Lange war es still um Dietfried Dembowski, dem Ermittler der Herzen. Der Sommer ist nicht die Zeit für Ermittlungen. Der Sommer ist die Zeit für Schulle am See. Und die hat er sich schmecken lassen und immer mal wieder ein Auge auf den Fußball geworfen. Die Sorge um das Spiel treibt ihn um. Er kann nicht anders.

Wir treffen Dembowski auf der Außenterrasse des Soldiner Ecks. Hauke Schill serviert frisches Schulle aus der Flasche, Johan Rottenberg spielt neue Stadionmodelle durch, Justin Hagenberg-Scholz analysiert federführend für Schalke-Boss Jochen Schneider die Stärken und Schwächen sämtlicher ablösefreier Spieler über 35 und Miriam Wu kann sich vor Anfragen überhaupt nicht retten. „Die Bundesliga“, sagt die Internationalisierungsikone, „wird sich in den nächsten Jahren zur bekanntesten Liga der Welt hochschwingen. Sie verbindet sportlichen Erfolg mit Vernunft und einem erstaunlichen Gespür für die Schwingungen dieser hochkomplexen Zeit.“

Dietfried Dembowski sieht es anders. Er nimmt einen großen Schluck Schulle, lässt Bowie ausreden und steht dann bereit für das DID-Gespräch.

 

Hallöchen!

Das ist ja mal eine freundliche Begrüßung. Bin gerne wieder im DID-Gespräch.

Dann sind Sie überhaupt mal wieder im Gespräch.

So kann man das auch sehen. Hab jetzt nicht den besten Run der Geschichte. Aber wie Sie gesehen haben: Dem DID geht es trotzdem gut. Wir sind neulich zur Agentur des Jahres gekürt worden. Das ist ein guter Start in die neue Saison.

Blicken wir noch einmal auf die alte Spielzeit, Herr Dembowski.

Die auch erst vor einer Woche beendet wurde. Die Pandemie hat alles durcheinandergewirbelt. Schon verrückt. Da spielen die in Frankreich bereits die neue Saison aus, steht der größte Verein des Landes noch im Endspiel der 2019-2020er Spielzeit. Das ist irre.

Das Endspiel haben sie verloren. Gegen überragende Bayern. Ihre Meinung?

Flick wird Welttrainer des Jahres. Das hätte Klopp sich im Januar auch nicht ausgemalt. Dann kam alles anders und die Transformation nach der Coronapause war unbedingt beeindruckend. Diese Körperlichkeit der Bayern. Die komplette Abkehr von Pep. Aggressiv, mit Tempo und diesem unbedingten Willen, dieser Gier nach dem Titel. Das war fantastisch. Das habe ich gerne gesehen.

Erstaunliche Worte aus Ihrem Mund.

Sie haben mir das Wort vor dem „Aber“ abgeschnitten.

Das wollten wir nicht.

Aber ich habe nichts dabei gespürt. Aus zwei Gründen glaube ich das dieser Titel bedeutungslos ist.

Steile Thesen? Legen Sie los.

Ich habe darüber viele Stunden verbracht, mich gefragt, was mit mir und wahrscheinlich noch vielen anderen Fans des Spiels passiert. Dazu müssen wir in den Mai zurückgehen. Re-Start der Liga, leere Ränge, notgedrungen natürlich, Bayerns unglaubliche Dominanz, die einbrechenden TV-Quoten. Was ist da passiert? Das Spiel hat 3 Dimensionen: Das Spiel, der Wettbewerb, die Tribünengeschichten. Die Bundesliga aber war eindimensional. Sie hat sich ausschließlich auf das Geschehen auf dem Platz konzentriert. Alles drumherum existierte nicht mehr. Der Wettbewerb an der Spitze ist aus dem Denken der Liga komplett verschwunden, leere Ränge erzählen keine Geschichten, da blieben uns nur die Beobachtungen zum Spiel. Das ist zu wenig.

In Lissabon gab es Wettbewerb. Lyon, Leipzig, Atalantas heroischer Kampf.

Das ist richtig. Es gab eine zweite Dimension. Trotzdem dachte ich jederzeit an Blatters Vision von einem Turnier auf einem anderen Planeten. So fühlte sich das an. Dieses Turnier wurde nicht in Lissabon ausgetragen, sondern auf dem Mars. Die Spieler lebten in ihrer eigenen Welt, ein paar Berichterstatter waren angereist, mussten sich im Vorfeld auf einen Verein festlegen. Egal. Ich schweife ab. Das waren große Spiele mit dem größtmöglichen Resultat, der 2:8 Pleite Barcelonas, dem Ende der Messi-Jahre. Aber es waren Spiele ohne Herz. Die Fans konnte die Erfolge durch Instagram leben. Erschreckend.  Wir wissen alle, dass dies nicht genug ist.

Fußball ohne Fans ist also nichts. Das hätten Sie auch mit weniger Worten sagen können.

Ich bin kein Mann weniger Worte. Und ich komme jetzt zum zweiten Grund.

Worum ging es nochmal?

Der Bayern-Titel. Bedeutungslos. Zwei Gründe. Da haben wir, Grund 1, das Turnier auf dem Mars, und nun kommt der Fakt hinzu, dass alles komplett entkoppelt ist. Stellen Sie sich das mal vor. Auf dem Mars holen die Bayern also das Triple und zuhause in München explodiert die eigene Akademie, der hochgelobte Campus. Ein Trainer wird nach Rassismusvorwürfen gegen ihn relativ still entlassen und wohl überhaupt nur durch öffentlichen Druck. Dazu wehrt sich ein Fan vor Gericht gegen ein Stadionverbot, das so nicht haltbar scheint und eventuell mit der Kritik an einem der Sponsoren zusammenhängt.

Sie haben sich da wieder etwas ausgedacht, Herr Dembowski!

Da wären wir wieder beim Finale. Nichts hängt mehr mit irgendwas zusammen. Es gibt keinen Platz mehr, diese Zusammenhänge ins Stadion zu tragen und sie über diese Plattform zu verhandeln. Es ist verschwunden. Der Fußball ist ein flaches Spiel geworden. Deswegen ist alles, was mit ihm zusammenhängt aktuell bedeutungslos, pures Entertainment, am Ende so schnell vergessen wie die Handlung der vierten Staffel einer Serie, die niemanden mehr bewegt. Am Ende gewinnen die Bayern, am Ende überlebt der Protagonist. Denn die nächste Staffel ist bereits in Auftrag gegeben. Fußball ist wie Netflix und den Mist habe ich schon lange gekündigt.

Sind Sie sauer auf Angela Merkel, Herr Dembowski?

Wieso?

Weil Sie die Fans nicht ins Stadion lässt.

Frau Merkel nennt die Pandemie eine „demokratische Zumutung.“ Sie wird andere Sorgen haben. Die Fans werden zurückkehren. Aber die Leidenschaft wird ihnen fehlen. Das Publikum ist über die Jahre zu alt geworden, das Spiel zu vorhersehbar. Wir werden es weiter schauen, aber es wird uns nicht mehr abholen. Es wird ein Angebot und keine Pflicht mehr sein. Das ist schade.

Vielen Dank für das Gespräch. Auch wenn Sie uns mit wenig Hoffnung entlassen.

Dafür nicht, denn dafür bin ich da.