Nur das Geräusch einer durchstartenden 737 im Landeanflug auf Tegel durchkreuzt die Stille. Wu hat sich längst weggedreht, JHS beschwört seine Modelle, Schill denkt an Hamburg und Dembowski schlägt die Arme über dem Kopf zusammen.
Langsam, ganz langsam segelt Callejons Ball in den Liverpooler Strafraum. In der Mitte strecken sich van Dijk, Fabinho und Matip vergeblich. Lovren stolpert. In Zeitlupe kontrolliert Milik den Ball. Erst will es nicht gelingen.
„It’s so mesmerizing, can’t describe it. All that inside, hey. No one’s heard his last name, I ain’t asked. So, who am I to blame? An earthquake started forming underneath my feet today.”
Milik steht jetzt wenige Meter vor dem Liverpooler Tor. Er legt sich Becker zurecht, der springt, der Pole schießt. Becker reißt sein Bein hoch. Der Ball prallt zurück ins Feld, Lovren klärt.
„Allison’s starting to happen. Allison‘s starting to happen. Allison’s starting to happen to meeeee!”
Der LFC ist der 19. Verein der ersten deutschen Liga. Becker aus Neu-Hamburg hat deutsche Wurzeln. Miriam Wu jubelt. Sie wird diesen Erfolg verkaufen können. Ein Traditionsteam made in GER! Für Wu ist Jürgen Klopp das Gesicht des Comebacks der Reds. Für Wu ist Thomas Tuchel das logische Gesicht des zynischen Erfolgsfußballs der Pariser Milliardentruppe. Und für Wu ist Lucien Favre der Zauberer, der die Bundesliga in eine neue Zeit führen wird.
Für Justin Hagenberg-Scholz ist der Erfolg Klopps die letzte Bestätigung. Seine Modelle liefern die wichtigsten Daten. Er hatte dieses Ergebnis vorausgesagt. Ein Blick auf das DID POWER RANKING reicht ihm.
Am Ende der Vorrunde stehen die ersten vier Teams des Rankings als Gruppensieger fest. Diese werden auch die KO-Phase dominieren. Liverpool eventuell Dortmund ersetzen.
Schill ist das alles egal. Kühne will endlich wieder in Hamburg investieren, sich vielleicht sogar mit Hannes Wolf treffen. Das findet er wunderbar. Kühne war immer da, wo oben war. Und Hamburg war jetzt ja oben. Kühne würde sie dann schon wieder nach unten drücken.
Nur Dembowski schweigt. Als Becker den Ball hält und auch 24 Stunden später. Als sich die Welt über Thomas Müller empört. Etwas bedrückt ihn.
Das Telefon klingelt am Donnerstag.
Niemand nimmt ab.
Wir finden Dembowski am kurzen Ende der Soldiner Straße. Er friert.
Herr Dembowski, ein Foul geht um die Welt. Thomas Müller tritt Ajax-Spieler mit voller Wucht gegen den Kopf. Was stimmt mit diesem Menschen nicht? Das ist hochgradig kriminell.
Jetzt kommen Sie mal runter. Wollen Sie Thomas Müller Absicht unterstellen?
Selbstverständlich. Dieser Spieler ist nicht bekehrbar, nicht sozialisierbar. Fußballerisch zumindest. Dieses Foul war Körperverletzung, sonst nix!
Jetzt zitieren Sie Marcel Reif aus dem Jahr 2009. Was damals bei Boateng nicht richtig war, wird hier nicht besser. Kommen Sie endlich runter. Thomas Müller ist alles, nur kein brutaler Fußballer. Thomas Müller ist nicht witzig, Thomas Müller ist arrogant, Thomas Müller steht für viele Dinge, die man als Nordlicht an Bayern verachten kann. Aber er tritt doch niemanden mit Absicht krankenhausreif.
Das habe ich so nicht gesagt.
Das haben sie gesagt. Körperverletzung. Hochgradig kriminell. Das ist doch grober Unfug. Müller hat seine besten Jahre hinter sich. Darauf würde ich mich einigen wollen. Er hat die Situation komplett falsch eingeschätzt. Er ist nicht mehr der Raumdeuter, er hat sein Vororientierung verloren. In der Situation kommt er einfach zu spät. Müller hat alles verloren, was ihn einst stark machte. Jetzt auch noch den Respekt der gegnerischen Fans. Ihm lag die Welt noch 2016 zu Füßen, Ende 2018 ist er nur ein Name aus einer goldenen Vergangenheit. Er steht zum Abschluss dieses seltsamen Jahres sinnbildlich für die Orientierungslosigkeit des FC Bayern.
Glauben Sie Thomas Müller, Herr Dembowski?
Ja.
Sie haben es angesprochen. Ein seltsames Jahr.
Am Ende halten wir uns aber doch wieder an der Traumfabrik Fußball fest. Wissen Sie was?
Nein, Herr Dembowski!
Die Schmerzen hören nicht mehr auf. Die Angst macht mich fertig.
Im Sommer hatten Sie keine Angst mehr.
Das stimmt. Aber alles ist entglitten. Ich bin wieder da draußen. So allein. Sprachlos. Ich bin schwach. Neulich habe ich für Pit gearbeitet.
Ich mache mir Sorgen um Sie.
Reden wir doch von den schönen Dingen.
Marko Grujic führt Hertha BSC zurück in die Europapokalränge.
Grujic ist ein Genie. Jetzt ist er wieder verletzt. Als ich Samstag aus dem Stadion bin, sah ich überall Blaulichter, Sanitäter, Verzweiflung. Ich bin dann weiter. Jemand war zusammengebrochen, stand nicht mehr auf. Mit 37.
Borussia Dortmund gewinnt das Derby.
Kevin Großkreutz verhält sich im Anschluss wie ein Vollidiot. Hat der wirklich komplett den Verstand verloren? Verstrickt sich dann in Widersprüchen. Vorher fordern Schalker Fans „Tod dem BVB!!! Freiheit für Sergej W.“
Das ist Derbyfolklore. Richtet sich nicht einmal gegen eine konkrete Person.
Der Anschlag richtete sich auch nicht gegen konkrete Personen, sondern vielmehr gegen das Betriebsvermögen des BVB.
Ein Urteil wurde gesprochen, Aki Watzke sah im 2:0 Sieg bei Monaco ein versöhnliches Ende der 20-monatigen Leidenszeit.
Fußball ist so schnelllebig. Es war ein seltsames Jahr. Peter Stöger rettet die Borussia, wird von allen vom Hof gejagt. Die Vereine, die Anfang 2018 oben waren, stehen nun unten. Bayern, wir sprachen über die. Schalke, die sich wieder als das alte Schalke präsentieren. In schlechten Zeiten ist Christian Heidel der Gebrauchtwarenhändler, in guten Zeiten der Trainerentdecker. Das wird er nicht mehr loswerden. Schalke wird sich von ihm trennen. Vielleicht hat er sich übernommen. Am Ende bekommt der Verein dort noch die besten Leute klein. Dabei sind sie einer der wichtigsten Klubs des Landes. Die Schalker Meile ist ein Sehnsuchtsort für so viele Menschen. Ich mag die.
Sie sind BVB-Fan.
Ich kann das trotzdem respektieren. Ich habe doch Augen. Ich sehe, was der Fußball den Menschen dort bedeutet. Das bewundere ich.
Gerade noch haben Sie die Schalke-Anhänger angegriffen, jetzt bewundern Sie die.
Ich fand diesen Spruch beschissen, eine Kategorie über den „Tod und Hass“-Gesängen. Aber wir können doch mal differenzieren. Das war eine Gruppe.
Lassen Sie uns über Arjen Robben reden. Er wird seine Bundesligakarriere beenden.
Und mit ihm wird einer der größten Spieler der Bundesligageschichte gehen.
Er war ein Schwalbenkönig.
Jetzt lassen Sie mich doch ausreden. Bei Ihnen bleiben vielleicht die Schwalben hängen. Wenn ich an Robben denke, denke ich an die unzähligen Rückschläge in den ersten Jahren hier in Deutschland. An seinen Lauf im WM-Finale 2010, an die verschossenen Elfmeter 2012, die Verletzungen und wie er sich da rausgeholt hat. Mit seinem Tor 2013, mit seiner Dominanz auf und seiner Bescheidenheit neben dem Platz. Robben war Bayerns vorweggenommene Antwort auf Marco Reus. Ich werde ihn vermissen.
Am vergangenen Wochenende wurde das Finale der Copa Libertadores in Madrid ausgetragen.
Das Ende einer einmonatigen Farce. Gewalt, Staatsversagen und Korruption. Wie immer getarnt als Leidenschaft, echter Fußball und was weiß ich. Die, die hier bei den Football Leaks aufjaulen. Die, die hier jede Kleinigkeit im politischen Tagesgeschäft zum größten Skandal der letzten Jahre hochjazzen, betrachten alles, was dort passiert als gottgegeben. Ist es aber nicht. Mehr kann ich dazu auch nicht sagen. Ich habe es mir nicht angeschaut. Aus den oben genannten Gründen.
Auch die Bundesliga wird Woche für Woche von einer Welle der Gewalt erschüttert.
Sie müssen träumen.
Haben Sie nicht das Interview mit Heike Schultz gelesen? Die Leiterin der ZIS stellte sich dem Neuen Deutschland.
Habe ich gelesen. Das Interview ist komplett aus dem Ruder gelaufen. Die Antworten werden kürzer, die Fragen länger. Irgendwann ist die Rede von einem „zunehmend verbal hochaggressiven Mob.“ Schultz redet da über Fußballfans, nicht über das Internet. Muss man sich mal vorstellen.
Fußballfans sind…
…keine Verbrecher…
…immer auch ein Spiegel unserer Zeit.
Das Internet auch.
Das gibt es erst seit ein paar Jahren.
Und in der Zeit sind da komplett rechtsfreie Räume entstanden. In denen bewegen wir uns ständig. Gibt trotzdem keine Datei „Gewalttäter Internet“ und Internetverbot wegen Beleidigung.
Es werden User gesperrt.
Erzählt man sich.
Dem Internet geht es nicht gut. Auch den Sportplattformen dort nicht. In England stellt Eleven Sports nach nur 4 Monaten seinen Dienst ein. 50,000 Abos waren zu wenig. Die spanische Liga wird in England erst einmal nicht mehr zu sehen sein.
Es wäre ganz interessant zu erfahren, wieviel Abos DAZN bereits vertickt hat. Ob sich das rechnet. Die sind nicht nach England gegangen. Dort erdrückt die Premier League ohnehin alles. Und hier ist es doch nicht anders.
Die Premier League erdrückt alles?
Nein. Verdammt. Es interessiert doch niemanden mehr. Richtiger Fußball ist nur noch in den Nischen sichtbar. Nur die Skandale dringen an die Oberfläche. Am Ende wird sich das erschöpft haben. Dann hat sich der Fußball erledigt. Von innen frisst die Popularität den Fußball. Haben wir schon 100x besprochen. Deswegen schlagen wir uns mit der New World Order rum. Sie erinnern sich: „Immer auch ein Spiegel unserer Zeit!“
Jetzt äffen Sie mich nach!
Ich erinnere Sie an Ihre Worte. Und! Spiegel der Zeit: Von außen sind es die Anforderungen unserer Tage: Das schnelle Konsumieren, die Gier nach Geschichten und Skandalen, die Digitalisierung, dieses „in den Stand einer Religion heben“, das wir seit Jahrzehnten betreiben. Alles soll so sein, wie es immer war. Aber nichts ist mehr, wie es früher war. Schauen Sie auf mein Bier! Schulle! Früher haben das alle getrunken!
Bitte nicht schon wieder diese Craft-Beer-Nummer!
Was auch immer: Der Fußball muss Antworten finden. Will er überleben, werden diese Antworten nicht allen gefallen. In dieser Phase sind wir jetzt.
Was sollen das für Antworten sein?
Ich habe keine Antworten.
Ende Dezember wird der Ermittler des Jahres gewählt. Machen Sie sich Hoffnung?
Nein. Ich habe keine Hoffnung mehr.
Herr Dembowski! Eine letzte Frage: Wie geht es Dörte?
Gut. Koi auch.
Wir danken Ihnen für das Gespräch.
Ich Ihnen auch.
Wir sind keine Therapeuten!
Das weiß ich. Trotzdem: Muchas gracias, dd!