Hallo Herr Dembowski, vor einem Jahr schien die BVB-Welt noch in Ordnung.

Machen wir jetzt auf Adorno, oder was? Dafür habe ich mir hier nicht den Termin freigeschaufelt.

Aber beim Herrn Thies machen Sie das doch auch.

Das ist Thies. Das ist Radio. Das ist live. Das kann man nicht ändern.

Wollen Sie trotzdem drauf eingehen?

Ja. Vor einem Jahr war beim BVB genau nix in Ordnung. Da ging es bereits darum, sich von Tuchel zu trennen. Man belauerte sich. Jeder wartete auf einen Fehler. Dann kam Monaco.

Der Anschlag.

Genau. Das ist vergessen, das ist ausgelöscht aus der kollektiven Erinnerung. Das hat mit heute nichts mehr zu tun, sagen die, die ohnehin immer alles wissen.

Und Sie machen die Niederlage gegen Salzburg, den kompletten sportlichen Verfall an diesem Moment fest. Das ist doch absurd.

Das mache ich nicht. Das ist Ihre seltendämliche Interpretation. Dafür kann ich nichts. Der BVB wäre damals im April 2017 mit größter Wahrscheinlichkeit in das Halbfinale der Champions League eingezogen. Das ist denen aus verständlichen Gründen nicht gelungen. Daran hängt aber einiges.

Erzählen Sie doch keinen Quatsch. Monaco ist trotz Einzug ins Halbfinale auseinandergebrochen. Mbappe ging nach Paris, Mendy und Silva heuerten bei Pep an. Bakayoko vertrödelt seine Zeit in London.

Reden wir hier über Monaco oder über Dortmund? Wollen Sie hier eine eingehende Analyse der Gesamtsituation im europäischen Fußball oder wollen wir beim Ballspielverein bleiben?

Der Ballspielverein genügt. Beruhigen Sie sich, Herr Dembowski.

Okay. Also. Halten wir fest. Der BVB zog nichts ins Halbfinale ein. Der BVB agierte fortan aus einer Position der Schwäche. Tuchel sagte dies, tat jenes, und kam bis zu Watzkes Interview doch auch gut davon. Dann kam das Interview. Dann flog alles auseinander. Das war ja kein Zufall. Die haben sich zum Pokalsieg geschleppt. Am Ende hatte der Verein im Kampf gegen Tuchel gesiegt, aber er ist eben auch ein großes Risiko eingegangen. Trainer weg, dazu der explodierende Transfermarkt und die latente Unzufriedenheit der Franzosen. Der Dembele-Abgang. Weil man eben eine Kaderschmiede für die Topvereine sein will, ist oder auch vielleicht schon war. Aubameyang musst bleiben. Dazu die Nachwirkungen des Anschlags, wie man damit umgegangen ist. Boszs alternativlose Spielidee. Verletzungen. Verrückt. Horrorjahr once again.

Interessante Ausführungen. Kennen wir aber alles schon. Der BVB hat auch Mislintat ziehen lassen. Der BVB hat explodierende Kaderkosten und keine Identität.

Ja. Wie stellen sie sich das auch vor? Die stehen von allen Seiten unter Druck. Müssen Jahr für Jahr Schlüsselspieler ersetzen.

Das ist das Geschäftsmodell.

Davon muss man sich eben lösen. Jetzt ist ein Schmelzer qua Erfahrung der wichtigste Spieler im Kader. Da wirst Du doch verrückt. Der kann das nicht machen. Aber wenn Du Jahr für Jahr Leute wie Hummels und Bender und wen auch immer ziehen lässt, dir dazu einen Talentkader hinstellst, der eigentlich permanent im Schaufenster steht, und immer auf dem Sprung ist, dann entsteht da kein Teamgeist.

Aber nur Erfolg macht Spieler interessant.

Das stimmt. Das wird der BVB sicher bald auch merken. Jetzt sind da noch Reus, Pulisic und Weigl im Kader. Mit dem Rest verdienst Du kein Geld mehr, mit Reus auch nicht. Der Vertrag endet 2019. Er ist verletzungsanfällig. Groß Kohle wirste mit dem nicht mehr machen.

Mit Weigl auch nicht.

Das sieht aktuell leider so aus. Dazu kommt: Kaderkosten fressen Transfereinnahmen auf. Die graue sportliche Lage wird zu abnehmenden Interesse der Sponsoren führen.

Und die Fans kommen auch nicht mehr.

Die sind ernüchtert. Die wollen auch nicht mehr. Das stimmt. Die kommen aus dem Boykottieren nicht mehr raus. Die sind gegen den modernen Fußball, während Teile von Ihnen dann dem eSport zujubeln und sich selbstbesoffen überhöhen. Aber das sind nur verschwindend geringe Teile, die, die ich die Craftis nenne, und die sich nur über ihre Einzigartigkeit definieren. Sie sind ersetzbar, und das macht sie so sauer. Genug davon.

Puh. Zum Glück.

Ich bin noch lange nicht fertig. Was wir hier im Fußball sehen, ist doch auch nur ein Spiegelbild der Gesellschaft. Die Mitte ist komplett verschwunden. Auf so vielen Ebenen. Die kann man gar nicht alle aufgreifen. Eine wichtige Ebene ist das Streben nach Kommerzialisierung, Digitalisierung und Internationalisierung auf der einen Seite und die vollkommene Verständnislosigkeit für dieses Unterfangen auf der anderen Seite. Die Ränder werden verstärkt. Dort spielt sich alles ab. Es ist ein wir gegen die. Dazu ist die Liga in die Bedeutungslosigkeit versunken. Antike Spielsysteme, komplette Dominanz einer Mannschaft, die die Liga nur noch als Selbstbedienungsladen betrachtet. Die Bayern greifen die besten Spieler ab, schicken sie nun auch gerne weiter. Hauptsache ihr Talentpool vergrößert sich. Das ist eine Katastrophe für die Liga. Das führt dazu, dass in diesem Jahr Hoffenheim und im nächsten Jahr eben Schalke Probleme hat respektive haben wird. Sogar die Bullen erkennen ihre Grenzen.

Da kommen auch keine Zuschauer mehr.

Hören Sie mir auf mit dieser 11Freunde-Linie. Die Zuschauer kommen auch in Dortmund nicht, gestern waren es 53,700. Das ist für Dortmunder Verhältnisse ein Witz. Da muss mir niemand mit Leipzig kommen. In Berlin war niemand da. In Stuttgart kam auch nie jemand. Immer sind es irgendwelche Gründe. Nur in der heilen 11 Freunde-Welt sind es einmal diese Gründe und dann sind es andere Gründe. Hier sind es die bescheuerten Kunden und da eben die Unzufriedenheit mit was auch immer. Es ist zum Kotzen. Es geht nur noch um Extreme. Es geht nur noch um ein wir gegen die.

Schöne Ausführung. Bringt uns nicht weiter. Sie sprachen vom Verschwinden der Mitte. Ich zitiere: „Auf so vielen Ebenen.“

Stimmt. Wollen Sie noch eine hören?

Gerne. Ich glaube Ihnen nicht. Erst kommen Sie mit ihrem Anschlag-Gewäsch. Dann mit anderen Geschichten.

So ist das. Ich will erklären. Die Situation beschreiben. Lösungswege aufzeigen.

Das machen Sie aber nicht. Sie verharren in einer Zustandsbeschreibung, die ich nicht teile. Überzeugen Sie mich, und langweilen Sie mich nicht. Also: Welche Ebene gibt es noch?

Dazu werde ich mich an dieser Stelle nicht mehr äußern.

Doch. Das machen Sie jetzt.

Okay. Es gibt kein Dazwischen mehr. Die Spiele werden in ihre Einzelteile zerlegt, einige wenige Situationen werden überhöht. Das mag auf einer Mikroebene eine Berechtigung haben. Aber mir nützt es nichts, dass ich weiß, welcher Spieler in welchem Drittel welche Läufe gemacht hat. Das sind tolle Spielereien, die aber eben nur mikroskopische Beobachtungen sind. Das führt dazu, dass alles erklärt wird, dass alles auseinandergenommen wird. Das wird der Bedeutung des Spiels nicht gerecht.

Also sollte wir es wie Matthäus machen?

Keineswegs. Aber indem jeder jeden Fehler offenlegen will, wird das Spiel immer mehr zu einem Verwaltungsakt. Das Streben nach Perfektion — bei gleichzeitiger Allgemeinverfügbarkeit der Perfektion durch die neuen Medien – führt zu einem Verlust des Verständnisses für Niederlagen, für Rückschläge. Denn eigentlich können wir alles erklären. Und wenn wir das können, müssen das die Vereine auch können.

Und Sie sagen, dass dann so etwas wie der Anschlag kommt…

…und eine Mannschaft, einen Verein komplett aus der Spur wirft. Das sehe ich unter dem Mikroskop nicht. Aber das sage ich. Der BVB hat eine Heimbilanz von 6-5-6, hat nur eines von 5 Heimspielen in vergleichbaren Situationen gewonnen. Denken Sie drüber nach. Es ist nur ein Anstoß.

Okay. Konkret. Was hat das mit der gestrigen Niederlage zu tun?

Marc Bartra steht vor dem Spiel vor der Tribüne. Er wird verabschiedet. Das ist toll. Das reißt aber auch Wunden auf. Das verschiebt den Fokus für einen Moment. Das sind ein paar fehlende  Prozentpunkte in einer ohnehin nicht funktionierenden Mannschaft.

Aha. Interessant. Ein paar Fragen noch. Kurze Antworten. Bleibt Stöger?

Nein.

Wer wird neuer Trainer?

Keine Ahnung.

Landet der BVB unter den ersten 4?

Nein.

Bleibt Reus?

Nein.

Bleibt Pulisic?

Ja.

Bleibt Weigl?

Nein.

Geht der BVB unter?

Nein.

Herr Dembowski, vor unserem Gespräch schien die Welt noch in Ordnung.

Ach, hören Sie doch auf. Jetzt lachen Sie noch über mich.

Die ganze Welt, Herr Dembowski, lacht über Sie!