Wir treffen Dietfried Dembowski an den Spundwänden des Mittellandkanals. Er ist nachdenklich. Immer wieder wandern seine Gedanken in Richtung Kranichfarm.

Dort, sagt er, wartet Koi auf ihn. Seinen Karpfen vermisst er mehr als alles andere auf der Welt. Es sind diese stillen Gespräche, die den Ermittler geprägt haben. Er hat sich verändert. Dembo, wie ihn die ihm noch verbliebenen Freunde nennen, nimmt noch einen Schluck Wasser und dann redet er.

Aus der Ferne erklingt ein alter Abgesang.

 

Hallo, Herr Dembowski!

Lange Zeit nicht gesehen, was?

Wir wollen Antworten und keine Fragen. Deswegen wollten wir Sie nicht sehen. Sie stellen dumme Fragen. Das aber ist unsere Aufgabe.

Okay für mich. Worum soll es heute gehen?

Die Bundesliga ist zurück.

Und hat sich nach wenigen Minuten direkt wieder abgeschafft. Das war schon arg peinlich, was die beiden Mannschaften dort auf das Spielfeld der Allianz Arena gezaubert haben.

Die Bayern waren wunderbar, Herr Dembowski.

Sie waren Kannibalen. Und haben für die Liga nichts übriggelassen. Das sind keine Neuigkeiten.

Schalke hat versagt.

Das sind keine Neuigkeiten. Die Kombination war traurig für den gesamten Fußball.

Auf der Tribüne saßen die Klubbosse dichtgedrängt nebeneinander.

Wo ist das Problem?

Die Bilder sind das Problem.

Für mich nicht. Wir müssen sparsamer mit diesen Dingen umgehen. Mir kommt es so vor, als ob wir den ganzen Tag nur auf die Fehler der anderen lauern. Das ist sehr mühsam. Gehen Sie doch einfach davon aus: Von diesen 10 Personen ging keine Gefahr aus. Zumindest mit Blick auf die Pandemie.

Clemens Tönnies war auch im Stadion.

Ein fatales Signal. Der Verein will sich nicht vom Schweinebaron lösen. Schalke wird in dieser Saison absteigen. Das zeigen alle Modelle, die ich in den vergangenen Wochen mit Justin Hagenberg-Scholz ausgewertet habe. Eine Studie dazu liegt auch bereits auf einem Preprint-Server. Vielleicht finden Sie die ja?

Robert Lewandowski stand neben sich. Der Spiegel enthüllte am Spieltag einen Steuerskandal.

Und in Pankow brannte zeitgleich eine Lagerhalle aus.

Ist das noch Zufall, Herr Dembowski?

Natürlich nicht. Den Skandal habe ich schon wieder vergessen. Das ist ein persönlicher Rachefeldzug. Das interessiert nicht. Wir waren da vor 18 Monaten dran. Es ist ohne Substanz.

Wie haben Sie den Auftakt erlebt?

Für mich ging es in die Alte Försterei zum Abstiegsduell Union Berlin gegen FC Augsburg. Ich habe mich über die glücklichen Gesichter der Fans gefreut. Sie waren wieder zuhause. Gute Stimmung da, trotz der 1:3 Niederlage gegen Augsburg. Sportlich geht es da klar in Richtung zweite Klasse. Eine ideenlose Mannschaft, die aus sich heraus Kraft schöpft. Es erinnerte an die Auftaktniederlage gegen Leipzig im vergangenen Jahr. Nur hieß der Gegner in diesem Jahr Augsburg. Später gab es dann Stimmungs-Diskussionen. Das sei alles nichts gewesen. Der Support unterirdisch. Was erwarten diese Menschen? Das war angemessen.

Waren Sie noch bei einem Spiel?

Tags drauf in Leipzig. Perfekt organisiert. Sechser Blöcke. Zwei Reihen davor, zwei Plätze daneben frei. Den Schal raus und sich dann mit Tim Thoelke in totaler Ekstase verlieren. Das ist eine seltsame Parallelwelt dort in Sachsen. Haben dann gewonnen. Und sind sicher alle ausgerastet. Aber das lässt mich einfach kalt, da fühle ich nichts. Keine Sympathie, kein Hass. In Leipzig ist Fußball eine Ware. Mit der wird gehandelt, weil die Geschichten, die das Spiel erzählt, so begehrt sind. Das merkt man aber auch an jeder Stelle.

Wie lautet Ihr Fazit der beiden Stadionbesuche?

Die Stadien haben ihren Charakter in dieser Pandemie nicht verloren. Es ist egal, wie viel Fans am Ende da sein werden und ob die Ultras da sind oder nicht. Die Stadien haben eine Seele, die sich in diesem kurzen Zeitfenster der Teilzulassung wieder zeigt. Das hat mich fasziniert. Auch wie die Gesänge in Leipzig, die es ja gab, denn auch leere Seelen können singen, sich langsam im Hall auflösten. Sie wirkten wie ferne Rufe aus einer weit entfernten Zukunft, wie ein Echo aus unbeschwerten Februar-Tagen.

Union Berlin macht sich nun verdient um die Rückkehr der Fans. Ein Testlauf ohne Abstand und ohne Masken ist bereits für den 25. Oktober geplant.

Der Populismus der Unioner Führungsriege ist nicht zu ertragen. Zingler und Co werfen Ideen als Handgranaten in den Raum und schauen, welche Explosionen da ausgelöst werden. Sie sind nicht an Lösungen, sondern ausschließlich an Aufmerksamkeit interessiert. Sie reden von einem Test für die Event- und Kulturindustrie und verschweigen die finanziellen Möglichkeiten dieser am Boden liegenden Branche. Sie wollen finanziellen und sportlichen Schaden vom Verein abwenden, sagen das aber nur in Nebensätzen. Es sind Verzweiflungsideen, die uns Union da in schöner Regelmäßigkeit serviert. Das ist okay. Wie sie es tun, das sehe ich kritisch.

Blicken wir nach Dortmund.

Da war ich nicht.

Aber die Welle. Das sorgte unter den englischsprachigen Journalisten für Empörung.

Das ist mir ein Rätsel. Die sagen ja: Fußball ohne Ultras ist kein Fußball. Ich weiß jetzt aber überhaupt nicht, was die genaue Forderung sein soll. Mal wollen diese Leute, dass alle ins Stadion dürfen und dann soll niemand mehr rein und das Spiel soll sterben und dann dies und dann auch bald das. Ein Blumenstrauß wilder, unerfüllbarer Forderungen. Mit welcher Ablehnung sie dem deutschen Fußball gegenüberstehen. Das ist doch nicht mehr normal. Die Fans sind natürlich ein Kulturgut, aber bitte auch die haben verstanden: Wir navigieren gerade durch eine Pandemie.

Und beschränken die Rechte der Fußballfans. In NRW sorgt Reul mit einer Stadionallianz für Aufsehen.

Das sind natürlich die Auswüchse, die bekämpft werden müssen und die gleichzeitig von der Ohnmacht der Vereine zeugen. Sie lassen sich vor einen Karren spannen, um überhaupt überleben zu können.

Sagen Sie, dass die Vereine so die Zustimmung zur Teilzulassung der Zuschauer gewinnen konnten.

Das interpretieren Sie so.

Die Klubs der DFL verzichten auf Auswärtsfans, zum Großteil auf Stehplätze, die Tickets sind personalisiert. Die Uhr wird sich nicht zurückdrehen lassen.

Reden wir doch darüber, wenn wir am Ende der Pandemie stehen. Es ist doch überhaupt eine große Freude, dass wieder Zuschauer ins Stadion dürfen. Wir können den extremen Stimmen Gehör verschaffen oder auf die besonnen und gemäßigten hören. Ich habe mich für die zweite Variante entschieden.

Dabei gelten Sie als Extremist, Herr Dembowski.

Das war einmal. Die Pandemie hat das ausgelöscht, wie jede Hoffnung.

Die Pandemie als Brennglas?

Bei mir sind da nur schwarze Wolken.  Seit langer Zeit, und da schließt sich der Kreis, habe ich keine Antworten mehr.

Das macht Sie verzichtbar.

Das ist korrekt. Und deswegen schweige ich.