Nach seinem Ausflug nach Wuppertal sitzt Dietfried Dembowski am frühen Mittwoch wieder im Soldiner Eck. Frühschoppen. Themenkonferenz. Nennen Sie es, wie Sie es nennen müssen.  Miriam Wu kommt gerade von einem Agenturmeeting. Der Klassiker steht an, ihr Terminplan platz aus allen Nähten. Der deutsche Fußball steht vor seinem ersten Titelkampf seit 7 Jahren. Auch in der Champions League läuft es ordentlich. Alles könnte so gut sein, doch eine dunkle Wolke hängt drohend über der aktuellen Spielzeit. Der Fußball, heißt es in allen Medien, könnte moralisch nicht ganz einwandfrei sein.  Ein schlimmer Verdacht.

Wir treffen Dietfried Dembowski zwischen ein paar Schulle. Aus der Jukebox tönen die For Stars. Die Vorhänge sind zugezogen. Im Soldiner Eck gibt es keinen golden Herbst.

 

Herr Dembowski! Wir müssen reden.

So etwas habe ich befürchtet. Sie tauchen hier nicht ohne Grund auf.

Gegen Atletico Madrid fühlten sich Christian Pulisic und Paco Alcacaer wie Robinson Crusoe: ausgesetzt und alleingelassen. Der Ballspielverein selbst mit einer Bruchlandung nach freiem Fall in die Realität.

Geht es noch? Hat Ihnen das JHS erzählt?

Nein. Der hat doch Schalke geschaut. Das schreibt der kicker. Die Bild legt nach, schreibt: „Aber mit einer Leistung wie in Madrid reicht’s nicht mal für die Problem-Bayern!“

Und das ist jetzt Fakt? Weil die Bild das schreibt. Der Reporter dieser Zeitung ist tags zuvor noch dadurch aufgefallen, dass er das Durchstarten eines Flugzeugs mit dem Anschlag auf das Leben der BVB-Spieler gleichgesetzt hat. Nur weil er zufällig in der Maschine saß.

Aber Sie wollen doch nicht ernsthaft abstreiten, dass der BVB gestern in Madrid untergegangen ist.

Der BVB hat ein Spiel verloren. Witsel konnte den Angriff vor dem 0:1 nicht unterbinden, spielte vor dem 0:2 einen missglückten Pass in die Abwehrlinie. Das passiert. Ich habe nicht mit einer niederlagenfreien Saison gerechnet.

Was ist gestern passiert, Herr Dembowski?

Die junge Dortmunder Mannschaft hat sich von der Härte Atleticos den Mut abkaufen lassen. Juanfran und Konsorten haben in den ersten Minuten den Weg vorgegeben. Sie haben auf alles getreten, was sich über die Mittellinie bewegt hat. Viel war das ohnehin nicht. Eine höchst effektive Taktik vor der eigentlichen Taktik. Mag brutal aussehen, schüchtert aber gut ein. Das ist passiert. Dazu kleinere Fehler, die diese erfahrene, von der Niederlage in Dortmund schwer beleidigte Mannschaft ausgenutzt hat. Das war eine gute Schwimmstunde für dieses junge Team. Eiskaltes Becken, mit ordentlich Wellengang.

Der BVB ist in Madrid untergangen, Herr Dembowski!

Noch einmal: Der BVB hat ein Spiel verloren. Eine große Mannschaft lernt aus diesen Situationen. Wir wollen doch jetzt nicht daran zweifeln, dass hier eine große Mannschaft heranwächst. Unter meinem Künstlernamen schrieb ich neulich darüber einen gelungenen, weil pathosdurchtränkten Aufsatz. Eine Auftragsarbeit für das Fachblatt „11 Freunde“. Sogar im Internet fand der Text großen Anklang.

Ich habe das gelesen. Die Jubelarien aber setzten zu früh ein. Vor dem Spiel gegen Bayern München, dem Klassiker, steht der BVB nur drei Schritte vom Abgrund entfernt. Eine Agentur hat für das Spiel bereits den Hashtag #footballweaks kreiert.

Der gefällt mir, er spielt mit den aktuellen Entwicklungen im Weltfußball, greift ein heißes Thema auf und bereitet den Klassiker für den internationalen Markt ironisch auf. Mit der Realität aber hat das wenig zu tun. Aber wir drehen uns hier im Kreis. Sie sagen ‚Weltuntergang‘ und ich sage ‚ein ganz normaler Vorgang und ein ganz wichtiger Schritt‘ und das jetzt seit einiger Zeit und mit immer neuen Worten.

Worte kommen nicht einfach, heißt es in einem alten Song. Und einfach ist es momentan, Sie sprachen es bereits an, auch nicht für den Weltfußball. Der Spiegel und einige andere Publikationen enthüllten es in der vergangenen Woche: Im Fußball geht es nicht mit rechten Dingen zu. Hinter dem Rücken der Weltöffentlichkeit soll eine Super League organisiert werden. Bayern München soll diese Entwicklung vorangetrieben haben.

Heißer Übergang. Applaus! Davon habe ich gelesen. Man konnte es ja nicht nicht lesen. Es war überall. Dauerbeschallung auf allen Kanälen.

Es handelt sich hierbei um einen großen Skandal, Herr Dembowski.

Muss man das alles so durchinszenieren? Trailer, Instastory, Radio hier, TV da, Spiegel Plus, eigenes Logo, Peter Lohmeyer als Retter des Fußballs, Christian Heidel in seiner Paraderolle als Gebrauchtwarenhändler, Rafael Buschmann, der Mann, der „John“ kannte. Too much. Der geschätzte Insider Dirk Benninghoff hat das aus Marketingsicht beleuchtet und dabei einige interessante Beobachtungen gemacht. Er schreibt:

„Um die Leser heute zu aktivieren, braucht es tagelanges Marketing-Dauerfeuer, ideenreiches dazu. Und das kann man dem SPIEGEL nicht absprechen. Die vielen PLUS-Artikel, die das Magazin in den vergangenen Tagen auf Social Media ausgespielt hat, zeigen zudem, dass man den Kiosk längst aufgegeben hat, und auf Online-Käufer abzielt. Konvertierung nennen das die Paid-Content-Strategen. Über eine heiße Story Leser langfristig ins Bezahl-Abo ziehen.“

Er lobt ausdrücklich den Mitarbeiter Buschmann als Botschafter seiner eigenen Botschaft. Das, schließt Benninghoff, haben die Medien von Marketern gelernt.

Das klingt durch die Bank positiv.

Ich habe in den letzten Monaten eine Empörungserschöpfung ausgemacht. Die Menschen wollen sich nicht mehr diesem konstanten Skandalfeuerwerk ausgesetzt sehen. Sie sind müde. Sie wollen sich nicht mehr von Empörung zur Empörung schleppen, nicht einmal mehr zu allen Themen eine Meinung haben. Grau ist die Farbe der Saison. Schweigen wieder eine Option. Die Empörung als Reaktion auf willkürliche, manchmal zufällige Ereignisse hat uns alle zu depressiven, angstgesteuerten Wesen verkommen lassen. Wer aber von Angst regiert wird, ist handlungsunfähig.

Philosophisch, Herr Dembowski. Noch ein Schulle?

Gerne. Was ich sagen will: Das Marketing kann noch so gut sein, wenn eine nüchterne Analyse fehlt. Das ist passiert. Deswegen ist es passiert. Das sind die Regelbrüche. Hier wurde ein ungeschriebenes Gesetz verletzt. Aber ich, und da spreche ich nicht nur für mich, will mir doch nicht erzählen lassen, wie ich das einzuordnen habe. Ich will mir doch nicht vorschreiben lassen, was ich zu fühlen habe. In diesem Fall nämlich Empörung auf „die da oben“, die sowieso nur an sich denken. Und ich brauche auch keinen Kronzeugen namens John, dass niemand an die Fans denkt.

John ist für mich nicht greifbar. Wieso sollte der mir was erzählen, was ohnehin bekannt ist. Er ist ein seltsamer Whistleblower, der seine wahren Beweggründe verschleiert und Daten nur nach Saufgelagen in osteuropäischen Kneipen überreicht. Holt mich nicht ab.

Verstehe ich sie richtig: Der Spiegel soll seine Berichterstattung einstellen?

Nein. Kurze Anmerkung noch: Der Spiegel kritisiert die Super League, die Gier und all das und entsendet neuerdings zahlreiche hauseigene Reporter zu den Champions-League-Spielen der Mannschaften, die sie kritisieren. Das finde ich bemerkenswert.

Das ist Spiegel Online. Meine Frage haben sie noch nicht beantwortet.

Ich hätte es gerne ein wenig klarer, ein wenig reißerischer.

Dann geht die Nachricht unter.

Die, die es betrifft, werden davon trotzdem mitbekommen. Ich wünsche mir einfach weniger Lautstärke. Von allen Seiten.

Das ist ein vermessener Wunsch, Herr Dembowski.

Das mag sein.

Vielen Dank für das Gespräch.

Dafür nicht.

 

Dembowski steht auf. Geht zur Jukebox. Wieder sind es die For Stars. Doch diesmal klingt alles anders. Der Ermittler lächelt und singt: „We are all beautiful people. We are only fools because we think we’re fools.”

Zeit, diese Wahrheit zu akzeptieren.