlichem Mut wünsche ich zukünftig auch wieder de CDU und SPD

Zusammengefasst: Dem Fußball geht es weiter beschissen. Er hechelt von Aufregung zu Aufregung. Gibt es überhaupt noch Heilung für den ewigen Patienten?

Von der Aufregung leben Sie als Power-Medium genau wie ich als Premium-Experte doch eigentlich ganz gut. Lassen Sie uns die Aufregung also regelmäßig anheizen, um sie im richtigen Moment wieder relativieren zu können. Letztlich machen wir das Spiel genauso mit, wie die Herren Infantino, Grindel oder Gottschalk: Der Unterschied mag sein, dass wir das längst erkannt haben und weniger abhängig sind.

Auch der europäische Fußballverband mischt mit. Die UEFA installiert in den kommenden Jahren eine weitere Europa League. Die Fußball-Elite reagiert mit Unverständnis. Nicht nur in Deutschland. Herr Dürr: Ich muss Ihnen sagen, mir geht dieses elitäre Gehabe auf den Sack! Fußball wird nicht nur in den großen Verbänden gespielt!

Ich teile Ihre Erregung. Ich bin seit Jahren ein Freund der kleinen Verbände. Mit haben rumänische Journalisten des dortigen Fernsehens in Bukarest sowie albanische Polizeipräsidenten in Laci schon häufiger den Arsch beim Groundhopping gerettet. Auch die Menschen dort haben mal das Recht, gegen ein Team aus einem großen Verband zu spielen. Und auch wir Fans freuen uns doch insgeheim, auch mal in das montenegrinische Hinterland fahren zu können, als zum 13. Mal die Rolltreppe im Bernabeu zu benutzen. Und auch die Kritik an der frühen Anstoßzeit 16.30 Uhr ist doch heuchlerisch. Es werden doch immer die seligen UEFA-Cup-Zeiten beschworen: In den 90er-Jahren ging es nach der Schule am TV mit einem Auswärtsspiel um 14 Uhr in Russland los, ehe um 22 Uhr nach fünf teils bizarren Übertragungen wieder ausgemacht wurde. Heutzutage würden gegen so eine Zerstückelung wochenlange Boykotte folgen!

Kritiker stoßen sich auch an der Abstiegsregelung. Am Ende, so brüllen diese Kritiker in jeden Kanal, profitieren doch wieder nur die großen Verbände. Können Sie wenigstens das unterschreiben?

Wenn man sieht, wie die Vertreter großer Verbände in den letzten Jahren in der Europa League die Spiele hergeschenkt haben, mache ich mir diesbezüglich keine Sorgen und hoffe auch zukünftig weiter auf so erfrischende Exoten wie die Mannen um BVB-Legende Marc-André Kruska aus Düdelingen.

Marc-Andre Kruska aus Castrop Rauxel. Eine große Stütze in einer Zeit, in der der BVB ohne Kohle in Richtung Abgrund rauschte. Jetzt sieht es anders aus. Kruska ist auf der eine Seite, der BVB auf der anderen Seite der Schere. Genau darin sehen die europäischen Ligen eine weitere Gefahr. So wie das Champions-League-Geld die großen Ligen zerrissen hat, so wird auch das Europa-League-Geld in den kleinsten Verbänden die Schere weiter aufgehen lassen. Eine gute Saison in Europa zementiere die Position in der nationalen Liga auf Jahre. Denken Sie mal drüber nach!

Das gilt ja nur so lange, bis ein Millionär aus Laos oder ein Getränkefabrikant aus Nicaragua einen beliebigen Fußballverband bzw. einen dortigen Verein als „Zukunftsmarkt“ identifiziert hat und die Millionen dort reinpumpt. Dagegen sind die Start- und Preisgelder aus der zweiten oder dritten internationalen Liga doch nur ein Furz im Wind.

Vor ein paar Wochen haben wir über die Super League philosophiert und was diese für den Fußball bedeuten wird. Jetzt gibt es auf europäischer Ebene bald drei unterschiedliche Ligen. Der irische Meister könnte sich theoretisch über die beiden unteren Ligen in die Champions League hocharbeiten. Werden nationale Ligen nur noch Beiwerk sein?

Die nationale Ligen werden immer im Fokus stehen. Persönlich liebe ich europäische Wettbewerbe aber, wo aus möglichst vielen Ländern Vertreter dabei sind. Denn – und das meine ich zur Abwechslung mal ohne Zynismus – in einem Europa, in dem immer mehr Politiker die Rückkehr zu den „Vaterländern“ fordern, freue ich mich auf jeglichen Austausch zwischen den unterschiedlichsten Nationen und Kulturen.

Exakt! Das Europa des Fußballs ist ein friedliches, offenes Europa. Ich liebe es. Kleinteiliger: Das Derby steht vor der Tür. Der BVB kann den Abstand auf Schalke auf 22 Punkte ausbauen. Nach dann 14 Spieltagen. Wer soll Favres Wunderteam überhaupt noch stoppen?

Ich persönlich habe Angst vor Guido Burgstaller.

Eine letzte Frage: Der Winter steht vor der Tür. Wovor haben Sie am meisten Angst, Herr Dürr.

Im arbeite im Sauerland. Im Winter ist jeder Morgen eine Lotterie hinsichtlich der Frage, ob ich auf Eis und Schnee rechtzeitig zur Schule komme.

Wir wünschen Ihnen viel Kraft.