Herr Dembowski! Seit Tagen nur dröhnendes Schweigen. Sie sind ein Typ, der auch unbequeme Aussagen macht, doch Sie äußern sich nicht. Wieso?

Es gibt ja nicht nur dieses eine Thema auf der Welt. Die Nachrichten beinhalten täglich mehrere Meldungen, und verästeln sich bis weit in den Sport. Ich überlegte, ob ich mich äußern sollte – zu welchem der 70, 80 Themen.

Und jetzt ist es zu spät. Warum griffen sie nicht ein, als die Themen in den vergangenen Monaten und Jahren eskalierten?

Wir haben beim DID intern darüber gesprochen. Aber ich habe es nicht als so einflussnehmend auf den Lauf der Dinge erachtet, wie es am Ende wahrscheinlich doch sein wird. Vielleicht war das falsch eingeschätzt.

Julian Reichelt hat nicht geschwiegen. Ganz im Gegenteil: Er ist ein Aktivposten im Internet. Er scheut sich nicht, nach rechts zu blicken und lässt die Netzgemeinde an seinen Recherchen teilhaben. Seine Art wird im Internet heftig kritisiert. Manche sehen in ihm den deutschen Steve Bannon.

Er holt sich im Internet die Aufmerksamkeit ab, die sein Blatt am Kiosk schon lange nicht mehr bekommt. Reichelt kann Internet. Er weiß, wie er die Menschen triggern kann und er steht eben nicht auf der richtigen Seite, auf der Seite, auf der wir uns sehen.

Wir aber, Herr Dembowski, sind mehr. Das hat das Konzert in Chemnitz bewiesen.

Das war toll. Für einen Moment waren wir eins, waren wir erleuchtet. Doch hier kommt der Runterbringer: Es geht aber nicht darum, mehr zu sein, sondern eben auf Dauer auch andere Meinungen zu akzeptieren. Man darf anzweifeln, ob die Selbstbesoffenheit, mit der wir uns jederzeit immer überall bestätigen, dass wir auf der richtigen Seite stehen, wirklich der richtige Weg ist. Man darf doch auch darauf hinweisen, dass man nicht jedes Ereignis auf ein Hashtag runterbrechen kann und dass wir mit Hashtags in Profilbildern die Welt nicht ändern werden. Die eine Seite ist radikal, brutal und skrupellos, entledigt sich der Menschlichkeit, hat einen Informationskrieg begonnen, die andere Seite will friedlich reden, sich empören, bei der Wahrheit bleiben und sich auf Konzerten vergewissern, dass man noch da ist.

Sie relativieren.

An welcher Stelle?

Sie wollen andere Meinungen akzeptieren.

Aber doch nur die, die menschlich sind, die begründet sind. Wir müssen doch nicht darüber reden, dass da Grenzen überschritten werden, wenn Nazis durch Städte marschieren. Aber: Dresden, Cottbus, Chemnitz. Das ist doch austauschbar. Das Land hat ein Problem, und wir werden es nicht mit Hashtags lösen, wir werden es nicht lösen, indem wir mehr sind. Wir müssen aufzeigen, dass diese uns aufgezeigte Bedrohung doch überhaupt keine Bedrohung ist. Es ist eine globale Krise, die uns jetzt erreicht. Mit all den Playern, die diese Zeit mit sich bringt. Mit denen, die Angst verbreiten, um Macht zu erhalten, um Macht zu gewinnen, die uns süchtig machen nach noch mehr Aufregung, nach noch mehr Angst, nach uns und dem Untergang.

Die gegen Ausländer hetzen, die Gewalt relativieren, die uns sagen, dass der Migrant der Ursprung aller Probleme ist, Herr Dembowski.

Die aber doch eigentlich nicht realitätsfern sind, nur so agieren. Die Gesellschaft ist, wie sie ist und wird sich weiter verändern. Die, die zu uns gekommen sind, werden jetzt nicht einfach wieder verschwinden, weil man ihnen mit Hass begegnet. Aber, herrje, wollen wir nicht mal über Fußball reden?

Der Fußball hat geschwiegen, Herr Dembowski. Auch Mats Hummels musste lange nachdenken. Dann war es zu spät.

Was erwarten Sie denn?

Was die Nationalspieler im Zuge der Özil-Diskussion abgeliefert haben, war perfektes Derailing. Jetzt war Özil wieder der Schuldige. Verstoßen wegen Falschaussage mit anschließendem Abtauchen.

Soweit ich informiert bin, spielt Mesut Özil bei Arsenal. Wenn es wichtig wäre, könnte man ihn dort sicher antreffen. Scheint aber auch nicht so wichtig zu sein. Und wenn die Nationalspieler sich so äußern, werden sie sich dabei etwas gedacht haben.

Die wollen nicht verstehen, Herr Dembowski.

Vielleicht haben die das Statement auch nicht gelesen. War immerhin etliche Seiten lang. Manuel Neuer hatte den Spiegel-Artikel, der zum Teil natürlich das Offensichtliche zum Skandalösen hochgejazzt hat, nicht gelesen. Was soll man da groß erwarten. Fußball ist Unterhaltung, und die Rote Rosen-Cast hat sich ebenfalls nicht geäußert.

Äpfel und Birnen!

Da schalten regelmäßig 1.25 Millionen Zuschauer ein. Das ist nicht Champions League, aber ein guter Wert. Was ich sagen will: Fußball ist nicht alles. So viele Dinge sind hier verrottet und verroht, da erwarte ich …

…nichts. Herr Dembowski, was läuft bei Ihnen eigentlich falsch? Ihr Desinteresse ist schockierend.

Wissen Sie: Wir entfernen uns voneinander, wir entfremden uns. Das erzähle ich seit Jahren. Wir individualisieren uns aus dem Baukasten der Vereinzelung.  Und sind dann erschrocken, wie weit wir uns voneinander entfernt haben.

Da sind Nazis auf den Straßen, der Innenminister macht dafür die Migranten verantwortlich, der sächsische Ministerpräsident ist nur um den Ruf seines Bundeslandes besorgt, Fußball-Nationalspieler schweigen, das demokratische Lager reibt sich aneinander, einige Zeitungen dingen sich als Steigbügelhalter für die radikale Rechte, die ohnehin bereits alles in ihre Richtung verschoben, eine Regierungspartei greift den Bundespräsidenten an, die Bundeskanzlerin sitzt mal wieder alles aus, Fakten sind keine Fakten mehr, eine Partei ruft zur Revolution auf und da ist noch so viel mehr. Sie aber reden über Entfremdung!

Ja. Das habe ich in den letzten Jahren beobachtet und angemahnt. Können Sie nachlesen. Besonders prominent beim Beispiel Craft Beer.

Craft Beer? Ticken Sie noch richtig, Herr Dembowski?

Es ist ein Beispiel. Ein gutes Beispiel.

WTF?

Ich lege jetzt auf.