Kurz vor der Lamafarm sind die Straßen längst nicht mehr asphaltiert. Ein sandiger Pfad schlängelt sich durch einen kleinen Wald. Still, dunkel, einsam und umschlossen von Kiefern liegt die Einfahrt zur wohl bekanntesten Farm des Oderbruchs.
Auf der Veranda sehen wir Dörte, wie sie in einem Buch blättert. Aus der Stube klingt Spiritualized. „All I want in life’s a little love to take the pain away“, haucht Jason Pierce. Und Dörte sagt, dass Dietfried hinter dem Haus zu finden sei. Es ist schon spät. Die Abendnachrichten finden sich längst in den unendlichen Archiven, und warten auf ihre Wiederentdeckung in 20 Jahren. Bis dahin ist noch ein wenig Zeit.
Ermittler Dietfried Dembowski ist abgetaucht. Erst hat er seine Ermittlungen eingestellt. „Bis wir nicht mehr mit den Kranichen ziehen“, hatte er im vergangen Jahr verkündet und war dann in der Folge nur noch als seine eigene Karikatur aufgetreten.
„Wie war der Spieltag, Dembowski?“, das war sein Hit, das war seine Dauerschleife aus der es kein Entkommen mehr gab, wie es auch kein Entkommen aus dem Alltag gab, in den er längst nicht mehr mitkommen wollte.
Schills Theke, Hagenberg-Scholz mit seinen Drohnengeschichten, die Versuche, seiner Existenz noch einmal einen Sinn zu geben, der Praktikant, der die Sache nur noch schlimmer machte. DID, ein neues Standbein vielleicht, aber wieso eigentlich? Dann seine Wohnung nur wenige Schritte von Schill entfernt, schräg über die Straße. Die karge Einrichtung. Der dröhnende Kater. Sunday Morning Coming Down. Jeden Morgen. Jeden Mittag. Jeden Abend. Der Ermittler ertrug seine Welt nicht mehr, und sie ihn auch nicht.
„Einfach bei Koi vorbei, und denken Sie daran: Koi ist alles“, sagt also Dörte. Sie ist ausnehmend höflich. Ein Glas Wein, die letzten Abendsonnenstrahlen, Jason Pierce und sonst nur Stille.
„Vielleicht verkaufen wir die Lamas. Ich stehe das allein nicht mehr durch“, sagt sie noch und blättert auf die nächste Seite.
Hinterm Haus ist hier im Oderbruch relativ. Eine weite, offene Fläche erstreckt sich bis an den alten Seitenarm der Oder. Einige Lamas ruhen kniend in Sandkuhlen, andere stehen rum. Ein Stillleben mit einer Trauerweide, aus deren Richtung eine Akustikgitarre erklingt.
Wir sehen Dietfried Dembowski. Vollbart, Strohhut, eine Martin D-28, eine Feuerstelle „This is a promise with a catch, only if you’re looking it will find you.” Eine einsame Träne. Es ist jetzt dunkel, das Holz knistert und lodert.
Herr Dembowski, da sind Sie ja. Wir haben Sie gesucht.
Sie haben mich gefunden.
Was ist passiert?
Es wurde mir zu viel. Jetzt feiere ich meinen Geburtstag. Seit fünf Jahren dokumentiere ich mein Scheitern. Erst war da kein Licht, und dann war es kurz hell. Jetzt ist es wieder dunkel, und ich habe keine Hoffnung mehr.
Weil der BVB seit zwei Spielen nicht gewonnen hat?
Es geht nicht immer um Fußball. Es ist ein schönes Spiel. Mehr nicht.
Aber Bill Shankly hat gesagt, dass Fußball kein ….
Geht es eigentlich noch? Wollen Sie mir jetzt mit uralten Weisheiten kommen. Damit begann das eigentliche Fußball-Marketing. Schlimm. Herberger hat „Der Ball ist rund“ gesagt. Toll. Was bedeutet das jetzt? Und was bedeutet das jetzt für mich?
Herr Dembowski, wir sind nur hier, weil wir uns Sorgen um sie machen. Ihre Worte wurden gehört, ihre Stimme als eine der wichtigsten im Fußballgeschäft bezeichnet.
Erzählen Sie doch nicht so viel Quatsch. Sie sind ein Zeitdieb.
Versuchen wir es noch einmal: Der BVB konnte die letzten beiden Spiele nicht gewinnen. Müssen wir uns Gedanken machen?
Doppelpass geschaut oder das schwatzgelb-Forum gelesen? Diese Aussagen sind derart lächerlich. Tuchel habe sich verzockt, sagen die und dass er die Meisterschaft geopfert habe. Wenn ich das schon höre. Aber für eine Gegenrede fehlt mir die Kraft. Alles wiederholt sich, alles kommt zurück. Auch der BVB. Der sogar immer stärker.
Obwohl sie kaum noch Chancen herausspielen, obwohl ihnen die Form nach vorne fehlt?
Der BVB hat in den letzten zwei Ligapsielen fünf Tore geschossen, aber vier kassiert. Vielleicht können Sie das mal zusammenrechnen. Bekommen Sie das hin? Nicht? Dann hier ne kurze Info: Die Hinrunden-Borussia ist zurück.
Aber gegen Liverpool im Kloppico?
Gegen Liverpool war die Mannschaft nervös. Klopp hat die Borussen auf das Niveau der Reds runtergezogen. Die haben das recht unansehnlich gemacht. Aber gut. Vorne mit drei Spielern drauf, dahinter eine wilde Mittelfeldmeute. Das passte. Und beim BVB herrschte wieder einmal eine Reus-Schwere. Was mit dem Burschen in größeren Spielen los ist? Ich kann es nicht sagen.
2014 hat er gegen Real zwei Tore erzielt.
Und der BVB ist trotzdem ausgeschieden. Er hätte drei Tore erzielen müssen. Hat er aber nicht. Das Aus damals wurde an Mkhitaryan festgemacht, obwohl es ja Reus war, der das Team hätte antreiben müssen. Damals begann sein langer Weg hinab. Zum Glück hat der BVB jetzt Christian Pulisic. Das ist ein Juwel.
Ein wenig verfrüht dieser Jubel.
Der BVB wird auf dieser Welle surfen. Da kann der FC Bayern noch so viel sportlichen Erfolg haben, die Internationalisierung wird an den Ballspielverein gehen. China-Reise im Sommer, Florida-Cup im Winter. Dort werden sie die Trophäe Pulisic präsentieren. Der erste US-Soccerweltstar. Ein ganzer Kontinent hat auf den Jungen gewartet.
Der FC Bayern liegt jedoch auch in den Staaten meilenweit vor der Borussia.
Zu viel Philipp Lahm gelesen? Der Größenwahn wird sie zerstören. Karl-Heinz Rummenigge überschätzt sich maßlos. Warten Sie doch einmal die nächste Krise ab.
Darauf wartet Deutschland jetzt seit einigen Jahren.
Geduld ist nicht Ihre Stärke. Wer soll diese Krise, die kommen wird, da können Sie Gift drauf nehmen, denn in Deutschland ausnutzen? Wolfsburg? Die sind weg vom Fenster. Gustavo to Arsenal? Deal done. Draxler to Juve? Deal done. Und alles this summer. Gladbach? Eberl redet zu viel. Er hat noch nichts erreicht. Seit Monaten verkauft er nach dem Tönnies-System Granit Xhaka. Mit 50 Millionen will er sich zufriedengeben. Soll er machen. Wird er aber nie bekommen. Und dann die ganzen sogenannten Experten mit ihren Einschätzungen. Stindl muss in die Nationalmannschaft, Dahoud sowieso und Raffael ist besser als Ronaldo. Geht es noch. Ich mache den Computer schon gar nicht mehr an. Zeitungen lese ich auch nicht mehr. Dörte erzählt mir die Geschichten. Auch von Schalke. Der Meister der Herzen will also Breitenreiter loswerden. Sollen sie mal machen. Und dann die Beraterhonorare in die Höhe treiben. Sie nennen es kreative Lösungen, sagt Dörte, und sagen, dass es im nächsten Jahr ganz anders sein könnte.
Kann es doch auch.
Es gibt immer ein nächstes Jahr. Es gibt immer einen nächsten Tag. Und es gibt immer einen Grund für kreative Lösungen.
Kreativ ist natürlich ein gutes Stichwort. Die DFL schreibt die TV-Rechte neu aus. Fünf Montagsspiele stehen an und die Fans….
…protestieren. Die protestieren immer. Die Montagsdemonstranten des Fußballs. Rauball ist Gabriel. Und niemand nimmt die Fans mehr ernst. Manchmal wirft man ihnen einen Happen hin, dann sind sie kurz still, und in dieser Zeit werden neue Ideen entwickelt. Dann regen sich die Fans auf, man wirft ihnen einen Happen und sie sind kurz still. Das geht ewig so weiter. Maximale Forderung. Irgendwer knickt scheinbar ein, und die eigentliche Idee ist durch. Die Fans sind ein Spielball in diesem Millionenspiel. Man braucht sie, um das Produkt zu verkaufen. Aber auch das wird irgendwann egal sein. Wir sind gerade Zeuge des Verschwindens der letzten Fußballfans. Man rede jetzt mehr über das Spiel an sich, wird gesagt und doch redet man nur noch über das Spiel an sich. Was die Protagonisten abseits davon treiben, das ist höchstens noch ein kleiner Tropfen im Ozean der nie abschwellenden Erregung dieser Jahre. Panama Papers? Mal gehört. FIFA-Skandal? Was war das noch mal. Das Sommermärchen. Die Nation ist erwacht. Das Sommermärchen, das niemals gekauft wurde, war die Saat für alles, was wir jetzt erleben. Der neue Nationalismus hatte sich hinter Deutschland-Schweißbändern versteckt. Es war ja so warm.
Herr Dembowksi, wir kommen heute nicht weiter. Dabei hatte ich noch so viele Fragen.
Sie wollten mit mir sprechen. Bremen steigt ab. Direkt. Aber das sage ich Ihnen schon seit Monaten.