Berlin, Gesundbrunnen. Die Eingangstür zur Soldiner Straße 15 lässt sich nur mit einer mehrstelligen Zugangsnummer öffnen. Rollkoffer rattern über Kopfsteinpflaster. Doch hinter der Tür verbirgt sich ein dunkles, zugiges Treppenhaus. Jemand hat „Endstation Berlin“ an die Wand geschrieben. Im vierten Stock versperrt ein Gittertor die letzten Meter bis zur letzten Wohnung, die eine ganze Etage einnimmt. Wer hier lebt, der lebt in ständiger Angst.

Hier wohnt Dembowski, der Mann hinter DID, der in der vergangenen Woche beinahe Blogger des Jahres geworden wäre. Doch der Tag der Preisverleihung wurde zu einem großen Albtraum. Es war eine vernichtende Auslöschung in drei brutalen Akten. Als habe er nie existiert.

Und richtig: Lange galt er als Phantom, doch seit einigen Jahren hält er die Fußball-Welt mit seinen Enthüllungen in Atem. In genau 1.000 Episoden berichtet er im Netz nun über sein Leben als Ermittler.

Dabei hat er nie Rücksicht auf Namen genommen. Seine Texte an der unwirklichen Grenze zwischen Wahrheit und Fiktion geben Einblicke in eine uns sonst unbekannte Welt. Der Ermittler legt den Finger in Wunden, von deren Existenz wir ohne ihn nie gewusst hätten. Dembowskis Welt glitzert nicht, sie ist karg und kalt. Er sagt nicht, was ist. Er sagt, was er sieht.

Dembowski öffnet das Gittertor. Er lächelt verlegen. Aus der Wohnung hören wir Always On The Run. Der Ermittler ist auf der Flucht und dies ist seine Heimat, sein Rückzugsort.

Woche für Woche treffen wir Dembowski, um mit ihm über den modernen Fußball zu reden. Meist am Telefon, manchmal im Soldiner Eck, noch nie an seinem Zufluchtsort.

„Hat es Dembowski nicht ausgesprochen, hat es keinen Wert“, erzählt man sich in Branchenkreisen hinter vorgehaltener Hand. Er macht aus Tuschel-Themen harte Fakten. Er sitzt in einer Wohnung, die größer nicht sein könnte. Fünf Zimmer, zwei Badezimmer, eine große Küche, Dachterrasse.

Seit drei Jahren lebt er hier. In der Regel ist nie länger als zwei Tage in einem Zimmer. Wenn es ihm zu viel wird, geht er ins Soldiner Eck. Doch jetzt sehen wir Justin Hagenberg-Scholz. Der Datenexperte sitzt in einem anderen Raum vor fünf Monitoren. Zahlen rauschen über sie. Manchmal stoppt er. Dann hat er etwas gefunden. Er sitzt auf einem Plastikstuhl. Das Wasser tropft von der Decke. Es ist Winter. Dembowski legt noch einmal Holz in den Ofen. Auf dem Plattenspieler fadet Always On The Run langsam aus. In der Küche flackern die Nachrichten aus aller Welt über vier gigantische Flat-Screens. CNN, RT, Sky Sport News HD, N24.

“Ich muss immer wissen, was ist”, sagt Dembowski.

Wir beginnen unser Interview. Wir reden über Dembowskis Leben und aktuelle Entwicklungen im Fußball.

Herr Dembowski, waren Sie ein guter Schüler?

Am Anfang hatte ich einen Vorsprung, weil ich schon mit drei Jahren lesen und schreiben konnte?

Wer brachte Ihnen das bei?

Ich mir selbst. Und zwar beim Fußballgucken. Ich habe mir ständig alle Spiele angeschaut. Damals war das noch eine andere Zeit, aber meine Eltern unterstützen mich. Sie schafften aus allen Ländern VHS-Tapes herbei. Erst zeichnete ich die Spielszenen, dann schrieb ich einzelne Wörter. Die Namen der Schiedsrichter, die der Kommentatoren. Dann die Ergebnisse, den gesamten Spielverlauf. Damals schon zweisprachig. Englisch und Deutsch.

Was hat das mit Ihnen gemacht?

Ich habe dann meine ersten Datenbanken entworfen. Simple Statistiken und Prognosen. Wer gegen wen in welcher Formation angetreten ist, wie der Spielverlauf diese verändert hat und was man daraus lernen konnte.

Wie alt waren Sie da?

Damals war ich noch jung. Vielleicht 5. Ich habe erst mit einem C64, später mit einem Amiga 500 gearbeitet. Die Analysen wurden immer präziser, die Daten immer genauer. Sie bilden noch heute den Grundstock für das weltbekannte DID POWER RANKING.

Mochten Sie die Schulzeit?

Ich wusste, dass sie irgendwann enden wird. Damals war ich, wie gesagt, noch jünger. Ich wusste, je älter ich werde, umso besser sind die Chancen, die Schule verlassen zu können. In manchen Fächern war ich gut, in anderen Fächern nicht so. Ich habe viel Fußball gespielt. Den Ball gegen die Wand getreten. Ich war ja immer ein Außenseiter, ein Rebell im CocaCola-Hinterland. Manchmal habe ich auch etwas gesagt. Dann gerieten die Dinge schnell außer Kontrolle. Weil ich nur auf die Konfrontation geschaut habe. Bis heute.

Später wurden Sie Ermittler. Woher rührt Ihr Interesse?

Wissen Sie: Ich habe nichts gelernt. Und Ermittler ist kein geschützter Beruf. Wenn man die Welt aber verstehen will, muss man die Dinge ermitteln. Das habe ich getan. Denn Menschen machen Fehler. Schon immer. Diese halte ich denen dann vor.

Sie haben dann noch viel später den DID gegründet. Betrachten Sie sich als Journalist?

Ich betrachte mich nicht als Journalist, sondern als Bürger, der im öffentlichen Interesse handelt. Meine einzige Absicht ist es, interessante Ansätze zu liefern, die der Presse verborgen bleiben.

Können Sie uns sagen, wie Sie an diese 1.000 Ansätze gekommen sind?

Ich habe eine spontane Bewegung für Gedankenanstöße in der Fußballindustrie gegründet. Ich bin also nicht der Einzige, der daran beteiligt ist. Im Laufe der Zeit sind immer neue Bürger hinzugekommen. Aktuell reden wir da von Justin Hagenberg-Scholz, Miriam Wu, Hauke Schill, Malte Dürr und Rüdiger Rabe.

Gibt es diese Personen wirklich. Sie wirken ausgedacht?

Hagenberg-Scholz sehen Sie hier im Nebenraum. Miriam Wu war gerade erst in China. Hauke Schill dürfte Ihnen auch bekannt sein. Da haben Sie Ihren Beweis.

Vor einigen Jahren haben Sie mit Dörte und Koi auf einer Lamafarm gelebt. Was können Sie uns dazu sagen?

Dembowski steht auf, schnappt sich eine neue Flasche Schulle aus dem Kühlschrank. Er blickt nervös auf die Uhr. Die Frage beantwortet er nicht. Stattdessen legt er eine neue Platte auf. Ton Stein Scherben. Alles verändert sich. Er singt: „Alles verändert sich, wenn Du es veränderst. Doch Du kannst nicht gewinnen, solange Du allein bist.“ Er sagt: „Die deutschen CCR. Ich bewundere sie so hart.“ Die Vergangenheit hat den Ermittler fest im Griff. Aus dem Nebenraum ruft Justin Hagenberg-Scholz: „Dietfried. Ich habe die Lösung!“ Er antwortet: „Die gibt es nicht!“

Justin wohnt jetzt hier. Die Dinge sind kompliziert. Die Sache mit Wu belastet uns alle. Gerade auch Berenice. Justin fängt jetzt wieder beim Robert-Koch-Institut an. Er braucht die Kohle jetzt. Er ist ein Mann von Weltruf. Wo waren wir noch?

Marco Reus versagt in Frankfurt. Setzt der BVB so die Meisterschaft aufs Spiel, Herr Dembowski?

Der BVB hat 7 Punkte Vorsprung. Auch weil Reus trifft.

Er hat zu viele Großchance vergeben.

Andere Spieler kommen erst überhaupt nicht zu diesen Chancen. Reus steht für den BVB dieser Saison. Immer gefährlich, immer hungrig und manchmal unfertig. Das sind Entwicklungsschritte. Dafür sieht es in der Tabelle doch ganz gut aus.

Marcel Schmelzer flog aus dem Kader. Ist seine Dortmunder Zeit vorbei.

Der BVB hat einen großen Kader. Favre muss angeschlagene Spieler nicht in diesen berufen. Aber es stimmt schon: Für Schmelle wird es nicht einfacher. Zeit, sage ich immer, wartet auf niemanden. Anders als Piszczek war Schmelzer immer ein Systemspieler, der komplett von seinen Mitspielern abhängig ist. Und das passt gerade nicht. Ich bin gespannt, wie man das in Dortmund lösen wird.

Kagawa wurde nach Istanbul abgeschoben.

Das ist aber ein anderer Sachverhalt. Schmelzer wird jetzt ausgepfiffen. Ihm hängen die letzten Jahre immer noch nach. Vielleicht wird er sich nie von der Vergangenheit lösen können. Er ist jetzt in einer unangenehmen Lage. Es ist sein Verein, und doch wird er langsam abgestoßen. Deswegen bin ich gespannt. Kagawas Ende war absehbar. Große Emotionen weckte das nicht mehr. Er ging eigentlich schon 2012.

Bayern verliert in Leverkusen.

Das konnte man vorher bereits in unseren Modellen lesen. Leon Bailey wird einer der Starspieler dieser Rückrunde. Unter Herrlich hat er sich komplett unter Wert verkauft, jetzt hat unter Bosz seinen Platz im System gefunden. Er wird schon bald erneut auf Bayerns Radar aufschlagen. Spätestens nachdem Callum Hudson-Odoi an der Stamford Bridge einen neuen Vertrag unterzeichnet hat. Also: Kam nicht überraschend der Sieg. Es sind zutiefst biedere Bayern, die mit dem Zufall Bande spielen wollen. Das kann aber auf dem höchsten Niveau nicht klappen.

Wenn wir über die Bayern sprechen, müssen wir auch über Katar sprechen. Der deutsche Vorzeigeverein holt sich für das Trainingslager der Damenmannschaft Herz und Hirn an Bord. Christian Katar berichtet als erster Blogger überhaupt über die Bemühungen des Vereins. In den sozialen Netzwerken wird er dafür angefeindet. Ein Medienjournalist nannte es gar „Embedded Blogging.“

Nun. Was wir bislang von Christian lesen durften, kommt dieser Formulierung recht nahe. Aber es gibt auf dieser Welt kaum mehr schwarz, kaum mehr weiß. Es gibt nur das große Dazwischen, was niemand mehr ausleuchten will. Dieser riesige Raum zwischen sich entfernenden Punkten wird nur an den Rändern überhaupt noch von den riesigen Leuchtstrahlern der Extreme erreicht. Im Dazwischen ist es dunkel.

Das sind schöne Ausführungen, Herr Dembowski. Aber die haben mit dem Thema wenig zu tun.

Lassen Sie mir doch ein wenig Zeit. Ich hole aus. Ich will mich diesem Thema annähern. Und Sie mit meiner kleinen Taschenlampe durch dieses riesige Dazwischen führen. Das ist meine Lebensaufgabe. Darin gehe ich auf. Im Dazwischen laufe ich nicht Gefahr, auf andere Menschen zu stoßen.

Kommen Sie endlich zum Punkt, Herr Dembowski! Die Leser langweilen sich mit Ihrer miserablen Küschentischphilosophie.

Es gibt keinen Punkt. Christian Katar wird sich dazu äußern. Dann werde ich mich dazu äußern. Bislang wirkt es natürlich schon so, als habe er sich einspannen lassen. Aber warten wir das doch einfach ab.

Katar spielt auch in Europa eine große Rolle. Mit PSG-Ikone Nasser Al-Khelaifis Berufung ins Exekutiv-Komitee haben sie nun auch in der UEFA an Einfluss gewonnen.

Jetzt wächst zusammen, was schon länger zusammengehört. Ich habe damit kein Problem. Jetzt kann gegen sich ermitteln. Ich habe aber auch keine Hoffnung, dass sich am Wertesystem des Fußballs etwas ändern wird.

John hätte die Welt verändern können.

Rui Pinto? Nein. Es blieb bei seichter Lektüre an der kritischen Grenze zwischen Erfindung und Wahrheit. Auch hier möchte ich abwarten. Die Geschichte wirkt auf mich in manchen Teilen erfunden. Aber die Dokumente waren echt. Kalle schreibt jetzt wieder Briefe. Aber wer wirklich dahintersteckt? Das kann niemand sagen. Es gibt einige Anhaltspunkte, dass Rui Pinto den Spiegel belogen hat oder der diese Lügen in Kauf genommen hat. Das erschüttert für mich die Glaubwürdigkeit des Whistleblowers. Aber damit steht und fällt die Geschichte.

Sprechen wir zum Abschluß noch kurz über das Fallen.

Gerne. Manchmal falle ich im Schlaf und meine Beine sind wie gelähmt. Nichts kann mich mehr halten. Ich stürze und stürze in eine unendliche Tiefe.

Auch Schalke fällt ins Bodenlose.

Exakt. Christian Heidel tut mir leid. Jeden Tag erhält er aus England 10 bis 20 Anrufe. Alle wollen im Spieler andrehen. Der Markt dort sei nämlich kollabiert. Das glaube ich nicht. Die haben halt viele Spieler, aber mit Sicherheit keine finanziellen Probleme. Heidel müsste sich fragen, warum man ihm wieder diese Spieler andrehen will. Vielleicht muss man es so denken. Eine andere Sache hat mich stutzig gemacht.

Welche?

Heidel sprach davon, dass nur sehr teure Spieler das Leistungsniveau der Mannschaft hätten heben können. Dass es einen anderen Weg gibt, zeigt der bewundernswerte Fredi Bobic seit einigen Jahren in Frankfurt. Schalke muss wieder auf Augenhöhe mit Frankfurt kommen. Sie müssen sich von allen anderen Ideen verabschieden. Wieso kauft man Matondo, wenn man kein Geld hat? Eine 10-Millionen-Wette. Die Kohle für diese Wetten ist aber aktuell nicht da. Passen die nicht auf, werden die Schalker zum neuen HSV. Das aber will niemand.

Sie sprachen Matondo an. Nur einer von zahlreichen England-Youngstern in der Bundesliga.

Das stimmt. Sie erhöhen die Sichtbarkeit der Liga. Interessant in diesem Zusammenhang: Ralf Rangnick gestand erst am Wochenende: Mit dem BVB-Gesamtpaket kann niemand mithalten. E sagte: „Wir sind uns ja oft begegnet, weil wir im selben Teich gefischt haben. Dann ist es am Ende für uns schwierig. Angefangen beim Stadion, der Zuschauerzahl. Dann geht ein junger Spieler eben mal eher zu Dortmund.“ Aber auch egal. In ein paar Jahren werden die Engländer wieder in ihrer Liga spielen. Dieser Hype hat keinen Bestand. Einen Sancho kann man sich nicht schnitzen.

Wir würden gerne noch über den VAR reden.

Machen Sie das, aber ohne mich. Meine Meinung hat sich nicht geändert. Der VAR bleibt eine Problemverlagerung. Mehr nicht.

Wir danken Ihnen für dieses Interview und gratulieren noch einmal zum Jubiläum.

Dafür nicht.

Dembowski steht auf, greift sich sein sechstes Schulle. Er legt die Beach Boys auf. „Justin, auf zum Westhafen!“